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Abenteuer ganz alleine: Ab ins Gewerbegebiet Schrottautos angucken

Was tun, wenn wenig geht? Ganz alleine eröffnen sich in Zeiten des Coronavirus viele Abenteuer, die sonst links oder rechts liegenbleiben. Man muss nur die Augen öffnen, und sich aufmachen. Etwa um im nächstgelegenen Gewerbegebiet schrottreife Autos anzuschauen.

Aus dem Straßenbild ist der VW Käufer längst fast vollständig verschwunden. Dieses Exemplar macht sich offenbar auf die Reise zu
Aus dem Straßenbild ist der VW Käufer längst fast vollständig verschwunden. Dieses Exemplar macht sich offenbar auf die Reise zu einem unbekannten Liebhaber. Foto: Stephan Zenke
Aus dem Straßenbild ist der VW Käufer längst fast vollständig verschwunden. Dieses Exemplar macht sich offenbar auf die Reise zu einem unbekannten Liebhaber.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Normalerweise fährt man ins Gewerbegebiet einkaufen. Doch das stellt einen vor die Qual der Wahl, und kostet Geld. In Zeiten des Coronavirus bietet es sich deshalb an, aus dem bedauerlichen Stillstand das Beste zu machen. Denn jenseits der glänzenden Ausstellunghallen für Neuwagen ist in der Ödnis verwaister Konsumlandschaften für Freunde des Automobils einiges zu entdecken: Mehr oder weniger schrottreife Wagen mit Geschichte.

Längst fast vollständig aus dem Straßenbild verschwunden, steht da etwa ein Volkswagen Käfer auf einem Transporter. Der Kugelporsche hat eine flache Frontscheibe und Rückleuchten in Bügeleisenform, es könnte sich also um ein Modell 1302 aus den 70er Jahren handeln. Kenner erinnern sich, was damals für Aufsehen gesorgt hat: Eine McPherson Vorderachse sowie ein Sicherheitslenkrad mit Prallplatte. Fast jeder verbindet mit einem der meistverkauften Automobile aller Zeiten ganz persönliche Geschichten. Vielleicht die Ausfahrt mit den Großeltern oder die Spritztour mit der ersten Freundin? Einfach mal stehenbleiben, und ins Träumen kommen. Niemand stört einen dabei, keiner kommt einem zu nahe. Nur wenig weiter wartet ein anderer automobiler Leckerbissen, also schwäbisches Schwarzbrot auf Rädern.

Wohl kaum eine andere Mercedes-Baureihe ist so zur Ikone bürgerlicher Mobilität geworden wie der W 123. Auch mit Rostflecken auf dem Dach und ohne den Stern auf der Kühlerhaube wie bei diesem weißen Modell auf einem menschenleeren Hinterhof strahlt die Mittelklasse-Limousine jene Solidität und Sachlichkeit aus, die bei seiner Vorstellung im Jahre 1975 zeitgemäß gewesen ist. Damals wird ein Mercedes noch klar nach dem Motto »Die Form folgt der Funktion« gestaltet. Das zeigt sich an Details wie dem wunderbaren Rundumblick, von dem Fahrer heutiger Autos nur träumen können, bis hin zu den charakteristisch geriffelten Rückleuchten, die auch bei Schmutzwetter halbwegs sauber bleiben. Ein echter Daimler eben, dem als 200 D ein fast ewiges Leben beschert gewesen ist, als man sich statt Feinstaub-Frust noch darüber gefreut hat im Zweifel auch den unversteuerten Landmaschinendiesel tanken zu können. Sieht ja keiner.

