Der Motor der Harley ballert tiefbassig vor sich hin. Auf dem stark frequentierten dreispurigen Highway 23 fahren wir in Kolonne auf der mittleren Spur Richtung Hoover-Damm. Als vorletzter in einer Gruppe von 13 Bikes muss ich den Anschluss zu der Gruppe halten und verlasse kurzzeitig das Speedlimit von 65 Meilen. Plötzlich wird es dunkel um mich. Starke Luftwirbel lassen das Bike und mich taumeln. Zwei riesige Trucks überholen mich gleichzeitig links und rechts. Schock und die erste Erkenntnis. In Nevada/USA gelten andere Regeln. Hier sind die Trucks die Speedkings auf den Highways.
Aber schön der Reihe nach.
Mit meinen 66 Jahren und dem langgehegten Traum, einmal mit einer Harley die USA und speziell die Route 66 zu bereisen, kommt das Angebot des GEA zu der Tour »Wild West Explorer« genau zum richtigen Zeitpunkt. Mit dem erfahrenen Motorrad-Touren-Veranstalter MR Biketours soll es über 8 Tage und ca. 2.100 km durch den Wilden Westen der USA gehen. Meine Frau als Sozia begleitet mich, die Reise kann beginnen.
Der Direktflug ab Frankfurt nach Las Vegas über 11 Stunden erfordert erste Nehmerqualitäten. Beim Verlassen des Terminals die zweite Erkenntnis. Las Vegas ist heiß, sehr heiß. Man läuft wie gegen einen voll aufgedrehten Fön. Und Las Vegas ist XXL. Die Hotels, die meisten davon mit Casinos, haben riesige Kapazitäten an Betten. Allein im VENETIAN, dem momentan weltgrössten Hotel mit über 8.000 Betten, könnte man alle Einwohner Eningens unterbringen. Und die riesigen Spielhallen im Erdgeschoss eines jeden Hotels. Wobei das Wort Halle hier voll zutrifft, denn in der Fläche von 2-3 Sporthallen pro Hotel wird alles an Glücksspielen angeboten, was das Spielerherz begehrt.
Wir sind aber des Spielens wegen nicht nach Las Vegas geflogen, sondern um den wilden Westen in einer östlichen Schleife unter die Räder zu nehmen. Aufgeteilt in 2 Gruppen zu je 13 Harleys, alle ausgestattet mit Windschild und Koffern, geht es am nächsten Tag Richtung Hoover-Damm. Dieses gigantische Bauwerk, gerade mal in 5 Jahren erbaut, versorgt mit seinem dahinter angestauten Lake Mead und dem Wasserkraftwerk Las Vegas und das entfernte Los Angeles mit Wasser und Strom. Kein Wunder also, dass über uns Hubschrauber und AWACS Aufklärungsflugzeuge kreisen sowie jedes Auto genauestens kontrolliert werden. Wir, mit unseren Bikes, dürfen direkt ohne Kontrolle über den Damm fahren.
Die Weiterfahrt Richtung Laughlin bringt dann die nächste Erkenntnis. Man weiß ja schon, dass Amerika big ist. Aber so big, das erlebt man jetzt hautnah. Strassen breit und schnurgerade bis zum Horizont, ein Tal mit gewaltiger Ausdehnung. Jedoch trostlos, mit geringer bis keiner Vegetation. Sand, Steine und Felsen in unterschiedlichen Gelbtönen geben dem ganzen Szenario dann doch einen gewissen Charme. Besiedlung findet sehr spärlich statt. In weiter Entfernung zur Strasse sieht man vereinzelt Wohnwagen, kleine Hütten und ein paar Autos. Sonst nichts. Kein Baum, kein Schatten, kein Wasser oder Strom. Wer wohnt hier, und warum? Beim Übergang in den Bundesstaat Arizona fahren wir das erste Mal die Route 66. Wir werden dieser in den folgenden Tagen immer wieder folgen und in Oatman, einer historischen Minenstadt, einen Stop einlegen.
Der folgende Tag bringt uns nach Kingman, dem eigentlichen Geburtsort der Route 66. Hier gibt es alles zum Thema Route 66, und wenn der Barbier Angel Delgadillo, dem Begründer des Vereins zur Erhaltung der Route 66, Geschichten von damals erzählt, wähnt man sich in den 60er Jahren. In Williams, dem Tor zum Grand Canyon, lassen wir den Tag beenden. Nach kurzer Fahrerbesprechung und Ausgabe der Zimmerschlüssel wird die »Bar« eröffnet. Gekühlte Softdrinks und Bier aus dem Kofferwagen spülen den Staub der letzten Stunden herunter. Man kommt ins Gespräch, ist gleich beim Du und erste Freundschaften werden geschlossen.
