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Gesagt ist gesagt

Zwischen korrekter Wiedergabe und Urheberrecht. Warum Wortlautinterviews immer wieder zu Ärger führen

Block und Aufnahmegerät sind das Handwerkszeug von Journalisten.  FOTO: DPA
Block und Aufnahmegerät sind das Handwerkszeug von Journalisten. FOTO: DPA
Block und Aufnahmegerät sind das Handwerkszeug von Journalisten. FOTO: DPA

REUTLINGEN. Horst Seehofer ist ein ganz ausgebuffter Politiker. Diese Erfahrung habe ich jedenfalls als junger Politik-Redakteur machen müssen: Nach einem Wortlaut-Interview mit dem damaligen Bundesgesundheitsminister fragte ich, ob er den Text autorisieren will, also gegenlesen und gegebenenfalls seine Antworten in Details abändern möchte. Das sei ja üblich. Der Bayer lachte nur sein altbekanntes Spitzbubenlachen und sagte: »Das kriegen Sie schon hin. Ich vertraue Ihnen.« Ich war beeindruckt und habe den Text vielleicht wohlwollender bearbeitet als sonst. Später erfuhr ich dann von anderen Kollegen, dass Seehofer das immer so mache. Es ist eine Masche, um sich sein Gegenüber gewogen zu machen.

Abgesehen von diesem persönlichen Erlebnis sorgt der Umgang mit Frage-Antwort-Interviews in der Branche immer wieder für Ärger und Streit. Es gibt Kollegen, die diese Vorgehensweise grundsätzlich infrage stellen. Zum einen, weil es in anderen Ländern nicht üblich ist. Zum anderen, weil man ja ein Tonband mitlaufen lässt und dann das Gesagte abschreibt. Doch in Deutschland hat sich dieses Verfahren des Gegenlesens eingebürgert. Vermutlich hat es seinen Ursprung in den 50er-Jahren. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hat diese Form des Streitgesprächs eingeführt. Dabei ging es hart zur Sache. Die Befragten wurden mit Argumenten geradezu bombardiert. Damit die Gesprächspartner sich auf diesen Schlagabtausch überhaupt einließen, bot der Spiegel an, dass sie die Texte gegenlesen dürfen. Danach übernahmen immer mehr Zeitungen dieses Verfahren.

Es ist eine schwierige Gratwanderung zwischen dem Wunsch nach sachlich korrekter Wiedergabe und dem Persönlichkeitsrecht des Gesprächspartners. Um die Problematik zu verstehen, muss man zwei Punkte wissen. Jeder, der ein Wortlaut-Interview gibt, hat ein Urheberrecht an dem Text. Gleichzeitig verbietet das Grundgesetz eine Zensur. Deshalb darf der Journalist auch nicht-autorisierte Passagen verwerten, wenn ein öffentliches Interesse besteht. Meist gelingt dieser Spagat, aber zuweilen gibt es doch Streit. Ein Beispiel: Olaf Scholz hat im November 2003 als SPD-Generalsekretär ein Wortlaut-Interview so stark abgeändert, dass es gar nicht mehr dem Gesagten entsprach. Die taz hat daraufhin aus Protest das Interview mit geschwärzten Antworten abgedruckt, um das Vorgehen anzuprangern. Allerdings hat die Autorisierung auch Vorteile für die Presse. Zum einen kann man sicher sein, dass die Fakten stimmen. Das ist gerade bei wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Themen wichtig. Eine falsche Aussage eines Konzernchefs kann direkten Einfluss auf den Börsenkurs haben. Zudem kann das Gespräch in einer offeneren Atmosphäre stattfinden, wenn der Interviewte weiß, dass er notfalls eine falsche Zahl oder eine missverständliche Äußerung noch korrigieren kann. Ein Argument ist auch, dass eine wörtliche Aussage im Radiointerview eine andere Wirkung hat als dieselbe Aussage in gedruckter Form. Insofern bedarf es besonderen Fingerspitzengefühls von beiden Seiten. Denn sowohl der Journalist, als auch der Interviewte wollen schließlich, dass das Frage-Antwort-Spiel des Interviews authentisch wirkt und der Inhalt des Gesprächs möglichst korrekt wiedergegeben wird.

Für Journalisten ergibt sich ein weiterer Vorteil: Ist der Text autorisiert, kann man die Aussage nicht so leicht zurückziehen. Dann gilt: Gesagt ist gesagt. Ein autorisiertes Zitat kann man an die Nachrichtenagentur durchgeben und so für bundesweite Schlagzeilen sorgen. Der Nachrichtenwert eines autorisierten Interviews ist höher, als bei einer Aussage, die am Rande einer Veranstaltung fällt.

Dennoch gibt es immer wieder Fälle, bei denen behauptet wird, eine Aussage sei so nicht gemacht worden. Ein Beispiel dafür liefert die ehemalige AfD-Chefin Frauke Petry. Sie hat sich während der Flüchtlingskrise in einem Interview dazu hinreißen lassen, einen Schießbefehl an der deutschen Grenze als letztes Mittel zu befürworten. Als der Mediensturm losbrach, wollte Petry es nicht so gemeint haben. Sie warf dem Mannheimer Morgen vor, auf Schlagzeilen aus zu sein, und sprach von »einer verkürzten und sinnentstellten Wiedergabe ihrer Worte«. Dabei hatte sie den Text gelesen und genehmigt. »Was ist daran nötigend, wenn Frauke Petry uns das Interview angeboten hat, sie und ihr Sprecher jedes Wort und jeden Satz mehrmals gelesen und schließlich zur Veröffentlichung freigegeben haben,« fragt Dirk Lübke, Chefredakteur des Mannheimer Morgens.

Zurück zu Horst Seehofer und einem Beispiel, das zeigt, wie man ein Interview politisch instrumentalisieren kann: Seehofer gab im Jahr 2012 dem ZDF nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ein Interview zum Zustand der Bundesregierung. Als das offizielle Gespräch bereits beendet war, zog Seehofer richtig vom Leder. Er rechnete mit Norbert Röttgen (CDU) ab, der als Spitzenkandidat antrat, aber sein Amt als Umweltminister nicht aufgeben wollte.

Als Claus Kleber kritisierte, dass Politiker immer nur dann Klartext reden, wenn das Interview beendet ist, sagt er: »Sie können das alles senden.« Das ZDF strahlte das komplette Gespräch aus. Röttgen musste daraufhin als Umweltminister zurücktreten, und Seehofer hatte seine Schlagzeile. (GEA)

GEA KAMPAGNE

Mit der Kampagne »Journalismus zeigt Gesicht« wollen die baden-württembergischen Zeitungsverlage auf die Bedeutung des Journalismus hinweisen und die Arbeit der Journalisten transparent machen. In der Serie beschreiben wir, wie der Alltag in der GEA-Redaktion aussieht, und erklären, nach welchen Kriterien wir arbeiten. (GEA)