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Wie der Südwesten zur Zeitungs-Hochburg wurde

Zunächst gab es in Deutschland viele Parteizeitungen. Dann setzte sich die Lokalpresse durch. Doch nicht in allen Gegenden Deutschlands gibt es so viele Zeitungen wie in Baden-Württemberg.

FOTO: SCHANZ
FOTO: SCHANZ Foto: GEA allgemein Gea
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Foto: GEA allgemein Gea

REUTLINGEN. Noch im 19. Jahrhundert bedienten die meisten Zeitungen einer politischen Zielgruppe. Rottenburger, wo über 80 Prozent das katholische Zentrum wählten, war eine Zentrumszeitung. Andernorts, wo es viele sozialdemokratische Anhänger gab, besaß die SPD Zeitungen. Noch heute ist die SPD über die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG), die ihr zu 100 Prozent gehört, an etwa 40 deutschen Zeitungen beteiligt, die mit einer Gesamtauflage von 2,2 Milionen etwa zehn Prozent des deutschen Zeitungsmarktes ausmachen. Heute ist die SPD die einzige Partei, die Zeitungen besitzt. Bis in die Weimarer Zeit hatten die meisten Zeitungen eine klare politische Ausrichtung, viele Journalisten waren gleichzeitig Politiker.

- Was ein General-Anzeiger war

Es gab neben dem GEA damals mehrere Zeitungen, die den Titel General-Anzeiger trugen, beispielsweise den Eppinger General-Anzeiger oder den Mannheimer General-Anzeiger. Der Titel bedeutete häufig, dass die Zeitung auch amtliche Bekanntmachungen abdruckte. Diese Funktion ging während des Dritten Reiches auf die NSDAP-Parteiblätter über, was zur Einstellung der General-Anzeiger führte. Die heutige Zeitungsstruktur mit dem Konzept einer unabhängigen Zeitung, die für Anhänger aller Parteien Informationen bieten sollte, entwickelte sich erst nach dem Krieg.

- Einfluss der Alliierten

Kernstück des deutschen Zeitungsmarktes sind die regionalen und lokalen Abonnementzeitungen mit einem Anteil von 70 Prozent an der Tagespresse. Ein großer Teil dieser Zeitungen ist erst rund 50 Jahre alt. Geburtshelfer dieser Titel waren nach dem Zweiten Weltkrieg die alliierten Besatzungsmächte, die bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes Lizenzen für neue Zeitungen an ausgewählte Personen vergeben haben. Als dann Anfang der fünfziger Jahre sukzessive die alten Zeitungen – die freiwillig oder gezwungenermaßen in die nationalsozialistische Pressepolitik eingebunden gewesen waren – wieder auf den Markt kamen, begann ein heftiger Wettbewerb. In den meisten Regionen war das Angebot an konkurrierenden Zeitungen üppig – zu üppig, wie sich schon bald erwies.

Mit der ersten Wirtschaftskrise der noch jungen Republik in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre setzte im Zeitungsmarkt ein Konzentrationsprozess ein, der bis heute anhält. Inzwischen gibt es in rund 60 Prozent der Kreise und kreisfreien Städte nur noch eine Zeitung mit lokaler Information. Anders als im Rundfunkbereich hatten die Alliierten im Pressemarkt auf privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen gesetzt, und diese agierten zunehmend nach dem Muster kapitalistischer Betriebe. Wachstum wurde zur Triebfeder unternehmerischen Handelns. Konnte dieses Wachstum zunächst noch über die insgesamt steigende Auflage der Tagespresse befriedigt werden, zeichnete sich mit dem allmählichen Erreichen der Marktsättigung ab, dass externes Wachstum für die Verlage an Bedeutung gewinnen würde.

Es ging nicht mehr darum, neue Leser aus der Schar der Nichtleser zu gewinnen, sondern auch den konkurrierenden Blättern die Leser abzuwerben oder besser gleich Konkurrenzzeitungen zu übernehmen. Größere Verlage kauften in ihrer Region kleinere Blätter auf. Diese ökonomische Konzentration war fast regelmäßig von publizistischer Konzentration begleitet. Die übernommenen Zeitungen wurden eingestellt und ihre Abonnenten mit dem ehemaligen Konkurrenzblatt bedient.

- Zunahme der Monopolgebiete

Die Zeitungsdichte wurde damit sukzessive verringert. Die ersten Monopolgebiete entstanden. Für den übernehmenden Verlag entfielen im für ihn günstigsten Fall die Kosten des Wettbewerbs in einem Gebiet, und er konnte sich gestärkt auf den Wettbewerb in anderen Gebieten konzentrieren – auf zur nächsten Fusion. Diese schnellen Entwicklungsschritte wurden unterstützt durch ein Spezifikum des Zeitungsmarktes: In fast allen Branchen lässt sich der Wettbewerb durch die Übernahme von Konkurrenten allenfalls entschärfen. Fällt ein Wettbewerber aus, dringt ein neuer in den Markt.

- Kurzlebige Neugründungen

Anders bei den Zeitungen: Schon bald erwies sich, dass die Neugründung von Zeitungen nicht funktionierte. Die Leser verhielten sich konservativ und blieben ihren alten Blättern treu. Die Anzeigenkunden setzten auf Auflagenhöhe und verschmähten die kleinauflagigen neuen Titel. In den achtziger Jahren scheiterten die meisten der ohnehin wenigen Versuche von Markterweiterungen durch den Aufbau neuer Lokalausgaben in der Nachbarschaft. Diese Gesetzmäßigkeiten gelten bis heute und haben dafür gesorgt, dass es neue Zeitungen außerhalb von Marktnischen – Beispiele sind die »taz« oder die »Financial Times Deutschland« – nicht gibt.

