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Aktuell Pandemie

Neue Machtpolitik und die Not der armen Länder

Im globalen Rennen um Impfstoffe haben arme Länder kaum eine Wahl. Die Hilfe des Westens rollt erst schleppend an, doch China, Russland und Indien liefern schon fleißig - und bauen ihren Einfluss aus.

Coronavirus - Impfstoffdiplomatie
Im globalen Rennen um Impfstoffe haben arme Länder kaum eine Wahl. Die Hilfe des Westens rollt erst schleppend an, doch China, Russland und Indien liefern schon fleißig - und bauen ihren Einfluss aus. Foto: dpa/Golovkin
Im globalen Rennen um Impfstoffe haben arme Länder kaum eine Wahl. Die Hilfe des Westens rollt erst schleppend an, doch China, Russland und Indien liefern schon fleißig - und bauen ihren Einfluss aus.
Foto: dpa/Golovkin

PEKING. China, Russland und Indien: Lange bevor die globale Impfinitiative Covax vergangene Woche die ersten 600.000 Impfdosen an das erste Empfängerland Ghana schickte, haben die drei Länder zusammen schon Millionen Impfdosen an Dutzende arme Länder geliefert.

Während die reiche westliche Welt mit ihrer Impfhilfe für die ärmeren Länder nur langsam in die Gänge kommt, bieten sich China, Russland und Indien als Retter in der Not an. Impfstoffe sind die neue Währung der Diplomatie.

Kritiker beklagen eine »neue Machtpolitik«, ein Ringen um Einflusssphären in Afrika, Lateinamerika, Asien oder selbst Osteuropa. Aber viele Länder haben oft gar keine andere Chance. Die Alternative wäre, keine oder zu wenig Impfstoffe zu bekommen oder zu lange darauf warten zu müssen. »In der Pandemie bedeutet Zugang zu Impfstoffen, dass Leben gerettet werden können«, sagt Achal Prabhala von der Shuttleworth Stiftung in Südafrika, der in der People's Vaccine Campaign, einer Dachorganisation der Entwicklungsorganisation Oxfam, mitarbeitet und sich für fairen Zugang zu Medizin einsetzt.

Er weist Bedenken zurück und fragt: »Sollte sich nicht die vorrangige Frage darauf konzentrieren, wie in der Pandemie Leben gerettet werden, und weniger darauf, wie das Spiel am Ende aussieht oder welche möglicherweise diabolischen politischen Konsequenzen diese Impfdiplomatie langfristig hat?«. Natürlich bauten China, Russland und Indien ihre Softpower aus oder verbesserten ihr Ansehen - so wie es auch westliche Geberländer täten. »Es ist nicht völlig selbstlos.«

Entwicklungsländer müssen endlos warten

Entwicklungsländer müssten demnach »endlos« auf ausreichend Impfstoffe über die Covax-Initiative warten, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Impfallianz Gavi organisieren. Es würde bis zum Jahr 2024 dauern, um eine ähnlich hohe Impfquote zu erreichen, wie sie in westlichen Ländern angestrebt ist. »China und Russland leisten viel bessere Arbeit. Um ein Vielfaches«, findet Prabhala. Auch gingen sie kooperativer an das Vorhaben heran, indem sie Anlagen zur Produktion von Impfstoffen in anderen Ländern bauten, was attraktiv sei.

Die Covax-Kampagne, für die beim virtuellen Gipfel der sieben großen Industrienationen (G7) vor einer Woche Finanzmittel in Milliardenhöhe verkündet wurden, kauft bei westlichen Impfstoffherstellern. Diese werden von Kunden überrannt, die bereit sind, auch mehr zu zahlen. China hat Covax zehn Millionen Dosen zur Verfügung gestellt. Die aufstrebende Weltmacht kooperiert aber selbst schon direkt mit rund 80 Länder - von Ungarn bis Sri Lanka, den Vereinigten Arabischen Emiraten bis Simbabwe, Laos bis Peru. Laut Außenministerium bekommen 53 Länder die Vakzine aus China gespendet, weitere 23 kaufen Lieferungen.

Nach Schätzungen haben China, Russland und Indien schon Zigmillionen Impfdosen in alle Welt geliefert, sei es verkauft oder gespendet. Russlands Medien feiern Sputnik V als Exportschlager, der mehr Milliarden einbringen könne als der russische Waffenhandel. Es gebe Bestellungen in Millionenhöhe aus der ganzen Welt. Zuletzt hätten mehr als 35 Länder den russischen Impfstoff registriert, heißt es. Bekannt ist, dass erste Staaten mit Sputnik-Impfungen begonnen haben, darunter das EU-Land Ungarn sowie Belarus und Venezuela.

Indien verschenkt Impfstoff in andere Länder

Fast zeitgleich mit dem Start seiner Impfkampagne im eigenen Land begann Indien, die Fläschchen ins Ausland zu verschenken - bislang 6,75 Millionen Dosen laut Außenministerium. Indien nennt die Hilfe »VaccineMaitri«, auf Deutsch »Impfstofffreundschaft«. Zunächst waren Nachbarländer dran, dann folgten andere Staaten. Zudem hat Indien weitere 29,44 Millionen Dosen ins Ausland verkauft.

Indien hofft auf einen Zugewinn an Einfluss – besonders angesichts seines großen Rivalen Chinas, wie Experten sagen. China hat zunehmend Einfluss in Südasien gewonnen, was Indien eigentlich als seine Sphäre betrachtet. Wirtschaftlich und militärisch ist Indien zwar China unterlegen. Doch bei Impfstoffen hat Indien die Nase vorn, stellt rund 60 Prozent des weltweiten Bedarfs her. Premierminister Narendra Modi betont, dass Impfstoffe aus Indien der Menschheit helfen sollten.

In Indien haben etliche Hersteller Lizenzverträge mit ausländischen Firmen, und sie forschen daneben an eigenen Vakzinen. So wird in Indien etwa der im Land auch zugelassene Astrazeneca-Impfstoff hergestellt. Später sollen auch Novavax oder Sputnik folgen. Um mehr Impfstoffe für die Welt herzustellen, fordern Länder wie Indien und Südafrika sowie ein Bündnis aus Entwicklungsorganisationen, den Patentschutz auszusetzen und die Technologie gemeinsam zu nutzen.

Diese Lösung scheitere aber an der »Blockade von wohlhabenden Ländern und Pharmakonzernen«, die Patente hielten und somit hohe Profite einstreichen könnten, wie das internationale Kinderhilfswerk World Vision beklagt. »Nationale Eigeninteressen sollten in den Hintergrund treten, da wir pandemietechnisch alle im selben Boot sitzen«, sagt Fiona Uellendahl von World Vision. »Wenn zuerst der reiche Norden geimpft ist, und Länder des Südens noch lange warten, bis die Bevölkerung durchgeimpft ist, kann sich das Virus mit all seinen Mutanten munter vermehren und auch wieder in den Norden einfallen.« (dpa)