Logo
Aktuell Medienpolitik

Kretschmann fordert »digitalen Humanismus«

Ein wegweisender Kongress in Stuttgart. Ministerpräsident Winfried Kretschmann positioniert sich klar

Richtungsweisende Worte beim Medienpolitischen Kongress der Landesregierung: Ministerpräsident Winfried Kretschmann. FOTO: DPA
Richtungsweisende Worte beim Medienpolitischen Kongress der Landesregierung: Ministerpräsident Winfried Kretschmann. FOTO: DPA
Richtungsweisende Worte beim Medienpolitischen Kongress der Landesregierung: Ministerpräsident Winfried Kretschmann. FOTO: DPA

STUTTGART. Pinar Atalay, Moderatorin der ARD-Tagesthemen, hatte am Morgen einen klaren Plan. »Bei diesem Kongress werden viele Fragen gestellt werden, und ich bin sicher, dass wir heute Antworten finden.« Das war zu Beginn der Veranstaltung, durch die Atalay führte, vielleicht ein wenig zu optimistisch, aber der medienpolitische Kongress der Landesregierung in den Stuttgarter Wagenhallen wurde am Donnerstag auf jeden Fall zu einer richtungsweisenden Veranstaltung, die man vielleicht sogar einmal als zukunftsweisende Weichenstellung beschreiben wird.

Die politischen Eckpfeiler schlug zu Beginn der grüne Ministerpräsident höchstpersönlich ein. Winfried Kretschmann warnte vor »Nachrichtenwüsten« wie in den USA als Folge des Zeitungssterbens: »Wüsten, die die Demokratie vor Ort austrocknen und der Korruption Vorschub leisten, weil niemand mehr die handelnden Akteure kontrolliert.« Wie wirkt sich der Medienwandel auf die Demokratie aus? Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter für die Meinungsbildung? Wie kann Qualitätsjournalismus überleben? Das waren die Leitfragen der Veranstaltung, die nicht nur die Politik, auch die Philosophie, die Medienwissenschaft und, ganz existenziell, die Zeitungsmacher beschäftigen.

Am Mittwoch hatte eine bisher einmalige Aktion »Journalismus zeigt Gesicht« des Verbandes Südwestdeutscher Zeitungsverleger (VSZV) und der Zeitungsredaktionen für Aufmerksamkeit weit über die Landesgrenzen hinaus gesorgt.

»Es wachsen keine digitalen Formate nach, die mit den Zeitungen mithalten können«

Fast alle Tageszeitungen in Baden-Württemberg erschienen mit der gleichen Titelseite und der Schlagzeile »Die beste Zeit für guten Journalismus ist jetzt«.

Auf vielen sozialen Medienplattformen sei die Grenze zwischen Lüge und Wahrheit oft nicht mehr unterscheidbar, erklärte der VSZV-Vorsitzende und Verleger des Reutlinger General-Anzeiger, Valdo Lehari. »Es ist unbedingt wichtig, verlässlichen Qualitätsjournalismus zu stärken und auf den Wert der Redaktionen vor Ort hinzuweisen.«

Kretschmann schlug in die gleiche Kerbe. »Qualitätsjournalismus liegt mir wirklich am Herzen, denn er ist für unsere Demokratie konstitutiv«, betonte der Ministerpräsident. Er habe die Sorge, dass Zeitungen sterben, ohne dass digitale Formate nachwachsen, die mit den Standards der Zeitungen mithalten können. Man müsse Formate finden, die »den zivilisierten Streit fördern«. Kretschmann forderte angesichts »der Ozeane von Fake News« und der ungehinderten Hassbotschaften einen »digitalen Humanismus«. Friedrich Hegel habe doch nicht ohne Grund darauf hingewiesen, dass es sich bei der Zeitung um »das Morgengebet der bürgerlichen Gesellschaft« handeln würde. Immer wieder Beifall im Saal.

Der Vorstandschef des Hubert-Burda-Media-Konzerns, Paul-Bernhard Kallen, forderte mit hohem Engagement eine viel strengere Regulierung sozialer Medien. Es seien Monopole entstanden, die weite Bereiche der Wirtschaft bedrohten, kritisierte Kallen. Man habe die sozialen Massenmedien »ohne jede Überlegung, ohne jede Regulatorik, ohne jede Verantwortung einfach auf die Menschheit losgelassen«.

Die klassischen Medien seien durchreguliert, »bis der Arzt kommt«, aber bei den sozialen Medien werde darauf verwiesen, der Markt werde das schon irgendwie richten. Regulierung alleine werde kaum genügen, sagte der Vorsitzende der ARD und Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm.

Er bekräftigte seine Forderung nach einer europäischen digitalen Plattform als Gegengewicht zu den US-amerikanischen Internetkonzernen: »Das muss aber politisch gewollt sein.« Dazu brauche es neben Regulierung auch die nötige technische Infrastruktur. Das Geschäftsmodell von Facebook und Youtube habe fatale Folgen für den politischen Diskurs, sagte Wilhelm. Auch der Philosoph und ehemalige Kultur-Staatsminister Julian Nida-Rümelin warnte in einem viel beachteten Vortrag vor der Marginalisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dabei handle es sich um einmaliges, bewährtes und weiter zukunftsweisendes Modell: »Ich plädiere mit Nachdruck für eine öffentlich-rechtliche Internet-Kommunikation.« Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler der Universität Tübingen, wandte sich gegen eine fatalistische Untergangsstimmung angesichts von Digitalisierung sowie politischen und gesellschaftlichen Krisen: Wer sich dem Pessimismus hingebe, öffne die Tür für Resignation und autoritäres Denken. »Irgendwann wird die Warnung zur Entmutigung der Engagierten.«

Der neue SWR-Intendant Kai Gniffke stimmte zu: »Wir sollten uns nicht ergehen in Medienuntergangsfantasien. Wir haben gute Ideen. Lasst uns den Kampf angehen.« (GEA/dpa)