- Spezialfall Ostdeutschland

Diese Regel galt allerdings nicht, als nach dem Untergang der DDR der Zeitungsmarkt in Ostdeutschland neu geordnet wurde. Die damit beauftragte Treuhandanstalt hat die großen Verlage mit ihren für westdeutsche Verhältnisse ungewöhnlich hohen Auflagen an die führenden Verlagsgruppen aus dem Westen verkauft. Die schlichte Größe dieser Erwerbungen sowie die Marktstellung der ehemaligen SED-Titel hat letztlich dafür gesorgt, dass heute sowohl im Westen als auch im Osten ganze Regionen von einzelnen Titeln beherrscht werden, wobei die Monopolgebiete im Osten meist größer sind als im Westen.

Hinzu kommt, dass – abgesehen von Berlin und seinem Umland – auch der Grad der Monopolisierung im Osten höher ist. Einerseits fehlen hier die typischen Heimatzeitungen, die im Westen in ihren jeweils eng begrenzten Verbreitungsgebieten vielfach für Wettbewerb sorgen. Andererseits haben die großen Titel die einst von der SED festgelegten Verbreitungsgebiete im Wesentlichen beibehalten. Damit fehlen in Ostdeutschland auch jene Überlappungen von Regionalzeitungen, die im Westen für einen wesentlichen – wenn auch schrumpfenden – Teil des noch vorhandenen Wettbewerbs verantwortlich sind.

Der Zeitungsleser im Osten hat heute nur noch in wenigen Gebieten die Wahl zwischen zumindest zwei Zeitungen, wenn er sich auch über das lokale Geschehen informieren will. Als Alternative gibt es mehr oder weniger flächendeckend lediglich die überregionale Tagespresse von Bild bis Süddeutsche Zeitung. Diese Titel aus dem Westen – wenn man »Die Welt« mit ihrem neuen Standort Berlin sowie die »taz« einbezieht – haben aber in Ostdeutschland nach wie vor Akzeptanzprobleme und verzeichnen geringere Reichweiten als im Westen.

- Lokalzeitungen dominieren

Im internationalen Vergleich ist der insgesamt geringe Marktanteil der über-regionalen Tageszeitungen auffallend. In Deutschland dominieren Lokal- und immer stärker Regionalzeitungen den Markt. Die Bedeutung der lokalen Information ist für Zeitungsleser hierzulande sehr groß. Das bestätigen alle Umfragen. Der Stellenwert lokaler Nachrichten zeigt sich selbst bei den Boulevardzeitungen. »Bild«, die einzige überregionale Boulevardzeitung mit einer – in Relation zu allen anderen Zeitungen überragenden – Auflage von knapp vier Millionen Exemplaren, hat nur dort Absatzprobleme, wo die wenigen verbliebenen regionalen Boulevardzeitungen ihre lokale Verortung in den Wettbewerb einbringen.

- Wenig Boulevardzeitungen

Der Marktanteil der Boulevardzeitungen an der gesamten Tagespresse ist seit Jahren rückläufig. Inzwischen liegt er unter 25 Prozent. Besonders im Boulevardbereich sind Wirtschaftsflaute und hohe Arbeitslosenzahlen bei sinkenden Verkaufszahlen spürbar. Die Politik hat diesen Konzentrationsprozess lange Zeit nur beobachtet. Der Auftrag der Verfassung, für Vielfalt im Medienmarkt zu sorgen, war zwar eindeutig. Zugleich galten die Gesetze einer Marktwirtschaft, in der die Übernahme kleiner Anbieter durch größere der Normalfall ist. Erst als in der ersten Hälfte der siebziger Jahre hochauflagige Titel ihre Eigenständigkeit verloren, wurde die Politik aufmerksam. Die Verlagsgruppe Westdeutsche Allgemeine (WAZ) hatte in Nordrhein-Westfalen in rascher Folge gleich drei Zeitungen mit einer Auflage von 150.000 bis über 200.000 Exemplaren übernommen. Bei diesem Tempo der Konzentration war es nur eine Frage der Zeit, wann die Vielfalt im Zeitungsmarkt endgültig ein Ende haben würde.

- Lage in Baden-Württemberg

Baden-Württemberg und Bayern blieben mit ihrer stark vom Mittelstand geprägten Wirtschaft eine vielfältige lokalen Presselandschaft. Doch auch hier dünnte sich das Angebot durch Übernahmen von Zeitungen – meist nach dem Tod oder Ruhestand der alten Verlegerpersönlichkeiten – immer mehr aus. Jüngste Beispiele sind die Übernahme der Neckarquelle in Villingen-Schwenningen durch den Schwarzwälder Boten und die Übernahme des Schwäbischen Tagblatts in Tübingen durch die Südwest Presse.

- Ohne Zeitung keine Lokalpolitik

Im Auftrag der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien hat 2022 die »Situation der lokalen Presse« in Deutschland untersucht. Das Gutachten warnt vor einer schleichenden Negativentwicklung, die in den USA bereits dazu geführt hat, dass in einigen Regionen gar kein Lokaljournalismus mehr existiert – was wiederum zu sinkender demokratischer Beteiligung an der dortigen Lokalpolitik beigetragen hat. (GEA)