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Aktuell Ba-Wü-Check

Wie die Bürger im Land die aktuelle Verkehrspolitik beurteilen

Tempolimit? Elektro-Auto ja oder nein? Wie gut ist eigentlich der ÖPNV? Zu vielen Themen im Bereich Verkehr wird heftig gestritten. Aber wie sehen das eigentlich die Bürger im Land mehrheitlich? Die baden-württembergischen Zeitungsverleger haben dazu Umfragen gestartet. Die Ergebnisse gibt's hier.

Straßensperre
Foto: Oliver Dietze
Foto: Oliver Dietze

REUTLINGEN. Verkehrspolitiker stehen heutzutage vor der Herausforderung, den Ansprüchen nach individueller Mobilität und den Forderungen nach mehr Klimaschutz gleichermaßen gerecht zu werden. In einem Bundesland wie Baden-Württemberg, in dem die Automobilbranche und die Verkehrsinfrastruktur eine traditionell hohe Bedeutung haben, sind die Herausforderungen besonders zu spüren – insbesondere für eine grüngeführte Landesregierung.

In der aktuellen Untersuchung des Baden-Württemberg-Monitors der badenwürttembergischen Zeitungsverlage bewertet die Bevölkerung in Baden-Württemberg die Verkehrspolitik des Landes, den Zustand der Verkehrsinfrastruktur und die aus ihrer Sicht größten verkehrspolitischen Herausforderungen. Die Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach stützt sich auf 1 009 Online-Interviews mit einem repräsentativen Querschnitt der baden-württembergischen Bevölkerung ab 18 Jahre. Die Interviews wurden vom 11. bis 23. November 2020 durchgeführt.

Baden-Württemberg im Investitionsstau

In der baden-württembergischen Bevölkerung herrscht ein breiter Konsens, dass in den letzten Jahren zu wenig in die Verkehrsinfrastruktur des Landes investiert worden ist. Davon sind 64 Prozent der Bürger überzeugt. Lediglich knapp jeder Zehnte ist der Auffassung, dass in den letzten Jahren ausreichend in den Bau und Erhalt von Straßen, Brücken und anderer Verkehrsinfrastruktur investiert wurde. Im Trendvergleich mit einer Landesstudie des Allensbacher Instituts aus dem Jahr 2015 wird deutlich, dass sich der Eindruck, dass ausreichend in die Verkehrsinfrastruktur investiert werde, in den letzten Jahren sogar zurückentwickelt hat. 2015 hielt immerhin noch jeder Fünfte die Investitionen des Landes in die Verkehrsinfrastruktur für ausreichend.

Entsprechend fällt auch das Urteil über die bestehende Verkehrsinfrastruktur eher verhalten aus. Dabei bewerten die Bürger die Autobahnen in Baden-Württemberg tendenziell noch etwas positiver als die Straßen im Nahbereich. Immerhin jeder Zweite stellt den Autobahnen in Baden-Württemberg ein gutes Zeugnis aus, 46 Prozent auch den Straßen in ihrer näheren Umgebung. 39 Prozent beurteilen die Straßen im Nahbereich hingegen pauschal kritisch, weitere 13 Prozent ziehen die Bilanz, dass die Straßen in einem ganz unterschiedlichen Zustand sind. Der Zustand der Autobahnen wird von 30 Prozent pauschal kritisch bewertet, weitere 15 Prozent ziehen ein gemischtes Fazit.

Der schlechte Zustand vieler Straßen gehört aus Sicht der baden-württembergischen Bevölkerung auch zu den großen verkehrspolitischen Herausforderungen des Landes. 45 Prozent sehen im schlechten Zustand vieler Straßen ein großes Problem. Zu den weiteren großen Verkehrsproblemen in Baden-Württemberg zählen nach Auffassung der Bürger die Überlastung durch den Verkehr, Defizite im öffentlichen Nahverkehr sowie die schlechte Verkehrsanbindung. 52 Prozent halten die hohen Preise im öffentlichen Nahverkehr für das größte verkehrspolitische Problem in BadenWürttemberg, 50 Prozent die vielen Staus, 43 Prozent auch den Mangel an Parkmöglichkeiten in den Innenstädten. Weitere 41 Prozent sehen in der Überlastung der Innenstädte ein großes Problem, 38 Prozent in der schlechten Verkehrsanbindung ländlicher Regionen ganz generell, knapp jeder Dritte zudem in der schlechten Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr.