Der nächste Tag beginnt um 8 Uhr wie immer mit dem Verladen der Koffer, kurzer Tourbesprechung und dann geht es auch schon wieder in den Sattel der Harley. Heute steht der Grand Canyon auf dem Programm. Wir dürfen in Eigenregie die verschiedenen Aussichtspunkte anfahren, fotografieren, Eindrücke sammeln und treffen uns dann wieder am vereinbarten Punkt. Am Tag Drei sind wir in der Heimat der Navajo- und Hopi-Indianer. Striktes Alkoholverbot ist angesagt, dafür kommt die volle Ansage in Form des Monument Valleys. Man fährt an eine gewaltige Bergkante und blickt dann in diese sagenhafte Welt der riesigen, rot leuchtenden Monolithen. Bilder aus diversen Westernfilmen kommen einen in Erinnerung. Es kommt jedoch noch besser. Mit drei Jeeps fahren wir direkt in das Tal und machen Picknick im Schatten einer der Felswände. Gigantisch.
Mittlerweile haben sich fast alle an das gewaltige Gewicht der Harleys gewöhnt. Mit Sozia und beladenem Koffer erreicht man schnell eine halbe Tonne. Da wird das Ein- oder Ausfahren zu den Parkplätzen für den einen oder anderen dann doch zum Wackelakt, der nicht selten mal zu einem kurzen Ablegen auf den Sturzbügel führt. Ansonsten gab es keine Zwischenfälle während der Tour. Eine Harley mit Getriebeproblemen wurde in einer Nachtaktion kurzerhand vom Vermieter gegen eine neue Harley ausgetauscht.
Die folgenden Tage brachten kühlere Temperaturen, was das Fahren deutlich angenehmer machte. In Torrey hatten wir am Morgen frostige 6 Grad. Im Verlauf des Tages stiegen die Temperaturen schnell auf entspannte 25 Grad und der Bryce Canyon stand auf dem Programmpunkt. Auch hier wieder freies Fahren in den Canyon an die jeweiligen Viewpoints. Am Bryce-Point öffnet sich vor einem ein gewaltiger Krater. Man könnte fast meinen, die Erde zeigt sein Inneres. Tausende von rot- bis ockerfarbenen Felspyramiden lassen einen nur noch Staunen und Innehalten. Sehr beeindruckend auch der nächste Tag mit dem Zion Nationalpark. Nach der Fahrt über eine topfebene Hochfläche geht es unvermittelt in Spitzkehren und unbeleuchteten Felstunneln steil nach unten in eine enge, rot leuchtende Schlucht. Hier wird fahrtechnisch einem alles abverlangt, was aber auch seinen Reiz hat. Denn auch eine Harley kann kurven, wenn man sie laufen läßt.
Der Tag endet in Mesquite, welche bereits in Nevada liegt. Und so haben wir wieder das Vergnügen, in einem Casinohotel mit schöner Poollandschaft zu nächtigen. Bei der Weiterfahrt am nächsten Morgen sehen wir am Ortsausgang riesige RV-Parks, in denen Wohnmobile oder auch Wohnanhänger stehen. Hier wohnt man nicht mal nur für kurze Zeit. Nein, hier wohnt man dauerhaft, oft auch speziell für Senioren ausgelegt. Auch das eine neue Erkenntnis , die man aus Deutschland so nicht kennt.
Am letzten Fahrtag nähern wir uns langsam wieder der Glitzermetropole Las Vegas. Davor liegt aber das Valley of Fire, das seinem Namen alle Ehre macht. Knallrote, bizarr geformte und aufgeschichtete Felsen brennen uns nochmals beeindruckende Bilder in den Kopf. Die letzten Meilen führen uns über die Interstate 15 nach Las Vegas direkt zu Eagle Riders Motorcycle Rental. Bikerückgabe und ein anschließendes Resumee und Dankeschön an die Tourguides bilden einen passenden Abschluss. Tolle Erlebnisse, neue Freundschaften, unerwartete Landschaften, das alles bot diese fantastische Tour.
Am übernächsten Tag fliegt der Grossteil der Biker zurück nach Frankfurt.
Für meine Frau und mich beginnt am nächsten Tag Teil Zwei unseres USA Roadtrips.Mit einem standesgemäßen Pick-Up fahren wir in 11 Tagen auf eigene Faust von Las Vegas aus Richtung San Franzisco, Pazifik und Los Angeles wieder nach Las Vegas. Und hier kommt die letzte Erkenntnis. Der Westen der USA kann auch anders. Ab dem Yosemite Nationalpark änderte sich alles. Die Strassen wurden eng und kurvig, Pässe führten über schneebedeckte Gipfel, die Täler sind schmal und die Temperatur ging auf frostige 16 Grad in Frisco tagsüber nach unten. Links und rechts der Strassen wurde es grün und das Land wurde agrartechnisch genutzt. Kommt einem irgendwie bekannt vor