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Aktuell GEA-Leserforum

Erinnerungen von Lesern an die Reutlinger Straßenbahn

Da sich das Ende der Reutlinger Straßenbahn vor einer Woche zum 50. Mal gejährt hat, bat der GEA Leserinnen und Leser um Anekdoten und Fotos von den Wagen, die auf zumeist eingleisiger Strecke erst dampfgetrieben und in Schwarz sowie seit der Elektrifizierung 1912 in Grün-Weiß die Menschen der Umgebung ins Stadtzentrum und zurück brachten. Neun Anekdoten von GEA-Lesern.

Peter Weckherlin fand auf einer Tauschbörse diese Bild-Postkarte von der ersten Probefahrt der elektrifizierten Straßenbahn.  FO
Peter Weckherlin fand auf einer Tauschbörse diese Bild-Postkarte von der ersten Probefahrt der elektrifizierten Straßenbahn. FOTO: PRIVAT
Peter Weckherlin fand auf einer Tauschbörse diese Bild-Postkarte von der ersten Probefahrt der elektrifizierten Straßenbahn. FOTO: PRIVAT

REUTLINGEN/REGION. Fast 75 Jahre sind die Menschen auf zwei Schmalspurschienen zwischen Eningen und dem Reutlinger Karlsplatz umweltfreundlich und zuverlässig gependelt. Zu ihren besten Zeiten verband die Reutlinger Straßenbahn seit ihrer Elektrifizierung 1912 zudem Pfullingen, Betzingen, Altenburg, Oferdingen, Rommelsbach und Orschel-Hagen mit dem Stadtzentrum und umspannte dabei 22,4 Kilometer. Was blieb GEA-Leserinnen und -Lesern dabei besonders in Erinnerung?

Gudrun Henzler, Reutlingen: Die Schaffner waren richtige Respektspersonen

Ich bin jahrelang während meiner Schulzeit in den 1950er- und 60er-Jahren mit der Straßenbahn von Eningen nach Reutlingen gefahren. Anfangs waren es noch die ganz alten Straßenbahnen.

Ich erinnere mich an zwei Dinge ganz besonders. Zum einen waren die Schaffner bei uns Kindern richtige Respektspersonen. Man hatte unverzüglich aufzustehen, wenn Erwachsene das Abteil betraten, da gab es keine Diskussionen.

Zum anderen bin ich auf der Fahrt zwischen Eningen und Reutlingen jedes Mal ans Fenster gesprungen, weil die Firma Kadel Garne am Südbahnhof immer die Garne gefärbt hat und das kleine Flüsschen jeden Tag eine andere Farbe hatte.

Kann man sich heute alles nicht mehr vorstellen, ist aber Teil meiner Kindheit gewesen.

Hans-Peter Baum, Pfullingen: Wer vorn einsteigt, kommt schneller an

1960 in Pfullingen geboren, war die Straßenbahnlinie 2 von Pfullingen nach Reutlingen etwas Besonderes. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich es als kleiner Steppke in der berühmten Südbahnhofkurve einmal geschafft habe, die Tür zu öffnen. Die Freude der Mitfahrenden hielt sich in Grenzen. Am Pfullinger Laiblinsplatz fragte eine ältere Dame den Schaffner, ob denn diese Straßenbahn nach Reutlingen fahre. Mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht antwortete der Schaffner: »Jo scho, aber wenn se weiter vorna eischdeiget send se schneller do«. Die Dame bedankte sich, stieg aus, um sofort einen Waggon weiter vorne einzusteigen. Das nennt man Dienstleistung.

Thomas Floten, Reutlingen: Kindheitserinnerungen kamen sofort auf

Zufälligerweise habe ich tatsächlich Anfang Oktober, bei einem Besuch in Münsingen, die angefügten Bilder gemacht. Die Bahn hat die Nr. 53 (im Bericht von Claudia Reicherter nicht erwähnt) und war wohl, nach Beschilderung, zwischen Karlsplatz und Eningen im Einsatz. Ich habe die Bahn auf einem Firmengelände entdeckt und es kamen sofort Kindheitserinnerungen auf.

