BERLIN. Es ist für Millionen von Beschäftigten die neue Normalität: Arbeiten von zuhause. Vor Beginn der Corona-Pandemie war Homeoffice die Ausnahme, nun ist die Arbeit im heimischen Wohnzimmer oder am Küchentisch für viele zum Alltag geworden.
Aber geht noch mehr und soll es statt Appellen der Politik Vorgaben für Firmen geben, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen? Angesichts der Verlängerung des Lockdowns bis Ende Januar hat die Debatte wieder Fahrt aufgenommen.
Bund und Länder hatten nach ihren Beratungen am Dienstag die Arbeitgeber »dringend gebeten«, großzügige Homeoffice-Möglichkeiten zu schaffen. Das reiche aber nicht aus, um die Infektionszahlen in den Griff zu bekommen, kritisierte die Reutlinger Grünen-Politikerin Beate Müller-Gemmeke: »Wir brauchen ein Recht auf Homeoffice und ein Homeoffice-Gebot, das sich an die Arbeitgeber richtet.«
Der Präsident des Digitalverbandes Bitkom, Achim Berg, sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Für die gesamte Dauer der Pandemie ist es ein zwingendes Gebot, ausschließlich im Homeoffice zu arbeiten, sofern es die berufliche Tätigkeit zulässt.« Alle Arbeitgeber seien gefordert, großzügige Regelungen zu schaffen, um ihrer Verantwortung in dieser historischen Situation gerecht zu werden. »Das gilt insbesondere für öffentliche Arbeitgeber, die mit gutem Beispiel vorangehen müssen.«
Aktuell arbeitet jeder vierte Berufstätige ausschließlich im Homeoffice, wie eine repräsentative Befragung im Bitkom-Auftrag von Anfang Dezember ergab. Das entspreche 10,5 Millionen Berufstätigen. Auf weitere 20 Prozent treffe das zumindest teilweise zu. Vor dem Beginn der Pandemie hatten demnach nur 3 Prozent der Berufstätigen ausschließlich im Homeoffice gearbeitet, weitere 15 Prozent teilweise. Der am meisten genannte Nachteil: Der fehlende persönliche Austausch mit den Kollegen.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, sagte der dpa, die Bundesregierung würde mit gesetzlichen Vorgaben zum Homeoffice mehr Schaden anrichten als helfen. »Fast 60 Prozent der Beschäftigten in Deutschland können nicht von zu Hause aus arbeiten, häufig weil ihre Arbeit einen Dienst an anderen Menschen beinhaltet. Unternehmen haben bereits jetzt zu kämpfen, diese Pandemie zu überleben.« Die Regierung sollte Unternehmen und Beschäftigte in der Krise stärker unterstützen.
Gewerkschaften fordern klare Regeln. »Niemand will die Arbeit am Band bei Daimler oder die Altenpflege ins Homeoffice verlagern«, sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. »Aber da, wo mobiles Arbeiten möglich ist, sollte man den Menschen einen Anspruch auf mehr Zeitautonomie gewähren.« Das beinhalte beispielsweise das Recht auf Nichterreichbarkeit oder eine geregelte Arbeitszeiterfassung. »In Deutschland werden jährlich mehr als eine Milliarde Überstunden geleistet, die von den Arbeitgebern nicht entlohnt werden. Das ist nichts anderes als Lohndiebstahl. Das darf sich durch mehr Homeoffice nicht weiter verschlimmern«, sagte Hoffmann der dpa.
Dazu kommt: »Oft wünschen sich Beschäftigte mobiles Arbeiten, aber der Arbeitgeber erfüllt ihnen diesen Wunsch nicht«, wie Verdi-Chef Frank Werneke der dpa sagte. Genau da will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ansetzen. Ein Gesetzentwurf sieht vor, dass Arbeitnehmer das Recht bekommen sollen, einen Wunsch nach regelmäßigem mobilen Arbeiten mit ihrem Arbeitgeber zu erörtern. Ein ursprünglich angedachtes Recht auf Homeoffice allerdings ist nicht mehr geplant - die Union ist dagegen.
»Das Homeoffice derzeit ist eher eine Notmaßnahme«, sagte Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft. »Die Diskussion um Regelungen sollte sich auf das Homeoffice im Regelbetrieb beziehen. Dazu gehören dann auch Fragen der Erreichbarkeit und der technischen Ausstattung.« Ein Rechtsanspruch sei der falsche Ansatz. »Homeoffice kann nur produktiv sein, wenn beide Seiten das für sinnvoll erachten, Arbeitnehmer und Arbeitgeber.«
In der Debatte geht es aber auch um die Begleiterscheinungen vom Homeoffice. Für viele Familien bedeutet das einen Spagat zwischen Job und Kinderbetreuung - vor allem, wenn Schulen und Kitas geschlossen sind. Viele Menschen wünschten sich zwar mehr mobiles Arbeiten, sagte Werneke. Viele Beschäftigte wollten es aber auch nicht, weil sie eine klare Trennung zwischen Arbeitswelt und Privatleben bevorzugten, denn es könne auch Konflikte geben. Deswegen sei beim mobilen Arbeiten ein starkes Mitbestimmungsrecht der Betriebs- und Personalräten nötig.
Einen anderen Schwerpunkt setzen die Arbeitgeber - sie wollen grundlegende Anpassungen beim Arbeitszeitgesetz. »Weg mit dieser Stechuhr-Mentalität und endlich vorwärts in Richtung Zukunft gehen«, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Die heutige Arbeitswelt stelle ganz andere Anforderungen als noch vor zehn Jahren. »Nur ein Unternehmen, das anpassungsfähig ist, kann schnell auf externe Schocks wie das Corona-Virus reagieren. Wer in einem starren Rahmen gefangen ist, wird schnell Probleme bekommen. Die Unternehmen haben schnell und pragmatisch gehandelt: Sie haben flexiblere Arbeitszeiten in systemrelevanten Branchen, virtuelle Betriebsratsarbeit, und eine unbürokratische Umsetzung von Homeoffice ermöglicht.«
Änderungen am Arbeitszeitgesetz aber sind in der Koalition ein »heißes Eisen«. Beschlossen hat die Bundesregierung für die Jahre 2020 und 2021 eine steuerliche Homeoffice-Pauschale von 5 Euro pro Tag und maximal 600 Euro im Jahr. Die Pauschale wird auf den Werbungskostenpauschbetrag angerechnet. Aber reicht das, werden damit höhere Kosten etwa fürs Heizen oder Strom, für bessere Internetverbindungen kompensiert?
Bitkom-Chef Berg sprach sich für mehr steuerliche Entlastung aus. »Arbeitnehmer, die mindestens einen Tag pro Woche im Homeoffice beziehungsweise mobil arbeiten und damit auch die Umwelt schonen, sollten alle dadurch entstehenden Kosten steuerlich absetzen können.« Um die steuerliche Abwicklung zu vereinfachen, sollten Ausgaben bis zur Höhe von 1250 Euro pro Jahr pauschal und ohne Einzelnachweis berücksichtigt werden. Denn nur in den seltensten Fällen dürften Arbeitnehmer im Homeoffice mit dem bei 600 Euro jährlich gedeckelten Steuerbonus die Werbungskostenpauschale von 1000 Euro übersteigen, die jedem Steuerzahler zusteht. (dpa)