TÜBINGEN. Auf den ersten Blick ist alles wie gewohnt. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer lächelt in die Kamera seines Smartphones, um seinen Followern kurz darauf einen Einblick zu geben, was in der Unistadt los ist. Die Tigers steigen in die Basketball-Bundesliga auf, die Verpackungssteuer darf bleiben, die Steinlachbrücke öffnet und der Gegenverkehrs-Radweg wird eingeweiht, verkündet der Rathauschef heute in einem Live-Video. Die Überraschung kommt zum Schluss: Ob er sich wieder meldet, überlegt er sich im Juli. Falls nicht, wäre das ja auch ein krönender Abschluss seiner Facebook-Zeit. Mit diesem Clip könne es auch enden.
Viele User wünschen sich, dass Palmer bei Facebook aktiv bleibt
Dass Palmer dem Sozialen Netzwerk tatsächlich den Rücken kehrt, ist für viele seiner virtuellen Freunde unvorstellbar. Mehr als 70 Mal wurde der Beitrag innerhalb einer Stunde nach Veröffentlichung kommentiert. Der Tenor: Bitte geh' nicht! »Ihr Wegbleiben wäre ein herber Verlust. Es stehen (jedenfalls auf Facebook) knappe 80.000 Follower hinter Ihnen«, schreibt ein User. Ein anderer formuliert: »Einen schönen Juni, eine erholsame Auszeit und hoffentlich auf Wiedersehen hier auf Facebook.« Nur wenige sind der Meinung, dass der OB das Posten sein lassen sollte.
In der Vergangenheit sorgten Äußerungen Palmers auf seiner Facebookseite immer wieder für Diskussionen, Kritik und Shitstorms. Den größten Ärger brachte ihm bis jetzt der Fall Aogo ein. Im Mai 2021 schrieb er über den Ex-Fußballer: »Der Aogo ist ein schlimmer Rassist, hat Frauen seinen Negerschwanz angeboten.« Später sagt Palmer, die Äußerungen seien ironisch gemeint gewesen. Einige Zeit darauf entschuldigt er sich. Trotzdem sorgten die Sätze bundesweit für Gegenwind. Kurz darauf leiteten die Grünen ein Parteiausschlussverfahren ein.
Austritt und Auszeit nach Empörungswelle
Mittlerweile ist der Tübinger Oberbürgermeister aber parteilos, am ersten Mai trat er bei den Grünen aus. Grund dafür war der Eklat bei der Migrationskonferenz in Frankfurt. Im Vorfeld hatte er eine verbale Auseinandersetzung mit Demonstranten. Einige von ihnen hatten den OB mit Parolen wie »Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda« empfangen und ihm vorgeworfen, das Wort Neger auf seiner Facebook-Seite zu verwenden. »Ihr beurteilt Menschen anhand von einem einzelnen Wort«, antwortete Palmer und fügte hinzu: »Das ist nichts anderes, als der Judenstern.« Nach der folgenden Empörugswelle kündigte Palmer eine Auszeit im Juni an. (dpa)