REUTLINGEN/TÜBINGEN. Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt ist in den vergangenen fünf Jahren in ganz Deutschland deutlich angestiegen. Die Täter sind zum Großteil Männer, die Opfer Frauen. In Tübingen gibt es einen Verein, der seit 2002 mit diesen Männern arbeitet, der sie mit einem Gewaltsensibilisierungsprogramm dazu bringen will, ihr Fehlverhalten zu erkennen und ihre Aggressionen kontrollieren zu können. Der Verein nennt sich »Pfunzkerle«.
»Beim Thema Häusliche Gewalt haben wir ein Standardprogramm«, erklärt Holger Tewes, der bei den »Pfunzkerlen« für den Arbeitsbereich »Männerarbeit, Beratung und Training für gewalttätige Männer« zuständig ist. Dieses Programm bestehe anfangs aus fünf bis sieben Einzelgesprächen, um »die Situation zu erfassen und Auswege aus einer aktuellen Krise anzubieten«.
Männer sollen lernen, mit Eskalationssituationen umzugehen
Danach folgen 24 Gruppensitzungen mit jeweils drei Stunden, in denen die Männer sich mit ihrer eigenen Geschichte, den Gewalterfahrungen und der Tatsituation auseinandersetzen sollen. Diese Sitzungen »weichen ab von einem reinen Anti-Aggressionstraining«, sagt Tewes. Es gehe dabei nicht um die Frage, »es darf keine Aggression sein, sondern um die Frage, wie gehe ich mit meinen Impulsen um«.
Tewes Kollege Armin Amann erläutert diese Vorgehensweise noch genauer: »Wenn jemand meine Grenzen missachtet, kann ich auch mal wütend werden, und das ist okay.« Wichtig sei dann aber, »wie ich mit dieser Wut umgehe«. Und später die Erkenntnis: »Egal, was passiert, ich behalte die Kontrolle über mich.« Es sei entscheidend, dass es in einer solchen Eskalationssituation »nicht zum Kontrollverlust kommt und man Herr seiner Sinne und Handlungen bleibt«, so Amanns Erklärungen zum speziellen Sensibilisierungstraining des Vereins.
Wie finden die Männer nun zu den »Pfunzkerlen«? Einige von ihnen kommen aus eigenem Antrieb, mit der Aussage: »Meine Familie, meine Kinder sind in Gefahr, ich hab mich nicht mehr unter Kontrolle, ich muss was tun«, berichtet Tewes. »Sie wollen, dass wir ihnen ein Angebot machen.« Die Motivation dieser Männer, nach einem Gewaltausbruch etwas zu tun, sei sehr hoch. Sie wollten sich ihrem eigenen Versagen stellen und suchten nach einem Weg aus ihrer schwierigen Situation. Oft seien diese Männer vorher schon beim Jugendamt gewesen und von dort »zu uns geschickt worden«.
Ein weiterer Teil der Männer kommt eher nicht freiwillig. Gerichte in Reutlingen, Tübingen, aber auch in Münsingen und Bad Urach schicken sie zu den »Pfunzkerlen« mit der Aufforderung: Wenn sich die gewalttätigen Männer dem Sensibilisierungsprogramm unterziehen, wird das Verfahren gegen sie eingestellt. Oder die Zuweisung ist Teil einer Bewährungsauflage.
In der Gruppentherapie kommt es auf die richtige Mischung an
Bei den »Pfunzkerlen« werden diese beiden recht unterschiedlichen Gruppen dann für die Gruppentherapie gemischt. Eine solche Gruppe besteht aus acht bis neun Männern. Tewes weiß, dass die Freiwilligen, Selbstmelder genannt, »mit ihrem Anspruch die Latte ein bisschen hoch legen«. Diese Männer könnten ihr Ziel formulieren, »sie können darüber reden, was sie nicht mehr wollen«. Die Männer dagegen, die von den Gerichten geschickt wurden, würden eher versuchen, ihr Verhalten zu bagatellisieren. Sie würden in den Sitzungen aber erkennen, »aha, so kann ich auch damit umgehen. Sie orientieren sich dann meist an den anderen«.
