REUTLINGEN. Die Pressefreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut. Gerichte in der Bundesrepublik haben die Pressefreiheit immer wieder gegen Eingriffe des Staates verteidigt und die Pressefreiheit dabei höher gewichtet als die Sicherheitsinteressen, mit denen Politiker argumentierten, als die Pressefreiheit einschränkten.
Die Spiegel-Affäre 1962 gilt als Meilenstein dafür. Conrad Ahlers und Hans Schmelz hatten den Artikel »Bedingt abwehrbereit« über die mangelnde Ausstattung der Bundeswehr geschrieben. Mehrere Spiegel-Redakteure, darunter Ahlers, sowie Verleger Rudolf Augstein wurden verhaftet. Augstein blieb 103 Tage in Untersuchungshaft. Der Ausgang der Affäre, in deren Verlauf kein Hauptverfahren eröffnet wurde, zwei Staatssekretäre entlassen wurden und der Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß aus dem Kabinett Adenauer ausscheiden musste, wird heute als Stärkung der Pressefreiheit in Deutschland angesehen.
1958 scheiterte im Bundestag die sogenannte »Lex Soraya« mit dem die Berichterstattung über das Privatleben ausländischer Staatsoberhäupter unter Strafe gestellt werden sollte. Bis zur Böhmermann-Affäre 2016 um das vom Moderator Jan Böhmermann im Fernesehen vorgetragene Gedicht »Schmähkritik« über den türkischen Präsidenten Erdogan konnte die Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten nach § 103 bestraft werden. Als Reaktion auf die Affäre wurde der Paragraf 2018 gestrichen.
Dass das Bundesverfassungsgericht die Pressefreiheit weit auslegt, zeigt eine Entschei dung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. August 2024. Das Gericht meldete vor allem Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Verbots des rechten Compact-Magazins an und betonte die Bedeutung der Pressefreiheit. Da Bundesinnenministerin Nancy Faesers Verbotsverfügung zu einer sofortigen Einstellung des Print- und Onlineangebots von »Compact« geführt hätte, komme dem Grundrecht der Pressefreiheit ein besonders Gewicht zu,so die Richter. Solange nicht endgültig über die Klage entschieden ist, könne das Magazin seinen Betrieb fortführen. Faeser hatte »Compact« am 16. Juli auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten. Sie begründete das Vorgehen damit, dass das Blatt ein »zentrales Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene« sei. Der Verlegerverband BDZV sieht die Pressefreiheit heute durch sinkende Auflagen, höhere Zustellerlöhen und eine fehlende Zustellförderung der Politik bedroht.
International ist die Pressefreiheit dagegen bedroht. Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) hat weltweit steigende Gewalt gegen Medienschaffende im Umfeld von Wahlen beklagt. Diese Entwicklung sei besonders besorgniserregend, wie der internationale Verein in seiner jährlichen »Rangliste der Pressefreiheit« mitteilte. Die Lage der Pressefreiheit habe sich weltweit insgesamt gesehen weiter deutlich verschlechtert. Die RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus sagte, man schaue sich das jedes Jahr an und habe leider feststellen müssen, dass nur noch in 45, also in einem Viertel der untersuchten Länder, die Lage gut oder zumindest zufriedenstellend sei. »In 36 Ländern ist sie sehr besorgniserregend. Das heißt, dass dort Journalismus – wie wir ihn kennen – eigentlich kaum mehr stattfinden kann.«
Deutschland hat seine Position auf der Liste deutlich verbessert und steht auf Rang 10. 2023 belegte die Bundesrepublik noch Platz 21.
Norwegen vorne
Zur Methodik der Rangliste: Der Verein vergleicht die Situation für Medienschaffende in rund 180 Ländern. Eine Rolle für die Platzvergabe spielen Sicherheit, politischer Kontext, rechtlicher Rahmen sowie wirtschaftliches und soziokulturelles Umfeld im jeweiligen Land. Der Verein zieht dafür auch Umfragen heran und es werden ausgewählte Journalisten näher befragt. Die Rangliste gibt es seit mehr als 20 Jahren. In die neueste Ausgabe flossen Daten aus 2023 ein.