Thomas Floten lichtete Triebwagen 53, Baujahr 1928, in Münsingen ab.  FOTO: PRIVAT
Thomas Floten lichtete Triebwagen 53, Baujahr 1928, in Münsingen ab. FOTO: PRIVAT
Thomas Floten lichtete Triebwagen 53, Baujahr 1928, in Münsingen ab. FOTO: PRIVAT

Ich kann mich noch gut an die Fahrt von Betzingen zu unserer Box-Trainingshalle in der Herman-Kurz-Schule erinnern. Man musste direkt bei der Papierfabrik Emil Adolff, auf Höhe des heutigen Edeka-Centers, aussteigen. Der Weg über das Emil-Adolff-Gelände ging durch die damalige Papier-Anlieferhalle, dann über das Echaz-Brückchen zur HKS.

Eine zweite Strecke, an die ich mich noch sehr gut erinnere, ist die Fahrt nach Oferdingen zum damaligen AWO Sommer-Feriengelände. Es war für uns Kinder immer spannend, ob die Straßenbahn wohl die Kurve vor dem Rathaus in Rommelsbach wieder ruckartig links vorbei schafft.

Hans-Joachim Knupfer, SSB AG, Stuttgart: In Eningen standen lange noch zwei komplette Züge

Zu weiteren verbliebenen Fahrzeugen der Reutlinger Straßenbahn: Einer steht nach jahrzehntelanger »Geisterfahrt« inzwischen in Münsingen im Gewerbegebiet, von der Hauptstraße aus sichtbar (vor Gebäude Lichtensteinstraße 38).

Manche Wagen wurden in alle Winde zerstreut und trotz mancher Erhaltungsabsichten inzwischen doch verschrottet. So standen bis circa 1991 in der alten Wagenhalle in Eningen noch zwei komplette Züge, deren Zerlegung sich die Stadt wohl vorher nicht »traute«, weil diese zum Zeitpunkt der Bahnauflassung 1974 noch zu »jung« waren – und eventuell noch nicht ganz abgeschrieben – um sie einfach zu zersägen. Andere gingen in den 1990ern an Fans in die neuen Bundesländer und endeten nach manchen Irrwegen. Letztendlich sind solche Fahrzeuge ohne schützendes Dach halt nicht zu erhalten und ganz klein und leicht sind sie auch nicht.

Peter Weckherlin, Eningen: Postkarte von 1912 – noch vor der Inbetriebnahme

Zum Thema Straßenbahn sende ich ihnen eine Aufnahme der allerersten Probefahrt der elektrischen Straßenbahn zu. Zu sehen auf der Bildseite der Triebwagen 23 von Eningen her fahrend in der Nähe des Südbahnhofs in Fahrtrichtung Reutlingen. Am rechten Bildrand im Hintergrund ist die Garnfabrik Schradin erkennbar. Auf der Bildrückseite ein Gruß einer der abgebildeten Personen:

»Sende von der ersten Probefahrt viele Grüße Ihr P. (oder F.?) Fritsch«.

Abgestempelt worden ist die »Postkarte« am 14. Juli 1912, also zehn Tage vor der offiziellen Inbetriebnahme der Bahn. Insofern historisch bedeutsam, als diese Aufnahme wohl die allererste ihrer Art sein dürfte, die von der fahrenden »Elektrischen« verfügbar ist. Außerdem korrekt frankiert, gestempelt und gelaufen nach Aachen, also kein Sammler-Machwerk!

Die Karte war vor etwa zehn Jahren eher ein Zufallsfund auf einer Tauschbörse. Erst beim genauen Betrachten wurde mir der historische Wert dieses Objektes bewusst.

Ursula Müller-Wiese, Reutlingen: Sammelkarte für eine Reichsmark

Ich habe Mitte der 1960er-Jahre in eine Familie eingeheiratet, die alles Mögliche gesammelt hat. Da habe ich jüngst in einer alten, vergammelten Geldbörse, die ich schon wegwerfen wollte, eine Sammelkarte der Reutlinger Straßenbahnen gefunden, die damals eine Reichsmark gekostet hat – die stelle ich gern zur Verfügung.