Für Tewes ist das Spannungsfeld zwischen den beiden Gruppen von Männern das große Plus für die Sitzungen. Amann: »Es ist wichtig, dass wir beides haben«. Allerdings ist er sich auch bewusst, dass es sich dabei um einen Balanceakt handelt. »Wir müssen die Männer einerseits empathisch begleiten, ihnen zuhören, sie ernst nehmen, andererseits aber auch damit konfrontieren, mit dem, was sie getan, worin sie sich verstrickt haben«.
Runder Tisch gegen »Häusliche Gewalt«
Wo kommen die Männer, die bei den »Pfunzkerlen« auftauchen, her? »Wir haben viele Männer aus dem Kreis Reutlingen«, stellt Amann fest. Dies habe sogar einen Vorteil. Wenn diese Männer nach Tübingen fahren, »sind sie ein bisschen anonymer unterwegs und fühlen sich sicherer auch mit schambesetzten Themen«.
Die »Pfunzkerle« sitzen in Reutlingen auch an einem Runden Tisch gegen Häusliche Gewalt. »Das ist eine riesige Runde«, erklärt Amann, mit Vertreterinnen und Vertretern aus dem Sozial- und Jugendamt, aus der Bewährungshilfe, der Staatsanwaltschaft, den Gerichten (Amts- und Familiengerichte), aus dem Frauenhaus, aus verschiedenen Beratungsstellen und auch von Seiten der Polizei. Amann: »Es ist sehr wichtig, sich interdisziplinär auszutauschen.«
Gewaltprävention in Kinderhäusern
Der 1995 gegründete Verein hat aber ganz anders angefangen. Zuerst ging es um den theoretischen Unterbau, um Forschungsarbeit und die Frage, wie kann »soziale und pädagogische Arbeit für Jungs und Männer und zwar von Männern« aussehen.
Ab 1998 »ging es mit der Gewaltprävention los«, sagt Amann. Zuerst gezielt in Kinderhäusern, später in Grundschulen, zusammen mit dem Verein »Tima«, dem Mädchen- und Frauenpendant zu den »Pfunzkerlen«.
Kriminacht und »Pfunzkerle«
Der Erlös der diesjährigen Kriminacht am Freitag, 6. Dezember, um 19 Uhr, am Burgplatz in Reutlingen geht an den Verein »Pfunzkerle«, eine Fachstelle für Jungen- und Männerarbeit. Der in Tübingen ansässige Verein (Unter dem Holz 3) bietet Männern, die im sozialen Nahraum gewalttätig geworden sind, Einzelgespräche und Gruppentherapien an. Ziel ist es, diesen Männern zu helfen, ihre Gewaltbereitschaft zu reflektieren und die Kontrolle über ihr Verhalten zurückzugewinnen. Von den Gewaltsensibilisierungsprogrammen profitieren nicht nur Männer aus Tübingen, sondern auch aus Reutlingen und Umgebung. Wer den Verein »Pfunzkerle« (www.pfunzkerle.org) unabhängig von der Kriminacht, für die es nur noch wenige Restkarten gibt, unterstützen möchte, kann dies mit einer Spende tun. Überweisungen mit dem Stichwort »Kriminacht« sind möglich auf das Konto der KSK Tübingen, IBAN: DE63 6415 0020 0004 6237 75. (vit)
Im Jahr 2001 wurde vom Gesetzgeber das Platzverweisverfahren gegen Häusliche Gewalt installiert. Als es dann darum ging, wer sich um diese gewalttätigen Männer kümmert, denen der Haustürschlüssel abgenommen wurde, »da haben wir deutlich die Hand gestreckt und gesagt, wir machen das. Und so machen wir das bis heute. Das Thema Häusliche Gewalt ist ein zentraler Baustein unserer Arbeit«.
Im Jahr 2018 haben die »Pfunzkerle« noch die Rückfallprävention für Jugendliche, die sexuell übergriffig geworden sind, in ihr Angebot aufgenommen. Die »Pfunzkerle« arbeiten auch mit Männern, die selbst von Gewalt betroffen sind. Dies ist auch beim Thema Häusliche Gewalt so. »Davon sind auch Männer betroffen«, erklärt Amann. Bei diesem Thema gebe es eine hohe Dunkelziffer. Oft werde diesen Männern nicht geglaubt, dass sie von ihren Frauen geschlagen wurden, so Amann. Er kritisiert dabei auch, dass es in Baden-Württemberg nur eine Schutzwohnung in Stuttgart für diese Männer gebe. (GEA)