METZINGEN. »Temporary Closure« steht auf einem Zettel, der hinter der Glastüre eines Shops in der Outletcity hängt. Vorübergehend geschlossen trotz verlockender Angebote. »50 % on selected items«, verspricht ein Laden, »70 % auf ausgewählte Styles« der nächste, doch tatsächlich ist hier alles hundertprozentig geschlossen. Das ist an jedem Sonntag so gewesen, besonders ist an diesem Spaziergang, dass er wie ein Blick in die nähere Zukunft ist. Die Besucherinformation verkündet in Deutsch und Englisch: »In Folge der Ausbreitung des Covid-19-Virus haben Bundes- und Landesregierungen entschieden, dass Verkaufsstellen des Einzelhandels und Outlets geschlossen werden. Aus diesem Grunde stellen die Marken der Outletcity Metzingen ihren Geschäftsbetrieb vorübergehend ein«. Statt Sonderangeboten ein Schlag für Kundschaft, Handel und 2000 Mitarbeiter. Jedoch auch die Gelegenheit, in aller Ruhe ganz alleine die kommerzielle Weltläufigkeit und architektonische Weitsicht zu besichtigen. Eine einsame Modenschau.
Keine Spur von geschäftigen Gedrängel eines internationalen Millionenpublikums mit Einkaufstüten an beiden Händen. In die Ohren dringen weder deutsche noch englische oder chinesische Sprachfetzen. Vollkommen ungestört spaziert es sich über den weitläufiges Platz inmitten des auf dem Lageplan hellblau eingezeichneten Areals der Outletcity.
Erst jetzt fallen die liebevoll gestalteten Schaufenster so richtig auf. Bei Aigner blühen die Kunstblumen zwischen noblen Ledertaschen unbeeindruckt vom »Shut down« des öffentlichen Lebens. Nur die Puppe mit Goldkette und rotem Mantel wendet ihren Blick nach innen, als ob sie sich dafür schämt keine Kundschaft anstrahlen zu dürfen. Die unsichtbare Gesundheitsgefahr betrifft die Marken aller Länder gleichermaßen.
Im Outlet der italienischen Marke Armani läuft drinnen, aber von draußen gut sichtbar, ein Film wie eine Erinnerung an bessere Zeiten. Schöne schlanke Frauen und Männer laufen mit Taschen und Sonnenbrillen über den Laufsteg. Den Ton dazu liefert der im Wind rauschende Bambus auf dem menschenleeren Platz. Bei der amerikanischen Marke Polo Ralph Lauren steht der laut Preisschildchen »Mann 1« schick gekleidet neben Lederkoffern mit Messingbeschlägen, obschon momentan ja auch die USA strikte Reisebeschränkungen erlassen haben.
Am Informationspunkt flimmert Reklame von den Tigers Tübingen, fordert dazu auf »Jetzt Tickets krallen«. Würde man gerne, aber auch sportlich sind das ja ganz düstere Zeiten. Daran ändern die strahlend weißen Fassaden im Gänslen und Völter Areal wenig. Hübsch anzuschauen sind sie ja, jedoch steht hinter jeder der Säulen ein dickes und fettes aber an der Wand. Aber was für ein riesiger Verlust wird hier jeden Tag verbucht.
Die Weite der Alpenlandschaft am Bauzaun hinter den stehenden Buchstaben Outletcity passt ungewollt zur fast vollständigen Abwesenheit menschlicher Wesen. Selbst die Restaurants müssen geschlossen bleiben. Die Starbucks-Filiale serviert keinen Tropfen von irgendwas, bei Mövenpick tanzen statt Gästen nur Stühle auf den Tischen. Zumindest unter der Woche geöffnet hat die Bäckerei Keim. Erleichtert mögen bedürftige Besucher feststellen, dass die modernen Toiletten der Parkhäuser ebenfalls zugänglich sind. Es wäre auch möglich, sich dort aus den Snackautomaten Knabberriegel oder Erfrischungsgetränke zu holen, um wenigstens einen süßen Geschmack im Mund zu haben.
Die paar Flaneure haben keinerlei Schwierigkeiten den geforderte soziale Distanzabstand von zwei Metern einzuhalten, es dürften gerne auch 200 sein. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, aber die Freude darüber vergeht selbst dem unbeteiligten Beobachter beim Gedanken an tiefrote Bilanzen.
Niemand sammelt Punkte im neuen Outletcity Club, keiner kann die Dienste des Personal Shopping in Anspruch nehmen. Als ob er mitfühlt, macht die männliche Puppe in der Vertretung des Münchner Modeunternehmens Bogner trotz extravagantem rosa Püschelpelz ein sehr bedenkliches Gesicht. Und dem bei Joop von einem Foto strahlenden Trio auf einer Yacht würde sicherlich die gute Laune auch vergehen, wenn sie denn lebendig wären. Gesundheit wünscht nicht nur die Outletcity ihren Gästen. Die antworten in Richtung der Händler bestimmt mit einem »danke, gleichfalls«. (GEA)