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Aktuell Interview

Reutlinger Mobilitätstage: Auslaufmodell Auto

Autonomes Fahren krempelt die Mobilität gänzlich um. Schon bald werden fahrerlose Vans das Straßenbild vor allem in den Städten prägen, prognostiziert der Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky: Das neue, teils kostenlose Angebot wird die Städte verändern und massive Auswirkungen auch auf den Öffentlichen Personennahverkehr haben. Stadt- und Verkehrsplaner sollten zeitig darauf reagieren, rät der Trendforscher.

Elektrisch angetriebene selbstfahrende Fahrzeuge werden schon bald herkömmliche Autos zunehmend von den Straßen verdrängen, prog
Elektrisch angetriebene selbstfahrende Fahrzeuge werden schon bald herkömmliche Autos zunehmend von den Straßen verdrängen, prognostizieren Zukunftsforscher. Foto: Gea
Elektrisch angetriebene selbstfahrende Fahrzeuge werden schon bald herkömmliche Autos zunehmend von den Straßen verdrängen, prognostizieren Zukunftsforscher.
Foto: Gea

REUTLINGEN. Der alltägliche Pendlerstau, verstopfte Citys, Parkplatzsuche: Die Freude am Autofahren ist vielen längst vergällt: Bis zu 150 Stunden steht der Mensch im Schnitt jährlich in deutschen Städten im Stau. Das Gespenst Fahrverbot ist Wirklichkeit geworden. Mit dem Verkehr verdichtet sich die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann. Wird es auch nicht, sagt der Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky. Er ist der festen Überzeugung, dass Auto fahren, wie wir es heute tun, schon sehr bald ein Auslaufmodell sein wird: Die Zukunft gehört dem Autonomen Fahren.

 

GEA: Macht Ihre jetzt siebenjährige Tochter mit 18 noch einen Führerschein?

Sven Gábor Jánszky: Ich glaube nicht. Für den Alltag wird sie den nicht brauchen. Später macht sie vielleicht mal einen, wenn sie viel Geld hat und sich hobbymäßig gern am Wochenende auf einer abgesperrten Strecke oder einer Rennstrecke ans Steuer eines Luxuswagens setzen will.

Ihre Vision sind selbstfahrende elektrisch angetriebene Vans mit vier bis zwölf Plätzen, quaderförmig mit variablem Innenraum, die nur noch wenig an ein Auto erinnern. Wann kann ich mich in Reutlingen zu Hause von so einem selbstfahrenden Taxi abholen und zur Arbeit bringen lassen?

 

Jánszky: Bis in fünf Jahren werden in vielen großen Städten die ersten Roboter-Taxis fahren. Bis ins Jahr 2030 fahren sie dort flächendeckend. Es wird drei Arten geben: selbstfahrende Fahrzeuge, die allein genutzt werden (»Private Modus«). Einen »Shared-Modus« für Menschen, die regelmäßig die gleiche Strecke fahren, etwa Schulkinder, und sich den Fahrpreis teilen. Und einen »Pool-Modus«, eine Art Sammeltaxi, das ohne feste Strecke Leute aufsammelt und vor allem in Großstädten unterwegs ist.

»Selbstfahrende Roboter-Taxis sind das Ende von ÖPNV und herkömmlichen Taxis«, prognostizieren Sie als Zukunftsforscher. Ein dreistelliger Millionenbetrag soll in absehbarer Zeit in der Region für den Aufbau eines Stadtbahnnetzes investiert werden. Brauchen wir das noch?

Jánszky:Ohne die Region im Detail zu kennen, würde ich sagen: Nein. Die können Sie bis 2025 wieder abbauen.

Foto: Deutsche Presse Agentur
Foto: Deutsche Presse Agentur

Und das zweite Schienengroßprojekt im Großraum: Stuttgart 21?

