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Aktuell Stadtkreis

Reutlinger Lokalpolitiker zwischen Enttäuschung, Bestätigung und Bedauern

Stellungnahmen von Lokalpolitikern zum Urteil des Verfassungsgerichtshofs.

REUTLINGEN. Die Reaktionen im Reutlinger Gemeinderat auf das Machtwort der Juristen fielen gestern unterschiedlich aus. Die SPD-Fraktion als eine der großen Fraktionen will die »endgültige« Entscheidung akzeptieren. Sie beharrt allerdings auch auf den »wohlbegründeten Argumenten«, dass die Stadt Reutlingen Stadtkreis werden müsse. So wie es jetzt ist, könne es nicht bleiben, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Helmut Treutlein. Das Gericht habe zwar die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen, jedoch keine Entscheidung in der Sache gefällt.

Mit seiner Entscheidung zur Ablehnung der Gründung des Stadtkreises Reutlingen habe der Landtag anerkannt, dass es vielfältige Themen gibt, die nicht nur zu besprechen, sondern zu verändern sind, damit die Stadt Reutlingen ihre Aufgaben als Großstadt erledigen könne.

Die finanzielle Ausstattung der Stadt sei im Vergleich zu den Stadtkreisen längst nicht mehr angemessen. »So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben«, sagt Helmut Treutlein. Die SPD-Fraktion erwarte, dass die im Beschluss des Landtags angesprochenen Gespräche zwischen Stadt und Landkreis uns in der Sache substanziell weiterbringen.

Aufeinander zugehen

Gabriele Janz, Fraktionssprecherin der Grünen und Unabhängigen, konnte in dieser Sache gestern spontan nur für sich selbst sprechen: Sie hatte die Auskreisungsbemühungen der Stadt abgelehnt – anders als andere Fraktionsmitglieder. Deshalb hoffe sie nicht, dass die Stadt eine weitere Klage anstrebe. Es sei vielmehr Zeit, dass Stadt und Landkreis aufeinander zugehen. »Wir müssen jetzt mit dem Kreis sprechen«, meinte Janz. Themen gebe es genug – etwa die Jugendhilfe und die Sozialleistungen. Es komme in Zukunft darauf an, »den Tisch wieder zusammenzurücken«.

Umfrage (beendet)

Sollte Reutlingen seine Bemühungen, Stadtkreis zu werden, einstellen?

Der Landtag hatte das Vorhaben abgelehnt, die Stadt hatte daraufhin Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof eingelegt. Diese wurde nun zurückgewiesen.

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Mit der Entscheidung sei nach jahrelanger Ungewissheit eine Entscheidung getroffen worden, »die von allen Akteuren ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein erfordert«, sagt die CDU-Fraktionsvorsitzende Gabriele Gaiser. »Wir fordern Stadt und Landkreis auf, nun sehr rasch die Verhandlungen aufzunehmen. Ein Fragenkatalog wurde bereits vonseiten der Stadt ausgearbeitet und liegt dem Landkreis vor.«

Mit sehr hohem Kosten- und Personalaufwand seien die Grundlagen für das Verfahren und die fachliche Diskussion und Neuordnung der Zuständigkeiten erarbeitet worden. Es sei allen klar, dass es ein »Weiter so« nicht geben könne. Bereiche wie Jugendhilfe oder Sozialhilfe müssten für die Zukunft neu und klar geregelt werden. Neben diesen Verhandlungen zwischen Stadt und Landkreis sei aber auch der Landtag als Gesetzgeber gefordert, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen für die Umsetzung dieser Neuaufteilung der Aufgaben.

Mit der Neueinteilung von Zuständigkeiten müsse auch die finanzielle Ausstattung geregelt werden, so Gaiser. Dabei sei auch klar, dass es hierfür keine Präzedenzfälle, sondern Einzelfallregelungen gebe.

