REUTLINGEN/TÜBINGEN. Der Bundestag hat neue Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus beschlossen. Darunter auch eine begrenzte Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen. Demnach sollen Beschäftigte in Einrichtungen wie Kliniken, Pflegeheimen und Arztpraxen bis Mitte März 2022 Nachweise über vollen Impfschutz oder eine Genesung vorlegen. Alternativ reicht auch eine Arzt-Bescheinigung, die besagt, dass ein Mitarbeiter nicht geimpft werden kann. Neue Beschäftigte brauchen einen dieser Nachweise zum Zeitpunkt ihrer Einstellung.
Dominik Nusser, Geschäftsführer der Reutlinger Kreiskliniken, ist mit dem Beschluss zufrieden. »Ich befürworte die Impfpflicht, da wir bei uns täglich vor Augen geführt bekommen, dass die Impfung die einzige Möglichkeit darstellt, mit dem Virus auch in Zukunft vernünftig zu leben«, antwortete er auf GEA-Anfrage. Aktuell seien rund 85 Prozent der Mitarbeiter geimpft. Ziel müsse es aber sein, in den kommenden Monaten weiter mit umfassenden Angeboten bei den Beschäftigten für die Impfung zu werben. Wie die Kreiskliniken »die Impfpflicht vom 16. März an konkret umsetzen, können wir heute noch nicht sagen«, so Nusser.
Kritik am Zeitpunkt
Auch der Leitende Ärztliche Direktor des Tübinger Uniklinikums, Professor Dr. Michael Bamberg, begrüßte die begrenzte Impfpflicht. Sie hätte nach seiner Meinung und der des Vorstands schon Anfang des Jahres gelten müssen. »Damit hätten wir Infektionen verhindern können«, sagte Bamberg. In der Vergangenheit habe es schon Ausbrüche im Klinikum gegeben, weil ungeimpfte Mitarbeiter Patienten angesteckt hätten. Die Impfquote des Personals liege im Pflegebereich bei etwa 90 Prozent. In anderen Bereichen sei sie niedriger. Inklusive Tochterfirmen arbeiten rund 11 000 Beschäftigte am Tübinger Uniklinikum, davon seien etwa 70 bis 90 Prozent geimpft.
Auf den Intensivstationen arbeiten die Pflegekräfte in Tübingen aktuell am Limit. Dass die Impfpflicht ein Loch in die ohnehin schon dünne Personaldecke reißt, weil sich manche weiterhin nicht impfen lassen, glaubt und hofft Bamberg nicht. »Wenn im Pflegebereich der Intensivstationen Mitarbeiter ausfallen, bekommen wir ein Problem. Dann müssten wir Betten schließen.« Um das zu verhindern, versuche man Ungeimpfte zu überzeugen: durch persönliche Gespräche, Social Media und unkomplizierte Möglichkeiten, sich impfen zu lassen.
Kein Wellenbrecher
Mit aufklären, zuhören und diskutieren hat Hanspeter Brodbeck bislang gute Erfahrungen gemacht. Der Leiter des Reutlinger Seniorenzentrums Gertrud Luckner wirbt in seiner Einrichtung seit einem Jahr für die Corona-Impfung. Aktuell seien rund 80 Prozent der Belegschaft geimpft. Dass wegen der Impfpflicht Personalsorgen drohen, glaubt er nicht.
»Ich habe die meisten der ungeimpften Kolleginnen bereits vor Wochen gefragt, was sie im Falle einer einrichtungsspezifischen Impfpflicht machen würden. Lediglich in einem Fall erhielt ich die Antwort, dass dann ein Jobwechsel anstehen würde«, teilte Brodbeck dem GEA mit. Künftig werde er nochmals Einzelgespräche führen. Er betont: »Ich will niemanden aus unserem sensationellen Team verlieren. Aber wer den nun anstehenden Schritt nicht mitgeht, muss wissen, dass sie oder er dann nicht mehr dazugehören kann.«
Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist laut Brodbeck »besser als gar keine«. Sie reiche aber nicht aus, diese oder kommende Wellen zu brechen. Vielmehr könne bei einigen Mitarbeitern in diesen Einrichtungen der Eindruck entstehen, dass sie einmal mehr sie diejenigen sind, die die Aufgaben der Gesellschaft bewältigen müssen. »Das ist bedauerlich, da gerade die Mitarbeitenden in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen oder Kindergärten seit bald zwei Jahren eine massive Belastung haben«, sagte Brodbeck. (GEA)