Jánszky: Der Schienen-Fernverkehr hat weiter ein Alleinstellungsmerkmal: Es gibt zwar keine Staus mehr mit den selbstfahrenden Wagen, aber sie werden vermutlich mit 130 bis 150 Stundenkilometern nicht wahnsinnig schnell unterwegs sein. Ein ICE ist deutlich schneller. So ist das Autonome Fahren keine Konkurrenz für Hochgeschwindigkeitsstrecken und innerdeutsche Flüge. Die Bahn wird reagieren und neue Angebote machen. In ihren Zukunftsstudien sind Arbeitswagen, Waggons mit Fitnessstudios und Friseur vorgesehen.

 

Wer sind die zentralen Akteure Ihrer Mobilitätswende?

Jánzsky: Technologisch die Hersteller der Roboter-Taxis. Gestalten müssen sie die Städte. Die öffentlichen Nahverkehrsgesellschaften werden schließlich vom Geschäftsmodell her am stärksten angegriffen. Warum sollte ich mich noch in ein Massenverkehrsmittel setzen, wenn ich ein attraktives Alternativangebot habe? Die Kommunen sollten die Roboter-Taxis hinstellen – oder sie werden beiseite gedrängt durch private Anbieter. Für die Städte ist das eine großartige Chance, die Daseinsvorsorge im Bereich Mobilität zu verbessern mit einem Angebot von Tür zu Tür, das kostengünstig ist und für alle verfügbar, also auch für Leute, die zu jung oder zu alt zum Autofahren sind – oder zu betrunken. Die Stadtverwaltungen müssen dazu aber ihre ideologische Fixierung auf den Massenverkehr loslassen und vom richtigen Zukunftsbild ausgehen.

 

»Die Stadtbahn können Sie bis 2025 wieder abbauen«

 

Verkehrsentwicklung ist Stadtentwicklung: Wie verändert die neue Mobilität die Städte?

Jánszky: Wir brauchen keine Parkplätze mehr. Innenstädte bekommen Freiräume für neue Wohnungen, für Grünflächen. Die neue Mobilität stoppt auch den Trend, dass Senioren zunehmend den ländlichen Raum verlassen und in die Städte ziehen wollen. Sie könnten wohnen bleiben, weil Stadt und Land näher zusammenrücken. Wie schnell das alles kommt, hängt auch von der örtlichen Politik ab.

 

Was sollen die Reutlinger Stadtplaner konkret als Nächstes tun?

 

Jánszky: Die Veränderungen in die Stadtentwicklung einplanen und sich mit einem Roboter-Taxi-Hersteller in Verbindung bringen. Andere Städte machen es vor: In Hamburg beispielsweise soll dieses Jahr ein fahrerloser Kleinbus auf eine Teststrecke in der I

nnenstadt gehen. Betreiber ist die Hamburger Hochbahn. Das ist also ein städtisches Projekt. Auch in Ulm und Ingolstadt gibt es diesbezüglich sehr aktive Bürgermeister.

 

 

Sie prognostizieren auch kostenlosen ÖPNV?

Jánszky: Der Pool-Modus wird nahezu kostenlos sein, unter anderem durch Werbung während der Fahrt. Über die Bestellapp fürs Taxi gebe ich auch Daten frei. Das Taxi könnte dann fragen: Soll ich Dich bei Saturn absetzen, da gibt es den Fernseher, den Du gestern gesucht hast, billiger.

… also nicht wirklich kostenlos. Daten sind ja Geld wert. Ein weiterer Schritt zum gläsernen Menschen?

Jánszky: Nichts ist kostenlos. Aber jeder hat die Wahl. Ich muss abschätzen, was es mir wert ist, meine Daten freizugeben. Das ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung. Die Datenfrage sollte aber nicht pauschal von der Regierung entschieden werden sollte. Jeder sollte das Recht bekommen, damit zu machen, was er will. Auch Deutschland wird sich gegen den weltweiten Trend selbstfahrender Systeme nicht querstellen. Die Automobilbranche ist so wichtig für uns. Wir müssen vorn sein. Die Regierung ist noch eine Bremse, aber die wird gelockert werden.

 

Wenn jeder Meter billig, bequem und staufrei mit dem E-Van zurückgelegt wird: Wird es im Endeffekt sogar mehr Verkehr in den Städten geben?