Themen, die zurzeit im Zusammenhang mit dem Umweltschutz diskutiert werden, gehören aus Sicht der großen Mehrheit der Bevölkerung weit weniger zu den verkehrspolitischen Baustellen des Landes. Ein Mangel an Radwegen wird lediglich von jedem Vierten attestiert, der schlechte Zustand des Schienennetzes nur von 17 Prozent und fehlende Car-Sharing-Angebote sogar nur von jedem Zehnten.

Eine große Herausforderung der Verkehrspolitik sind die teilweise sehr unterschiedlichen Bedürfnisse von Stadt- und Landbevölkerung. So werden von den Bewohnern der Großstädte vor allem die hohen Ticketpreise für den ÖPNV sowie die Stausituation auf vielen Straßen überdurchschnittlich als große Probleme ausgemacht. Bewohner ländlicher Regionen ärgern sich dagegen überproportional oft über die schlechte Verkehrsanbindung ihres Wohnortssowie speziell darüber, dass es bei ihnen zu wenige Verbindungen des öffentlichen Nahverkehrs gibt.

Da sowohl der öffentliche Nahverkehr als auch der Zustand des Straßennetzes von der Bevölkerung kritisch gesehen werden, stehen für die große Mehrheit Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr auch nicht in Konkurrenz zum Ausbau des Straßennetzes. Im Gegenteil: 56 Prozent plädieren dafür, dass zukünftig sowohl in den Ausbau des ÖPNV als auch in den Bau und die Sanierung von Straßen investiert werden soll. Nur 17 Prozent halten die Erneuerung des Straßennetzes für ein vorrangiges Ziel der Verkehrspolitik, 23 Prozent den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Lediglich in der jungen Generation spricht sich eine relative Mehrheit dafür aus, zukünftig vor allem in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zu investieren.

Keine Verkehrswende in Sicht

Verkehrspolitik und Mobilität werden zunehmend unter Klimaschutzaspekten diskutiert. Die Umsetzung von Klimaschutzzielen kann aber nur gelingen, wenn auch die Bevölkerung ihr Mobilitätsverhalten ändert. Dies scheint derzeit nur bedingt der Fall zu sein. Nach wie vor ist das Auto für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung das mit Abstand wichtigste Fortbewegungsmittel. Gut drei Viertel der Baden-Württemberger nutzen ihr Auto täglich oder zumindest mehrmals wöchentlich. Für die allermeisten von ihnen ist der eigene Pkw unverzichtbar und ein Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr keine echte Alternative. 68 Prozent derer, die täglich oder mehrmals in der Woche mit dem Auto unterwegs sind, schließen einen Umstieg auf den ÖPNV für sich aus, lediglich 20 Prozent sehen darin eine ernsthafte Alternative.

Die Alternative zum Verzicht auf das eigene Auto wäre im Sinne des Klimaschutzes der Umstieg auf ein Fahrzeug mit einer emissionsarmen Antriebstechnologie. Hier dominiert die Förderung der Elektroautos momentan die politische Diskussion. Doch obwohl die Mehrheit überzeugt ist, dass der Elektromobilität die Zukunft gehört und die Politik diese Antriebstechnologie auch fördert, fehlt es dieser Antriebsart nach wie vor an einem breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Immerhin für jeden Dritten käme es in Frage, sich in den nächsten Jahren ein Elektroauto zu kaufen. Damit liegen die Potentiale für Elektroautos in Baden-Württemberg deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Überdurchschnittlich aufgeschlossen sind die junge und die mittlere Generation.