»Die Freien Wähler sind enttäuscht, dass die Klage nicht einmal zugelassen wird und deshalb über die Sache inhaltlich auch nicht entschieden werden kann«, sagt Jürgen Fuchs, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Gemeinderat. Es bleibe zu prüfen, welche rechtlichen Schritte noch möglich sind, was aber wohl wenig Aussicht auf Erfolg haben werde. »Die Folgerung daraus ist, jetzt mit dem Landkreis Gespräche und Verhandlungen aufzunehmen. Der Landrat hat ja auch erklärt, dass es so, wie es ist, wohl nicht bleiben kann.« Die Fragen, die sich ergeben – zum Beispiel im sozialen Bereich oder beim Ausgleich der Finanzen – müssten unabhängig von der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Stuttgart geklärt werden.

Die WiR-Fraktion sei die Einzige gewesen, die sich seit Beginn der Bestrebungen »vehement« gegen die Kreisfreiheit Reutlingens und auch danach gegen die Verfassungsbeschwerde der Stadt ausgesprochen habe, so Fraktionsvorsitzender Professor Dr. Jürgen Straub. »Daher nehmen wir diese Nachricht natürlich mit einer gewissen Freude entgegen.« Seit Beginn der Debatte um die Kreisfreiheit plädiere die WiR-Fraktion dafür, die Zusammenarbeit mit dem Umfeld »nicht nur im Landkreis Reutlingen« zu verbessern und anstehende Probleme und Aufgaben auf nachbarschaftlichem Wege zu lösen.

»Wir sind mehr und mehr gezwungen, unsere verfügbaren endlichen Ressourcen nachhaltig und mit möglichst hoher Effizienz für unsere Stadt und dem Landkreises einzusetzen«, so Straub. Dazu müsse durchaus über die Verteilung der Aufgaben zwischen der Stadt und dem Landkreis neu verhandelt werden, um »die bestehenden, teils starren, aber auch festgefahrenen Verwaltungsprozesse deutlich flexibler gestalten zu können«. Davon würden beide Seiten profitieren.

Die »Großstadtträume der früheren OB und fast aller Gemeinderatsfraktionen« seien vom Verfassungsgerichtshof »wieder in die Realität zurückgeholt worden«, sagt der Fraktionsvorsitzende der AfD im Reutlinger Gemeinderat, Hansjörg Schrade. »Hätte die Stadt auf die Bürger gehört, hätte sie sich diese Blamage ersparen können. Und noch mehr Geld gespart.« Er habe schon im Dezember 2018, ein halbes Jahr vor der Kommunalwahl, einen Bürgerentscheid zu dieser Frage gefordert.

Dieser Bürgerentscheid hätte zusammen mit der Kommunalwahl stattfinden können. Reutlingen könne sich jetzt wieder auf seine Bürger und die naheliegenden Probleme konzentrieren. Die finanzielle Lage der Stadt lade nicht zum Träumen ein, so Schrade.

Thomas Ziegler, Sprecher der Fraktion Die Linke im Kreistag, empfindet »einige Genugtuung« hinsichtlich des Urteils, weil er 2015 als einziger Stadtrat den »Auskreisungsgelüsten entschieden entgegengetreten« sei. Der Verfassungsgerichtshof weise das juristische Vorgehen der Stadt nicht lediglich als inhaltlich unbegründet, sondern bereits als rechtlich »unzulässig« zurück: »Für sämtliche aus dem Rathaus sowie dessen Rechtsvertretung langjährig vollmundig verkündeten, angeblich hohen Erfolgsaussichten eine geradezu krachende juristische Bruchlandung.«

Die FDP-Gemeinderatsfraktion bedauert die Entscheidung, dass die Beschwerde der Stadt Reutlingen unzulässig ist. In der Sache habe der Verfassungsgerichtshof gar nicht entschieden. Jetzt müssten die Juristen abklären, wie eine Gemeinde sich gegen eine ihrer Meinung nach falsche Entscheidung des Landtages wehren könne, sagt der FDP-Fraktionsvorsitzende Hagen Kluck. Parallel dazu sollten jetzt die Gespräche mit dem Landkreis geführt werden, zu denen der Landtag aufgefordert hat. »Sollten sich dabei Kompetenz-Erweiterungen der Stadt ergeben, muss sich der Landtag erneut damit befassen, weil dazu gesetzliche Regelungen erforderlich sein dürften.« (GEA)