BONN. Die Corona-Krise trifft den Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung hart. Insgesamt waren im Oktober in Deutschland fast 174.000 Menschen mit Schwerbehinderung ohne Arbeit, rund 13 Prozent mehr als im Vorjahresmonat.
Das geht aus dem »Inklusionsbarometer Arbeit« der Aktion Mensch und des Handelsblatt Research Institute (HRI) hervor. Der Deutsche Gewerkschaftsbund warnte unterdessen, das Armutsrisiko von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei - auch unabhängig von Corona - seit 2005 deutlich gestiegen.
Die Einbeziehung von Menschen mit Schwerbehinderung auf dem Arbeitsmarkt sei durch die Pandemie um vier Jahre zurückgeworfen worden, berichtete die Aktion Mensch und sprach von einer deutlichen Trendwende. »Seit 2013 verbesserte sich die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderung fast stetig«, erklärte HRI-Präsident Bert Rürup. Doch Corona habe die Erfolge der letzten Jahre in kürzester Zeit zunichte gemacht. »Allein von März bis April erhöhte sich die Zahl arbeitsloser Menschen mit Schwerbehinderung um mehr als 10.000.«
Die Pandemie sei gerade für Inklusionsbetriebe, die einen besonders hohen Anteil von Menschen mit Behinderung beschäftigten, eine große Herausforderung, heißt es in der Studie. Denn viele dieser Betriebe seien in Branchen wie Gastronomie, Hotellerie und Catering tätig, die in besonderem Maße vom Lockdown im März und dem Teil-Lockdown im November sowie von den andauernden Beschränkungen des Wirtschaftslebens betroffen seien. Den höchsten Anstieg der Arbeitslosenzahl bei Behinderten gab es laut Inklusionsbarometer in Bayern mit 19,1 Prozent und in Hamburg mit 18,9 Prozent.
Zwar stieg die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung langsamer als die allgemeine Arbeitlosenquote - doch die negativen Folgen der Corona-Pandemie dürften für Schwerbehinderte deutlich länger andauern, warnte die Aktion Mensch. »Haben Menschen mit Behinderung ihren Arbeitsplatz erst einmal verloren, finden sie sehr viel schwerer in den ersten Arbeitsmarkt zurück als Menschen ohne Behinderung«, berichtete die Sprecherin der Hilfsorganisation, Christina Marx. Im Schnitt suchten arbeitslose Menschen mit Behinderung zuletzt 100 Tage länger nach einer neuen Stelle als Menschen ohne Behinderung.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnte unterdessen, dass sich die wirtschaftliche Lage von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen seit Jahren verschlechtert habe. »Nicht nur trifft Corona das Arbeitsleben von Menschen mit Behinderung hart. Auch unabhängig von der Pandemie ist ihr Armutsrisiko in den letzten 15 Jahren kontinuierlich angestiegen«, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Gründe dafür seien die Deregulierung des Arbeitsmarkts seit 2005, die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse, gesunkene Stundenlöhne und niedrigere Erwerbsminderungsrenten.
Zwischen 2005 und 2017 sei das Armutsrisiko von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen von 13 auf 19 Prozent gewachsen, während das Armutsrisiko von Menschen ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen mit einer Quote von 14 Prozent gleich geblieben sei, berichtete der DGB gestützt auf eine aktuelle Auswertung der Mikrozensusbefragung von 2017.
Nach Berechnungen des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik hatten 2017 bundesweit 13,1 Millionen Menschen eine gesundheitliche Beeinträchtigung. Das seien knapp 16 Prozent der Bevölkerung. Darunter waren 10,5 Millionen Personen mit einer anerkannten Behinderung und 2,6 Millionen mit einer chronischen Erkrankung ohne anerkannte Behinderung. Rund 2,5 Millionen von ihnen waren der Studie zufolge armutsgefährdet.
Menschen mit Behinderung bräuchten deutlich mehr Absicherung als bisher, verlangte Piel. Notwendig seien nicht nur die intensive Förderung und Betreuung im Jobcenter, sondern auch weitreichendere Maßnahmen wie ein steuerlich finanziertes Teilhabegeld für Menschen mit Behinderung zusätzlich zu Lohn- oder Sozialleistungen, das Mehrbedarfe im täglichen Leben aufgrund der Behinderung abdecke. (dpa)