Original Sammelkarte für eine Reichsmark, das gesetzliche Zahlungsmittel zwischen 1924 und 1948. FOTO: REICHERTER
Original Sammelkarte für eine Reichsmark, das gesetzliche Zahlungsmittel zwischen 1924 und 1948. FOTO: REICHERTER
Original Sammelkarte für eine Reichsmark, das gesetzliche Zahlungsmittel zwischen 1924 und 1948. FOTO: REICHERTER

Viel mehr kann ich dazu nicht sagen, da mein Schwiegervater bereits 1949 und die Schwiegermutter ebenfalls schon verstorben ist.

Klaus Rilling, Sonnenbühl: Sonderwagen für die Hochzeitsgesellschaft

Mein Name ist Klaus Rilling, ich lebe in Sonnenbühl, und sende Ihnen Bilder von der Hochzeit mit meiner Frau am 2. April 1971. Mit einem Sonderwagen der Reutlinger Straßenbahn ging es damals nach der Trauung von der Reutlinger Marienkirche zur Endstation nach Eningen.

Bei der Hochzeit von Klaus Rilling 1971 ging es mit einem Sonderwagen der Straßenbahn von der Marienkirche zur Endstation in Eni
Bei der Hochzeit von Klaus Rilling 1971 ging es mit einem Sonderwagen der Straßenbahn von der Marienkirche zur Endstation in Eningen. FOTO: PRIVAT
Bei der Hochzeit von Klaus Rilling 1971 ging es mit einem Sonderwagen der Straßenbahn von der Marienkirche zur Endstation in Eningen. FOTO: PRIVAT

Neben einem Foto mit zwei kleinen Buben in grauen Anzügen im Fotoalbum steht »Fahrkarten, bitte!« Von der Endhaltestelle in Eningen ging die Festgesellschaft dann zu Fuß ins (ehemalige) Gasthaus Rössle.

Hartmut R., Engstingen: Jeden Tag mit der Tram zur Lehrstelle gefahren

Ich bin Jahrgang 1953 und habe einige Erinnerungen an die gute alte Straßenbahn. Ich bin in Eningen u. A. aufgewachsen und habe bis 1989 hinter dem damaligen Wengestadion gewohnt. Als ich 1968 bis 1971 meine Lehre in Reutlingen bei der Firma G. Bild KG Strickwarenfabrik, Burg-/Ecke Charlottenstraße absolvierte, war ich jeden Tag mit der Tram von Eningen nach Reutlingen unterwegs (und zurück). Morgens musste ich zu Fuß circa 1,5 Kilometer zur Straßenbahnhaltestelle »Weberei« beim damaligen Möve-Werk gehen. Es war die 1. Haltestelle nach dem Straßenbahndepot an der unteren Wengen-/Bahnhofstraße. Nach der 1. Haltestelle »Weberei« kam »Spitzwiesen«, bevor es weiter ging bis zum Südbahnhof.

Dort war eine Ausweichstelle, um den Gegenverkehr passieren zu lassen. Es folgten die Haltestellen »Arbach« und »Seestraße«. Viele Jahre war dort ein langer, schwarzer Bretterzaun vor unbebautem Gelände. Hier war mein Ausstieg, um dann circa einen Kilometer zu meiner Lehrfirma zu gehen. Die Straßenbahn fuhr dann weiter über die Haltestelle »Burgplatz« in die Wilhelmstraße bis zum Marktplatz. Es könnte sein, dass vorher noch ein Halt war in Höhe Café Sommer, also vor der Marienkirche. An die Haltestelle »Marktplatz« und das Drumherum kann ich mich aber noch sehr gut erinnern. Auch dort war eine Ausweichstelle für die eingleisige Straßenbahn, um den Gegenverkehr abzuwarten. Außer der Haltestelle mit Wartehäuschen war da ein Kiosk sowie links neben dem Brunnen eine Treppe runter zu öffentlichen WCs. Der heutige Marktplatz war Parkplatz für Autos. Schon damals gab es hier den »Parkplatzsuchverkehr«.