Der Verein weist darauf hin, dass es vorkommen kann, dass sich Länder im Ranking automatisch deshalb verbessern, nur weil sich andere verschlechtert haben. So erklärt sich RSF zum Teil auch den Sprung, den Deutschland gemacht hat. Zugleich sei die vom Verein registrierte Zahl der Übergriffe auf Journalisten hierzulande zurückgegangen. Man geht allerdings weltweit von einer hohen Dunkelziffer aus.
Auf Platz eins der Rangliste steht zum achten Mal in Folge Norwegen. Dahinter kommen Dänemark (2), Schweden (3), die Niederlande (4), Finnland (5), Estland (6), Portugal (7), Irland (8) und die Schweiz (9) vor Deutschland. Schlusslicht ist Eritrea auf Platz 180. Davor stehen Syrien (179), Afghanistan (178), Nordkorea (177) und der Iran (176).
Wie in der Vergangenheit machen die skandinavischen Länder die Spitzenplätze unter sich aus: Zum achten Mal in Folge liegt Norwegen auf Platz 1. Gründe für die gute Platzierung sind unter anderem die große Unabhängigkeit der Medien von der Politik, der gesetzliche Schutz der Informationsfreiheit sowie der traditionelle Pluralismus der norwegischen Medienlandschaft.
Schlusslicht Eritrea
Ähnlich gut sind die Voraussetzungen für journalistische Berichterstattung in den Nachbarländern Dänemark (2) und Schweden (3). Unter den Top 5 kommen nur die Niederlande (4) – vor Finnland (5) – nicht aus Europas hohem Norden: In dem Land wird die Pressefreiheit traditionell gut durch Gesetze, Staat und Behörden geschützt.
Am unteren Ende der Tabelle befindet sich Afghanistan (178), das 26 Plätze gefallen ist. Unter den regierenden Taliban wurden im vergangenen Jahr drei Journalisten getötet, mindestens 25 Medienschaffende saßen zwischenzeitlich im Gefängnis. Reporterinnen und Reporter müssen weiterhin ständig damit rechnen, durch Sicherheitskräfte der Taliban festgenommen zu werden. Erst kürzlich traf es drei Radiojournalisten in der Provinz Khost, weil sie Musik abgespielt und Zuhörerinnen in ihrer Sendung angerufen hatten. Die Taliban behindern mit Kleidervorschriften und weiteren Einschränkungen insbesondere die Arbeit von Journalistinnen.
Auch in Syrien (179) hat sich die ohnehin katastrophale Lage weiter verschlechtert. Das von Krieg und Terror geschüttelte Land belegt auf der Rangliste der Pressefreiheit den vorletzten Platz. Unabhängig journalistisch zu arbeiten, ist in allen Landesteilen nahezu unmöglich.Seit Jahren in HaftDutzende Medienschaffende sitzen in den Foltergefängnissen des Assad-Regimes, wurden von dschihadistischen Gruppen entführt oder gelten teils seit Jahren als verschwunden. Wenn doch einmal kritische Berichte über die Machenschaften des Regimes nach außen dringen, bestrafen die Behörden die Medien sofort. Ein ebenso rechtsfreier Raum ist Eritrea (180), das neue Schlusslicht auf der Rangliste. Eritrea ist eine Informationswüste, sämtliche existierenden Medien stehen unter direkter Kontrolle des Informationsministeriums. Seit 2001 schottet sich die Diktatur von Isayas Afewerki nach außen hin ab und unterbindet den freien Fluss von Nachrichten und Informationen mit großer Brutalität.
Vier der vor über 20 Jahren festgenommenen Journalisten sitzen bis heute ohne Anklage in Haft, etwa der schwedische Staatsbürger Dawit Isaak. (GEA)