Der Mercedes W 123 ist der meistverkaufte Sternenwagen aller Zeiten, und strahlt auch auf dem Hinterhof noch Solidität und Sachl
Der Mercedes W 123 ist der meistverkaufte Sternenwagen aller Zeiten, und strahlt auch auf dem Hinterhof noch Solidität und Sachlichkeit aus. Foto: Stephan Zenke
Der Mercedes W 123 ist der meistverkaufte Sternenwagen aller Zeiten, und strahlt auch auf dem Hinterhof noch Solidität und Sachlichkeit aus.
Foto: Stephan Zenke

Wie aus einer anderen Zeit wirkt auch jener rote Volvo 740 Kombi, der offenbar teilweise ausgeschlachtet aufgebockt am Straßenrand steht. So sieht in den 80er Jahren Sicherheit aus Schwedenstahl aus. Kantig, eckig, für die Ewigkeit gebaut. Niemand stört da eine Starrachse. Die Dauerhaftigkeit der Konstruktion beweist selbst dieses angegammelte Modell durch die weitgehende Abwesenheit sichtbarer Rostflecken. Der nächste Meilenstein in der Geschichte volkstümlicher Automobile steht auf dem Parkplatz eines Schrottplatzes.

Sicherheit aus Schwedenstahl aus den 80er Jahren: Ein Volvo 740 Kombi.
Sicherheit aus Schwedenstahl aus den 80er Jahren: Ein Volvo 740 Kombi. Foto: Stephan Zenke
Sicherheit aus Schwedenstahl aus den 80er Jahren: Ein Volvo 740 Kombi.
Foto: Stephan Zenke

Sanft fällt das Abendlicht auf die grauen Sitzpolster eines Opel Corsa B, der für ganz viele ab Anfang 1993 der erschwingliche Einstieg in ihre Karriere auf vier Rädern ist. Damals mit so unsichtbaren Neuigkeiten wie einer elektrohydraulischen Lenkung sowie einem Full-Size-Airbag. Überhaupt hatten die Rüsselsheimer die Unfallsicherheit ihres kleinsten Modelles auf ein beachtliches Niveau angehoben. Vor dem Hintergrund heutiger digitaler Cockpits lohnt sich auch ein Blick auf eine Instrumententafel, deren Bedienung auch ohne Computergrundkurs möglich ist. Zum Abschluß der Runde durchs Gewerbegebiet steht da noch ein Baby mit mattem Lack.

Wenn die Abendsonne in das graue Interieur einen Opel Corsa B fällt, kommen bei vielen die Erinnerungen an ihren ersten Kleinwag
Wenn die Abendsonne in das graue Interieur eines Opel Corsa B fällt, kommen bei vielen die Erinnerungen an ihren ersten Kleinwagen auf. Foto: Stephan Zenke
Wenn die Abendsonne in das graue Interieur eines Opel Corsa B fällt, kommen bei vielen die Erinnerungen an ihren ersten Kleinwagen auf.
Foto: Stephan Zenke

Gemeint ist ein Mercedes 190, dem die Amerikaner kurzerhand den Kosenamen »Baby-Benz« verpasst haben. Das abgestellte Modell stammt aus der allerersten Serie, denn es hat noch keinen hubgesteuerten Einarmwischer. Die Liste der Innovationen der Baureihe W 201 ist lang, sein Design wirkt auch heute nicht veraltet: Raumlenkerachse, gekapselte Dieselmotoren, für den einseitigen Aufprall ausgelegte Karosserie sowie eben ein Scheibenwischer, der in die Ecken zuckt.

Was für den einen Schrott ist, erscheint dem anderen als sehenswertes Schätzchen. Wo sich nunmehr manche fragen, wie irre das denn ist, blühen andere auf. Ganz bestimmt ist dieses Abenteuer ganz alleine nichts für alle, aber sicherlich absolut ohne Infektionsrisiko. Denn wer macht sich schon freiwillig auf, und besucht ein Gewerbegebiet? Eben! (GEA)

Ein »Baby-Benz«, sprich Mercedes 190, der allerersten Serie. Bis heute wirkt sein Design nicht veraltet, und die Liste der mit d
Ein »Baby-Benz«, sprich Mercedes 190, der allerersten Serie. Bis heute wirkt sein Design nicht veraltet, und die Liste der mit dem kleinen Mercedes vorgestellten Innovationen ist nach wie vor beeindruckend. Foto: Stephan Zenke
Ein »Baby-Benz«, sprich Mercedes 190, der allerersten Serie. Bis heute wirkt sein Design nicht veraltet, und die Liste der mit dem kleinen Mercedes vorgestellten Innovationen ist nach wie vor beeindruckend.
Foto: Stephan Zenke