TÜBINGEN/REUTLINGEN. Boris Palmer (Grüne), Richard Arnold (CDU) sowie Matthias Klopfer (Schorndorf) haben klare Vorstellungen vom Weg aus der Coronakrise: Weniger Bürokratie, mehr Entscheidungskompetenz in den Kommunen, genug Geld und mehr »gesunder Menschenverstand«. Was das konkret bedeutet, haben die Oberbürgermeister von Tübingen, Schwäbisch-Gmünd und Schorndorf gestern in einer gemeinsamen Video-Pressekonferenz aus dem Tübinger Rathaus erläutert.
Ganz oben auf der Agenda: die komplette Öffnung von Kindergärten und Schulen. Dann könnten in Städten wie Tübingen 80 bis 90 Prozent der Kinder wieder einen Platz finden. Die aktuelle 50:50-Regelung des Landes findet OB Boris Palmer unzureichend. Entweder sind Kinder ein Infektionsrisiko, so Palmer, dann muss das Land die Öffnung zurücknehmen. Sind sie es nicht, dann müssten alle Einrichtungen geöffnet werden. »Eine Öffnung für die Hälfte der Kinder ist gut gemeint, aber daneben«, formuliert es sein Amtskollege aus Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold.
Einig über Parteigrenzen hinweg sind die drei auch, wenn es ums Geld geht. »Statt eines Schirmladens fordern wir das Land dazu auf, einen wirksamen Schirm für die Kommunen aufzuspannen«, betonen die drei Rathauschefs in einem gemeinsamen Appell, den sie vor einem Gespräch mit der Finanzministerin vorstellten.
»Investitionen zu streichen, wäre das falsche Signal«
Oberste Priorität hat für sie, dass die finanzielle Ausstattung der Kommunen weiterhin Investitionen ermöglicht. »Investitionen zu streichen, wäre das falsche Signal«, so Palmer. Sie fordern deshalb, dass das Land das Defizit aus dem kommunalen Finanzausgleich in Höhe von einer Milliarde Euro komplett übernimmt. Geld vom Bund dürfe es nicht nur beim Vorliegen von Kassenkrediten geben, sondern auch dann, wenn sich Kommunen verschuldet haben, um zu investieren. Andernfalls würden die baden-württembergischen Kommunen, die Kredite nur für Investitionen aufnehmen, »im Abseits landen«, so Palmer.
Sinnvoller sei es zum Abfedern der Krise, vorübergehend Standards zu senken, bekräftigt Matthias Klopfer. Eine Senkung des Betreuungsschlüssels in den Kitas auf eine Betreuerin für vier Kinder würde den Kommunen einiges an Geld sparen.
Ob die Wiederbelebung des kulturellen Lebens (»möglichst noch im Juni«) oder die Öffnung von Freibädern: Für Palmer ist der Punkt erreicht, bürokratische Regelungen zurückzufahren und die Eigenverantwortung zu stärken. »Wir können nicht das ganze Leben virologisch durchkonzipieren«, wettert der Tübinger OB angesichts von Vorgaben für Schwimmbäder. Dass Badbesuchern vorgeschrieben werden soll, nach dem Schwimmen daheim zu duschen, geht ihm zu weit. Sein Amtskollege Arnold setzt auf »gesunden Menschenverstand« und »den Impuls von unten nach oben«.
Den Vorstoß von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), die Regelung der Coronakrise an die Kreise abzugeben, stößt bei Palmer, Arnold und Klopfer auf Zustimmung. »Ich finde, dass das vor Ort besser geregelt werden kann als in den Ministerien«, sagt Palmer. Nur die Rahmenbedingungen müssten weiterhin vom Land kommen, sagt Klopfer. So müsse das Land etwa die Vorgaben für Tests in Altenheimen machen. Wobei genau in diesem Punkt die drei Rathauschefs mit dem Sozialministerium derzeit über Kreuz liegen. Dass das Sozialministerium im Land Tests in den Pflegeheimen nicht finanzieren will, weil zuletzt zu wenig Infizierte gefunden wurden, bringt Palmer auf die Palme. »An der Stelle zu sparen, ist kontraproduktiv.« (GEA)
IN FROHER ERWARTUNG
Tübingens OB Boris Palmer ist im Vater-Stress. »Ich warte stündlich darauf, dass die Geburt meines dritten Kindes beginnt«, sagte er zur Erklärung, warum er die Stadt derzeit nicht verlässt. (GEA)