BERLIN. Vor der Schaltkonferenz der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel rückt die Debatte über den Umgang mit den Schulen angesichts der hohen Infektionszahlen in den Fokus.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach sich dafür aus, die Schulen auf jeden Fall offen zu halten, warnte aber vor einer Fortsetzung des bisherigen Schulbetriebs. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft forderte eine Entscheidung für Wechsel zwischen Home-Schooling und Präsenzunterricht. Sicher scheint, dass die im November verhängten Corona-Beschränkungen wohl fortgesetzt werden.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will zwei Wochen nach dem Start der für November angesetzten jüngsten bundesweiten Kontaktbeschränkungen an diesem Montag (14.00 Uhr) mit den Ministerpräsidenten der Länder eine Zwischenbilanz ziehen. Die Bundesregierung hat bereits klar gemacht, dass sie angesichts der bis zuletzt gestiegenen Zahlen derzeit keinen Anlass für Lockerungen sieht. Freizeiteinrichtungen sind derzeit geschlossen, Hotels dürfen keine Touristen beherbergen.
Lauterbach sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag): »Wir kommen in eine Situation hinein, wo der Schulbetrieb für Kinder, Lehrer, Eltern und Großeltern zu einem hohen Risiko wird.« Er riet dazu, die Schulklassen aufzuteilen und »im Winter durchgehend mit Maske« zu unterrichten. Kinder im Alter von 10 bis 19 seien so ansteckend wie Erwachsene. Jedenfalls gehe er davon aus, dass der »Wellenbrecher-Shutdown« verlängert werden müsse. »Neben den Schulen ist eine zu geringe Beschränkung privater Kontakte wahrscheinliche Ursache.«
Marlis Tepe, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, forderte von der Politik, bei den Corona-Beratungen Wechselunterricht ab einem Sieben-Tage-Inzidenz-Wert von 50 zu beschließen. »Ich erwarte, dass es eine Entscheidung für den Wechselunterricht gibt«, sagte sie der »Passauer Neuen Presse« (Samstag). »Wir müssen die Gesundheit von Lehrern, Schülern und deren Eltern schützen.« Der Präsenzunterricht sei sehr wichtig, aber nicht um jeden Preis.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) lehnt die Idee etwaiger Schulschließungen wie im Frühjahr strikt ab. »Wir haben in einem großen Kraftakt viele Bereiche des öffentlichen Lebens geschlossen, damit Kitas und Schulen offenbleiben können, weil wir schmerzlich erfahren haben, wie sehr viele Kinder und ihre Familien in der Zeit der Schulschließung gelitten haben«, sagte sie der »Rheinischen Post«. »Daher halte ich die Diskussion um Schulschließungen aktuell für falsch.«
Derweil stellte Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus die Bürger auf weitere harte Wochen ein. Damit nicht wie bei europäischen Nachbarn deutliche schärfere Mittel wie Ausgangssperren, Schließungen von Geschäften und Massentests nötig seien, »müssen wir (..) in den nächsten Wochen erhebliche Anstrengungen unternehmen«, schrieb der CDU-Politiker in einem der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegenden Brief an die Mitglieder der Unionsfraktion. Nach zwei Wochen Teil-Lockdown stelle man fest: »Der Trend bei Corona ist leider noch nicht durchbrochen.« Ziel sei es, »von den hohen Zahlen runterzukommen - nicht nur, die Dynamik des Anstiegs abzuschwächen«.
Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) stellte für die Ministerpräsidentenkonferenz eine »ungeschminkte Bestandsaufnahme über die Pandemielage in Deutschland« und eine mögliche Verschärfung der Schutz-Maßnahmen in Aussicht. »Wir müssen kritisch prüfen, ob unsere bislang ergriffenen Maßnahmen ausreichen, um das Infektionsgeschehen in Griff zu bekommen, oder ob wir und wo wir gegebenenfalls nachbessern oder sogar noch nachschärfen müssen«, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Samstag).
Die Veranstaltungs- und Messebranche forderte die Politik auf, langfristige Hilfsstrategien für ihren Wirtschaftszweig zu entwickeln. Zunächst sei die Event-Branche zufrieden mit den konkretisierten Novemberhilfen, sagte Tom Koperek, Mitgründer des Aktionsbündnisses »Alarmstufe Rot« der Kultur- und Veranstaltungsbranche, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag). Die Branche trage alle Maßnahmen mit, müsse sich dann aber auch auf kontinuierliche Hilfsmaßnahmen verlassen können, so lange die Krise dauert.
Der Zentralverband der Messe-Veranstalter kritisierte, dass die Bundesregierung auch Wirtschaftsmessen als »Freizeit-nahe Veranstaltungen« eingestuft und untersagt habe. »Der zweite Lockdown verhindert für viele Unternehmen Geschäftschancen, die sie dringend brauchen«, sagte der Geschäftsführer des Verbands der deutschen Messewirtschaft (AUMA), Jörn Holtmeier, dem RND.
Der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) appellierte an Merkel und die Ministerpräsidentenkonferenz, bei ihrem Treffen von einer Verlängerung der Corona-Einschränkungen abzusehen. »Wir erwarten, dass nicht schon am Montag Entscheidungen für Dezember getroffen werden«, sagte Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges der »Rheinischen Post« (Samstag). Die Entwicklung des Infektionsgeschehens solle abgewartet werden.
Lauterbach wies darauf hin, neue Studien bestätigten die enorme Bedeutung von Restaurants, Cafés, Bars, Hotels und Fitnessräumen für die Ausbreitung des Coronavirus. »Genau dort entstehen Superspreader-Ereignisse«, sagte Lauterbach den Zeitungen der Funke Mediengruppe. »Wenn wir diese Orte wieder öffnen wie vor dem Shutdown, sind wir in kürzester Zeit wieder dort, wo wir waren: im exponentiellen Wachstum.«
Derweil forderten Deutschlands Klinikärzte die Bundesländer mit vielen Corona-Fällen zu einem Stopp verschiebbarer Eingriffe in den Krankenhäusern auf. In einer der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Erklärung kritisieren die Ärzteorganisation Marburger Bund und die intensivmedizinischen Fachgesellschaften, dass Krankenhäuser aus Umsatzgründen ihre Kapazitäten nicht auf Covid-19-Patienten konzentrierten. »Die Krankenhäuser in stark belasteten Regionen müssen unverzüglich von der Politik aufgefordert werden, plan- und verschiebbare stationäre Eingriffe je nach Belastungssituation zu reduzieren beziehungsweise einzustellen.«
In Deutschland haben die Gesundheitsämter dem Robert Koch-Institut (RKI) 22.461 neue Corona-Infektionen binnen 24 Stunden gemeldet. Das sind 1.081 Fälle weniger als am Freitag, wie aus den Angaben des RKI vom Samstagmorgen hervorgeht. Auch im Vergleich zum Samstag vergangener Woche ist der Wert etwas niedriger. Zu dem Zeitpunkt hatte die Zahl gemeldeter Neuinfektionen bei 23.399 gelegen.
Ziel der Bundesregierung ist es, an eine Sieben-Tage-Inzidenz von 50 heranzukommen. Erst dann sei es wieder möglich, dass die Gesundheitsämter einzelne Kontakte von Infizierten nachvollziehen könnten. Diese Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche liegt seit Tagen deutlich über 130. (dpa)