Die Straßenbahn fuhr dann weiter in die untere Wilhelmstraße und weiter zur Karl-/Eberhardstraße, überquerte diese und fuhr dann Richtung Betzingen. Auch an diese Strecke und vom Südbahnhof Richtung Pfullingen erinnere ich mich gut. Ebenso an die ersten eckigen Bahnen, wo der Bahnführer irgendwie mittels einer Kurbel und im Stehen lenkte. Später kamen die größeren, ovalen Bahnen, wo der Fahrer einen Sitzplatz hatte und die ganze Sache doch ein wenig moderner wirkte. Nach Lehre und Bundeswehr trat ich 1973 bei der Maschinenfabrik Arbach, in einem roten Backsteingebäude beim Südbahnhof – heute Maler Geiselhart – meine erste Arbeitsstelle an. Weiterhin fuhr ich von Eningen mit der Straßenbahn. Da konnte ich direkt vor meiner Firma aussteigen. Prima.

Als 1974 das Aus beschlossen wurde, war nicht nur ich sehr geschockt und enttäuscht. In anderen Städten wurde der Straßenbahnbau weitergeführt und ausgebaut. Diese Entscheidung der Stadt war für mich damals wie heute die größte Fehlentscheidung.

Jetzt, viele Jahre später, ist wieder eine Bahn geplant, bis zu meinem »neuen« Wohnort Engstingen. Hoffen wir, dass alles gelingt. Leider gibt es schon wieder Trassenprobleme mit dem Autoalbauf-stieg, was die Sache verzögern könnte. Ich werde den Albaufstieg und die Bahn auf die Alb wohl nicht mehr erleben. Schade!

Martin Stiegler, Reutlingen: Fußgängerzone erfordert Handtaschen-Angebot

Als 86-Jähriger hab ich an die Straßenbahnzeit nur gute Erinnerungen. Meine Familie hatte zu jener Zeit in der Wilhelmstraße 31 und 33 ein Gartenfachgeschäft. Da gab es Samentütchen zu kaufen, aber allein davon konnte man schon damals nicht überleben, so gab es alles Mögliche noch dazu. Wenn sich heute Leute aufregen, dass das Warensortiment in der Wilhelmstraße vielfach auf Filialisten beschränkt ist, kann ich Ihnen eine persönliche Story erzählen, was passiert ist, als vor 50 Jahren die Fußgängerzone eingerichtet wurde: Eines Tages kam in unseren Laden eine Kundin, die sich über ihre 25 Meter lange Ligusterhecke beklagte. Die sehe gar nicht gut aus. Ich war überrascht, denn solch eine immergrüne Hecke ist an sich unproblematisch.

SCHREIBEN SIE UNS

War es eine Fehlentscheidung, der Reutlinger Straßenbahn vor 50 Jahren ein Ende zu setzen? Welche Erinnerungen verbinden Sie mit den grün-weißen Wagen? Die GEA-Redaktion freut sich über weitere Mail-Zuschriften (maximal 70 Zeilen à 35 Anschläge, mit Namens- und Wohnortsangabe) und Fotos. Beides wird , gegebenenfalls in gekürzter Form, mit Namen und Wohnort der Verfasser in einem zweiten Leser-Forum zum Thema Reutlinger Straßenbahn im GEA-Lokalteil veröffentlicht. Einsendeschluss ist Mittwoch, 30. Oktober. Spätere Einsendungen werden unter der Rubrik »Leserbriefe« publiziert. (dia) gea-forum@gea.de

Als gelernter Gärtner riet ich: »Gehen Sie jetzt heim und gießen einmal richtig gut, dann streuen Sie am nächsten Tag Mineraldünger aus. Anschließend gießen Sie nochmal. Dann treibt das wunderschön grün wieder aus.« Die Frau entgegnete: »I be vo Rommelsbach ond fünf Kilo schloif i ed vo dr Wilhelmstroß’ do naus.« Wir mussten schließlich unseren Laden aufgeben, nicht weil die Konjunktur schlecht gewesen wäre – das auch –, sondern weil unser Warenangebot nicht für die Handtasche geeignet war. Was meinen Sie, wie es in der Oberen Wilhelmstraße der Möbelhandlung Grell, Eisen Tschaler oder dem Stahl- und Eisenwarenhandel U.A. Knapp erging? Ein weiteres Problem kam, als das Industriegebiet entstand. Da sind Kunden gleich dort hinaus gefahren. Wir zogen in die Mozartstraße um. In der Fußgängerzone blieben vor allem Mode, Schmuck und Apotheken. (GEA)