Löw wirkte niedergeschlagen in Kazan. Was Wunder nach den großartigen Erfolgen in dieser großartigen Karriere. Der Triumph von Rio de Janeiro 2014 bleibt zwar sein Verdienst für die Ewigkeit, einen aktuellen Wert haben vergangene Höhenflüge im Spitzensport aber nicht. Ruhm ist vergänglich. Nirgendwo geht das so schnell wie im Fußball. Löw muss sich diesen Realitäten stellen. Aber Löw wird die Konsequenzen selbst ziehen müssen, die Verbandsführung wird diese Möglichkeit zwar beraten, aber mangels Alternativen nicht Realität werden lassen. Sie wird vom notwendigen Neuaufbau reden unter Löw, Wie Grindel noch vor zwei Tagen, den der mit seiner Vergangenheit aber kaum wird leisten können – und wollen.
Die Größe eines Menschen zeigt sich bekanntlich erst in der Niederlage. Joachim Löw wird diese Größe am Ende nicht vermissen lassen. Die Niederlage gegen Südkorea in der Vorrunde ist nicht einfach nur eine Niederlage, diese Niederlage ist das Ende eines Weges, möglicherweise sogar das Ende eines Konzepts. Die Niederlage von Kazan ändert von einem Moment auf den anderen alles. Fragen nach seiner Zukunft mag Löw nicht beantworten: »Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt.« Ein trauriger Abschied für den Weltmeister. Aber das ist anderen Weltmeistern auch schon passiert. 2010 in Südafrika erwischte es Titelverteidiger Italien, vier Jahre später in Brasilien scheiterte Titelverteidiger Spanien früh.
Was trotz aller intensiven Warnungen von Joachim Löw mit einem historischen Triumph in Russland enden sollte, ist nur noch eine Anekdote. Aus, vorbei, Ziel nicht erreicht. Ausgestattet mit einem Vertrag bis zur Weltmeisterschaft 2022 in Katar, erwartet man von Löw trotzdem, dass er hinwirft. Wie wahrscheinlich das ist, wird man sehen. Auch Löw müsse erst einmal zur Ruhe kommen, sagt der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes in alle Mikrofone. Das hatte der Präsident auch schon nach der Halbfinal-Niederlage gegen Frankreich bei der Euro 2016 gesagt. Gegen 22.00 Uhr rollt der Mannschaftsbus aus den Katakomben der Kazan-Arena. Die Mannschaft fliegt noch am Donnerstag zurück nach Deutschland.
Das Schicksal meinte es nicht gut mit Löw in Russland, fünf Wochen gemeinsamen Schaffens mit seiner Mannschaft endeten entgegen aller Erwartungen und Hoffnungen viel zu früh. Wenn in Katar in vier Jahren die Weltmeisterschaft angepfiffen wird, wird diese Mannschaft eine andere sein. Sami Khedira wird nicht mehr dabeisein, bei Toni Kroos ist das offen. Mats Hummels wird vermutlich keine Option mehr sein, Jerome Boateng und Thomas Müller auch nicht. Manuel Neuer wird seine Karriere beendet haben, von den Angreifern wird man Mario Gomez nicht mehr sehen. Die Gewichte werden sich verschieben, aber das ist nach einem Turnier nicht mehr als normal.
Marco Reus schafft es vielleicht noch einmal, Ilkay Gündogan auch. Die neue Mannschaft wird um Joshua Kimmich entstehen, das hatte der Bundestrainer mehrfach angedeutet, auch ansonsten werden es die jungen Kerle sein, die vor einem Jahr den Confederations Cup in Russland gewonnen haben. Marc André ter Stegen wird die Nummer eins, alles andere wird sich zeigen und bei der Europameisterschaft in zwei Jahren die erste Bewährungsprobe zu bestehen haben.
Und was wird aus Löw? Vor dem Spiel gegen Südkorea erlebte man ihn weitgehend entspannt. Eigentlich. Der Mann, der die Nationalmannschaft in Rio de Janeiro zum Weltmeister machte, präsentierte sich in Russland wie einer, der ein konkretes Ziel vor Augen hat, aber erkennen musste, dass dieses Ziel mehr Wunsch als Wirklichkeit war. Am Ende war die Leistung nicht ausreichend. Der Mann aus Schönau im Schwarzwald hat nach dem Titel von Brasilien eine spezielle Art von Souveränität entwickelt, die ihn selbst von den berühmten Kollegen zu unterscheiden schien, die vor ihm auch schon Weltmeister geworden sind, Sepp Herberger, Helmut Schön und Franz Beckenbauer. Joachim Löw, genannt Jogi, versuchte ungelenk, dem Showdown die Brisanz zu nehmen, vielleicht wieder eine Niederlage, die ihm im Rückblick »wahnsinnig« weh tut, aus der er »wahnsinnig viel gelernt hat«. »Wahnsinnig« sagt er immer noch wahnsinnig häufig. Mats Hummels sagte: »Scheiße.« (GEA)