REUTLINGEN. 25 Interessierte beteiligten sich an der vom Verein Lern- und Dokumentationszentrum zum Nationalsozialismus Tübingen organisierten Exkursion zum Thema »NS-Zwangsarbeit in Reutlingen«. Holger Lange führte die Gruppe zu historischen Industrieanlagen und ehemaligen Zwangsarbeiterbaracken, in denen massenhaft ausländische Arbeitskräfte ausgebeutet wurden.
Annähernd 4 000 – eine Zahl, von der nur wenige Reutlinger wissen: So viele ausländische Kriegsgefangene und Zivilisten wurden während des Zweiten Weltkriegs in Reutlingen zur Zwangsarbeit verpflichtet. Der Grund: Der deutschen Kriegswirtschaft fehlten in großem Umfang Arbeitskräfte, da vor allem nach 1942 fast alle deutschen Männer zum Krieg einberufen wurden. Auch in Reutlingen forderten Firmen wie Emil Adolff, Stoll Strickmaschinenfabrik, Burkhardt und Weber, Maschinenfabrik Bruderhaus, aber auch Stadtverwaltung, Behörden und Deutsche Reichsbahn ausländische Arbeitskräfte an und »waren somit mitverantwortlich für das System der Zwangsarbeit«, erläutert der 38 Jahre bei der Bosch GmbH beschäftigte Holger Lange zur Einführung.
Während es in Tübingen »nur« rund 1 200 waren, arbeiteten in der Achalmstadt insgesamt fast 4 000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die meisten davon aus Russland, Italien, Belgien, Frankreich sowie aus Polen. Reutlingen war im Gegensatz zu Tübingen eine industriell geprägte Stadt und forderte daher mehr Arbeitskräfte an, um die von Albert Speer als dem zuständigen Minister organisierte Rüstungsproduktion aufrechtzuerhalten. Holger Lange berichtet von menschenunwürdigen Bedingungen, denen vor allem Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion und Polen ausgesetzt waren. Sie durften ihre Baracken oft nur zur Arbeit verlassen, mussten entsprechende Kennzeichen (»OST«, »P«) auf der Brust tragen und durften nicht mit aus westeuropäischen Ländern stammenden Arbeitern essen.