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Aktuell Auslandspraktikum

Handwerkerinnen aus Hohenstein schnuppern Werkstattluft in Griechenland

Die beiden angehenden Schreinerinnen landeten in einem Kleinbetrieb auf Kreta. Vier Wochen lernten sie den Betrieb mit seinen anderen Arbeitsabläufen kennen.

HOHENSTEIN. Etwas Neues sehen, einen anderen Betrieb, andere Arbeitsabläufe kennenlernen und vieles, was nicht auf dem Ausbildungsplan steht: Lea Müller und Tabea Berg aus Hohenstein haben als Praktikantinnen vier Wochen in Griechenland gelernt. Das teilt die Handwerkskammer Reutlingen mit.

Der Vorschlag kam vom Chef. Was auch daran liegt, dass es ein Beispiel in der Familie gibt. Jürgen Reihlings Tochter hatte vor einigen Jahren während ihrer Ausbildung ein Auslandspraktikum absolviert und dabei viel mitgenommen, was nicht unbedingt auf dem Lehrplan steht. Warum diese Möglichkeit nicht auch den eigenen Auszubildenden eröffnen, dachte sich der Schreinermeister, als er im Frühjahr vergangenen Jahres von einer Ausschreibung des Projekts »Go.for.europe« für Auszubildende im Handwerk erfuhr.

Etwas Neues sehen, andere Arbeitsabläufe, Land und Leute kennenlernen, das fanden Lea Müller und Tabea Berg grundsätzlich spannend. Ihre Wahl fiel auf Griechenland, und zwar auf die Insel Kreta. Nach einer schriftlichen Bewerbung und einem eintägigen Seminar, bei dem sie die anderen Teilnehmer der sechsköpfigen Reisegruppe kennenlernten, ging es Mitte Oktober nach Heraklion, der Hauptstadt der Insel. Das Programm des vierwöchigen Aufenthalts: Vier Tage die Woche arbeiteten die Auszubildenden in Betrieben, ein Tag war für den obligatorischen Sprach- und Kulturkurs reserviert.

»Ich musste schon deutlich sagen, dass ich es selbst schaffe«

Die angehenden Schreinerinnen landeten in Kleinbetrieben. »Wir haben vor allem Küchen gemacht«, berichtet Müller. Der Betrieb, bestehend aus Vater und Sohn, sei gut ausgestattet gewesen, wenn auch eher ältere Maschinen zum Einsatz kamen. Was die fachliche Seite angeht, sind ihr zwei Unterschiede zu ihrem Ausbildungsbetrieb aufgefallen. Zum einen beim Material. »Vollholz ist kein Thema. Es werden ausschließlich Platten und Werkstoffe verarbeitet«, sagt die 20-Jährige. Der andere betrifft die Verbindungstechnik. Wo heimische Handwerker verzahnen, leimen und dübeln, um Bauteile fest und ansprechend miteinander zu verbinden, setzen die griechischen Kollegen auf einfachere Lösungen. »Dass Verbindungen sichtbar sind, spielt keine Rolle. Hauptsache, es hält.«

Keine Frauen im Handwerk

Und noch etwas unterscheidet sich vom Ausbildungsalltag, wie ihn die beiden jungen Frauen kennen. »Es gibt dort keine Frauen im Handwerk. Männer sind es gewohnt, unter sich zu sein«, sagt Berg, die mit ihrem Betrieb am Ausbau eines Frauenhauses tätig gewesen ist.

Entsprechend holprig gestaltete sich bisweilen die Zusammenarbeit, zum Beispiel wenn es ums Tragen und Anpacken und damit auch um typische Rollenklischees ging. »Ich musste schon deutlich sagen, dass ich es selbst schaffe«, betont die 19-Jährige. Diese Erfahrung teilt auch Müller: »Zu Beginn wurde mir nicht viel zugetraut. Auch Selbstverständliches wurde mir noch mal gezeigt. Das änderte sich aber und hat mit der Zeit besser gepasst.«

Die Zusammenarbeit sei, allen Verständigungsschwierigkeiten zum Trotz – zur Not kam auch mal der Google-Übersetzer zum Einsatz –, immer gut gewesen. Was vermutlich vor allem an der Mentalität der Gastgeber liegt. »Der Arbeitsstil ist viel gelassener als bei uns«, fasst Müller ihre Erfahrungen zusammen. Das gelte im Betrieb, aber auch in der Beziehung zu Kunden. »Termine sind nicht ganz so wichtig. Zeit für ein Schwätzchen findet sich immer.«

»Meine Sicht auf die Arbeit hat sich geändert«

Neben der praktischen Tätigkeit, den Museumsbesuchen und Ausflügen zu den historischen Stätten der Insel ist es diese Erfahrung, die für Müller und Berg wichtig ist. Sie sei offener geworden, sagt Berg, aufgeschlossener für andere Menschen. »Meine Sicht auf die Arbeit hat sich geändert. Ich bin ruhiger, habe vielleicht ein Stück weit die griechische Gelassenheit übernommen«, fügt Müller hinzu, die sich aktuell mit ihrem Gesellenprüfungsstück beschäftigt. Auch für sie war es wichtig, sich auf eine neue Situation einzulassen und zu lernen, dass man kleine und große Schwierigkeiten meistern kann. Auch ohne Sprachkenntnisse.

Die beiden Junghandwerkerinnen sind sich einig: »Es hat sich gelohnt.« Organisatorische Mängel, wie fehlende Handtücher und Bettwäsche bei der Ankunft im Apartment oder der wenig am tatsächlichen Bedarf der Praktikanten konzipierte Sprachunterricht, änderten daran nichts. »Wer die Möglichkeit dazu hat, sollte es machen. Einige Zeit im Ausland zu lernen, ist absolut empfehlenswert.« (eg)

AUSLANDSPRAKTIKA

»Go.for.europe«, ein Projekt der baden-württembergischen Wirtschaft, organisiert vierwöchige Auslandspraktika in EU-Ländern. Das Angebot richtet sich an Auszubildende aus Handwerk, Industrie und Handel, die zum Zeitpunkt des Auslandsaufenthalts volljährig und mindestens im zweiten Ausbildungsjahr sein müssen. Die Kosten für Reise, Unterbringung und Aufenthalt werden durch das EU-Berufsbildungsprogramm »Erasmus+Berufsbildung« bezuschusst. Je nach Zielland beträgt der Eigenanteil der Teilnehmenden aktuell maximal 300 Euro. Die Ausschreibung der Herbsttermine 2025 erfolgt im März. Weitere Informationen für Betriebe und Auszubildende gibt es online. (eg) www.goforeurope.de

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