REUTLINGEN. Was für eine Festtafel, was für eine große Auswahl an unterschiedlichsten Speisen, mit einer riesigen Variation an (für den schwäbisch geprägten Gaumen ungewohnten) Gewürzen. Für den Sonntagabend hatte rund ein Dutzend muslimischer Familien diese Vielfalt an Köstlichkeiten vorbereitet, gekocht, gebacken und gestaltet.
Warum? Seit dem 1. März ist Ramadan, seitdem essen und trinken gläubige Muslime zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang nichts. Es wird gefastet bis zum Abend, wie Hatice Uludag vom Forum für kulturelle Begegnung betonte. Hinzu komme nach den Worten von Frieder Leube als Vertreter der evangelischen Kirche, dass nach dem Aschermittwoch (am 5. März) auch im christlichen Glauben die Fastenzeit begonnen hat.
Das Forum hatte also angefragt, ob ein gemeinsames Fastenbrechen mit der katholischen und evangelischen Kirche möglich wäre. Die Nikolaikirche wurde zum zweiten Mal als Ort ausgewählt. Die Organisation, wer was und wie viel kocht, »das lief alles über WhatsApp«, sagte Uludag. »Sonst wäre die Koordination gar nicht möglich gewesen.«
Knapp 70 Teilnehmer hatten sich für diese besondere Runde angemeldet. Bernhard Bosold von der katholischen Kirche fand »besonders faszinierend, dass dieses Fastenbrechen, das gemeinsame Essen am Abend oft besonders feierlich mit Nachbarn geteilt wird«. Dabei gehe es laut Hatice Uludag aber nicht allein um die Nahrungsaufnahme, sondern genauso darum, »den Austausch, Verständnis und das Miteinander zu fördern«.
Leube betonte: »Was uns eint, ist die Mitmenschlichkeit.« Sowohl in der muslimischen als auch in der christlichen Religion sei die Fastenzeit »eine Zeit der Achtsamkeit und des Brücken-bauens«. Liebe, Respekt und gelebte Menschlichkeit würden diese Zeit der Besinnung und der inneren Reinigung prägen, während aber nicht nur auf Essen und Trinken verzichtet werde, sondern auch auf die alltäglichen, kleinen oder größeren Sünden und schlechten Angewohnheiten.
»Es geht darum, die Zunge zu reinigen und auch die Augen – etwa mit Handyverzicht«, so Uludag. Das Forum für kulturelle Begegnung sei besonders bestrebt, genau das zu fördern, was der Name des Forums schon aussagt – offen zu sein für andere Menschen, auch außerhalb des eigenen Kulturkreises.
Genau dieser Punkt faszinierte neben dem Essen: Mit Menschen zusammenzukommen, denen man auf der Straße kaum je begegnet wäre. Mit einem jungen Unternehmensberater etwa und einem Physiker, der sein eigenes Startup gegründet hat. An diesem Abend in der Citykirche ging es zudem um Barmherzigkeit. Sowohl im christlichen wie auch im muslimischen Glauben sei diese zentral. »Wie kann man gegen Barmherzigkeit sein«, fragte Frieder Leube. Die positive Wendung von »was du nicht willst, was man dir tut, das füg' auch keinem anderen zu« sei die zentrale Regel in nahezu allen Religionen. Das stimmt, kam sofort die muslimische Replik: »Barmherzigkeit berührt uns alle, wir teilen diesen Wert mit allen Religionen.« (GEA)