Im Zusammenhang mit dem Klimaschutz wird regelmäßig auch über ein generelles Tempolimit auf Autobahnen diskutiert. Der grüne Verkehrsminister in BadenWürttemberg gilt als ein Befürworter einer Geschwindigkeitsbegrenzung und wird dabei von einer relativen Mehrheit der Baden-Württemberger unterstützt. 47 Prozent würden ein generelles Tempolimit auf den Autobahnen begrüßen, nur gut jeder Dritte spricht sich eindeutig gegen eine Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit aus. Vor die Wahl gestellt, fänden 37 Prozent der Bürger eine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h am besten, 31 Prozent plädieren für eine Begrenzung auf 140 km/h.

Das Urteil über die Verkehrspolitik des Landes fällt gemischt aus

Das Urteil über die Verkehrspolitik des Landes fällt ambivalent aus. Knapp jeder Dritte stellt der Verkehrspolitik der grün-schwarzen Landesregierung ein gutes Zeugnis aus, 39 Prozent bewerten die Arbeit der Landesregierung in diesem Politikbereich hingegen kritisch. Knapp ein Drittel traut sich kein Urteil zu. Ein eindeutiges Zeichen, dass viele verkehrspolitische Entscheidungen von einem Großteil der Bevölkerung gar nicht wahrgenommen werden.

Dies zeigt sich auch im Urteil über den Verkehrsminister. 36 Prozent trauen sich kein Urteil über Winfried Hermann zu, weiteren 26 Prozent ist der Verkehrsminister zudem völlig unbekannt. Unter denen, die ein Urteil abgeben, haben die Kritiker eine Mehrheit gegenüber den Befürwortern von gut zwei zu eins. Insgesamt haben 12 Prozent der Baden-Württemberger eine gute Meinung von Verkehrsminister Winfried Hermann, 26 Prozent bewerten seine Arbeit dagegen kritisch.

Ein Projekt, das von Beginn an sehr kontrovers diskutiert wurde, ist das Bauprojekt Stuttgart 21. In der Hochphase der Auseinandersetzung um den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs hat das Thema große Teile der baden-württembergischen Bevölkerung sehr bewegt. Mittlerweile hat das Thema zwar ein wenig an Aufmerksamkeit verloren, das Meinungsbild hat sich jedoch im Laufe der Jahre nur wenig verändert. Aktuell stehen vier von zehn Baden-Württemberger Stuttgart 21 kritisch gegenüber, nur gut jeder Vierte befürwortet das Bauprojekt. 

Die aktuelle Untersuchung zeigt, dass es der Verkehrspolitik des Landes zurzeit nur eingeschränkt gelingt, den Vorstellungen und Anforderungen der Bevölkerung gerecht zu werden.(GEA)

Die Umfrage der Tageszeitungen

Wie zufrieden sind die Menschen in Baden-Württemberg mit der Arbeit der Landesregierung? Werden die richtigen Schwerpunkte gesetzt, wo wird nur geredet, wo wird gehandelt? Das wollen die Tageszeitungen in Baden-Württemberg in ihrer gemeinsamen Umfrage, dem Ba-Wü-Check, genauer wissen und arbeiten dafür mit dem Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) zusammen. Das IfD befragt einmal im Monat im Auftrag der Tageszeitungen mehr als 1000 Menschen im Land, um repräsentative Ergebnisse zu erhalten. Das IfD gehört zu den namhaftesten Umfrage-Instituten Deutschlands, auf den Rat der IfD-Chefin Renate Köcher greifen Vorstandsvorsitzende, Regierungschefs und Verbände zurück. Die gedruckten Tageszeitungen in Baden-Württemberg erreichen jeden Tag mehr als fünf Millionen Menschen, hinzu kommen die Leserinnen und Leser auf den reichweitenstarken Online-Portalen der Tageszeitungen. (GEA)