Jánszky: Das Volumen bleibt unseren Prognosen nach in etwa gleich, weil die Autos, in denen nur noch eine Person sitzt, weniger werden. Es entwickelt sich außerdem ein marktgetriebenes System wie das des Mobilitätsdienstleisters Uber: Wenn alle Taxis ausgebucht sind, ist der Fahrpreis hoch. Dann nehmen die Leute keinen Privat-Van, sondern ein Shared-Modell. Oder ich laufe zu Fuß. Das System wird den Verkehr austarieren, die Rush Hour entschärfen. Die selbstfahrenden Taxis fahren im Übrigen auch Kisten durch die Gegend. Das gibt dem Onlinehandel stärkeren Auftrieb, weil der Transport quasi nichts mehr kostet.

Wer fährt noch Rad oder geht zu Fuß – wird der Mensch der Zukunft noch bequemer?

 

Jánszky: Die theoretische Gefahr besteht natürlich. Es gilt, gewonnene Zeit sinnvoll zu nutzen. Etwa mit Sporttreiben. Der Mensch der Zukunft übernimmt immer mehr Verantwortung für sich. Im Homeoffice wie beim Selbst-Körpermanagement.

Ihr Mobilitätsszenario soll schon bald Wirklichkeit werden. Was halten Sie vor diesem Hintergrund von der Fahrverbotsdebatte?

Jánzsky: Saubere Luft ist ein wichtiges Ziel. Aber die aktuelle Dieseldebatte hat null Wert für die Zukunft. Es werden nur Zeit, Geld und Geist verschwendet. Ich würde in Reutlingen lieber darüber diskutieren, wie man bis in zwei Jahren auf einer Teststrecke eine erste Flotte von stromangetriebenen Roboter-Taxis fahren lassen kann. Das verspräche nachhaltige Verbesserung für die Umwelt. (GEA)

 

REUTLINGER MOBILITÄTSTAGE

Sven Gábor Jánsky blickt nach vorn: Am 27. März in Reutlingen

Im Rahmen der Reutlinger Mobilitätstage ist der Trendforscher Sven Gábor Jánszky (45) mit seinem Vortrag »Mobilität 2030« am Mittwoch, 27. März, 19.30 Uhr, zu Gast in der Kundenhalle der Kreissparkasse Reutlingen. Dort nimmt er die Gäste mit auf eine Zeitreise: Die Zukunft sieht der Redner in intelligenten Fahrsystemen und dem Autonomen Fahren. Der ausgebildete Journalist ist Gründer des »2b AHEAD ThinkTank«. Die Denkfabrik bezeichnet sich als »größtes unabhängiges europäisches Trendforschungsinstitut«.

Seine Prognosen basieren nach Angaben des Zukunftsforschers auf rund zweistündigen Interviews mit den Strategie- und Entwicklungschefs prägender Unternehmen wie Autoherstellern, Google oder Facebook. Drei Hauptfragen seien dabei: »Was tut ihr gerade und warum, und was glaubt ihr, was in fünf bis zehn Jahren daraus wird.« 25 bis 30 Interviews reichten – etwa für eine Mobilitätsstudie – völlig aus, sagt Jánszky. Denn: »Es gibt nur wenige, die über den Gang der Dinge entscheiden in der Welt.«

Reutlinger Mobilitätstage: Am 30. und 31. März Messe dreht sich in der Stadthalle und drum herum alles ums Thema Mobilität. Es geht um Elektrofahrzeuge und alternative Antriebe, Autonomes Fahren und die Herausforderungen des ÖPNV.

Radmesse Bike & more: Im Rahmen der Mobilitätstage präsentieren Aussteller aus der Region Modelle und Trends. Räder stehen zum Testen bereit. Action verspricht auch ein Pumptrack.

Karten: Im Vorverkauf gibt es das Kombiticket für 6 Euro (ermäßigt 3 Euro) für Messe und Busticket im Naldo-Gebiet. (GEA)

 

www.easyticket.de

www.mobilitaetstage-rt.de