BERLIN. Die SPD erhöht den Druck hin zu einer zügigen Regierungsbildung. Erste Sondierungsgespräche mit Grünen und FDP könnten nach Aussage von Fraktionschef Rolf Mützenich noch in dieser Woche geführt werden.
Mützenich forderte Unionskanzlerkandidat Armin Laschet auf, nicht weiter nach dem Kanzleramt zu streben. »Armin Laschet muss endlich einsehen, dass er nicht das Vertrauen der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger bekommen hat«, sagte Mützenich in einer auf Twitter verbreiteten Videobotschaft.
Im Bundestag konstituierte sich die SPD-Fraktion. Zuvor sagte Mützenich: »Grüne und FDP sind von uns eingeladen worden, mit uns, wenn sie wollen auch in dieser Woche bereits, Sondierungsgespräche zu führen.« Die SPD sei bereit, »nicht nur schnelle, sondern auch verlässliche Gespräche zu führen«.
Die rund 100 neugewählten SPD-Abgeordneten stellten sich bei der Sitzung der bisherigen und neuen Fraktionsmitglieder der Reihe nach vor. Kanzlerkandidat Olaf Scholz, auch er wieder neu in den Bundestag gewählt, verkündete auf Twitter: »Jetzt machen wir uns gemeinsam an die Arbeit.«
Die Fragen von roten Linien in den Gesprächen, also unverhandelbaren Inhalten, stelle sich gerade nicht, so Mützenich. Wichtige Inhalte für die SPD lägen bei Mindestlohn, Wohnraum und einem Umbau im Hinblick auf die Klimakrise. »Aber wir werden nicht in der Öffentlichkeit Koalitionsverhandlungen führen«, betonte Mützenich.
Warnung an Grüne und FDP
Der Fraktionschef warnte Grüne und FDP, bei den Gesprächen einen anderen Stil an den Tag zu legen als nach der vergangenen Wahl 2017. »Ich glaube, beide kleinen Parteien müssen sich klar darüber werden, dass das Schauspiel, was sie vor vier Jahren hier manchmal auf Balkonen absolviert haben, nicht den Aufgaben gerecht wird«, sagte er. Der eine oder andere mache sich offenbar schon Gedanken darüber, »wo er in der Regierung, auf welchem Sessel er Platz nehmen kann«.
Zugleich bekräftigte Mützenich den Führungsanspruch der Sozialdemokraten. »Armin Laschet muss endlich einsehen, dass er nicht das Vertrauen der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger bekommen hat«, sagte der Fraktionschef in einer auf Twitter verbreiteten Videobotschaft. Der Unionskandidat sei der Wahlverlierer. Laschet gebe dem Land keine Gewissheit und keinen klaren Kurs. Es gehe jetzt nicht um »Durchwurschteln«.
Verjüngte Fraktion
Jünger, femininer, diverser und ostdeutscher - so präsentierte sich die neue SPD-Fraktion, wie mehrere Teilnehmer berichteten und die SPD auch stolz verkündete. Dabei gab es in der Sitzung bewegende Momente, wie Teilnehmer der Deutschen Presse-Agentur berichteten. So zählen zu den Abgeordneten auch mehrere, die als Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, nun auf ihren bewegten Lebensweg hinwiesen und von der »Ehre« berichteten, dem deutschen Parlament anzugehören.
Von den 206 Sitzen, die die SPD gewonnen hat, sind 121 Direktmandate. 2017 waren es nur 59 von 153 Sitzen. Mehr als die Hälfte der SPD-Abgeordneten wurden neu gewählt, von ihnen sind 56 Prozent 40 Jahre oder jünger, wie die Fraktion mitteilte. 42 Prozent der SPD-Abgeordneten sind Frauen. 41 Abgeordnete kommen aus dem Osten. An diesem Mittwoch will die Fraktion ihren neuen Vorsitzenden wählen. Mützenich gilt als gesetzt. Scholz hatte sich am Montag öffentlich für ihn ausgesprochen, bevor er vom Fraktionsvorstand vorgeschlagen wurde.
Mitgliederbefragung zur Koalition
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans zeigt sich offen für eine Mitgliederbefragung über einen möglichen Koalitionsvertrag. Diese wäre eine Option. »Über die Form der Beteiligung werden wir auf der Strecke entscheiden«, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. »Es darf der Mitgliedschaft jedenfalls nicht zugemutet werden, dass sie wichtige Entscheidungen der Spitze schlucken muss und nicht mitreden darf.« 2018 hatte die SPD-Basis dem Koalitionsvertrag mit der Union in einer Abstimmung grünes Licht gegeben.
Auch will Walter-Borjans Sondierungsgespräche mit den Grünen und der FDP auf einer Basis führen, die »zumutbar und tragbar« für Normalverdiener ist. »Die drei Wahlsieger verbindet eine Fortschrittserzählung, wenn auch mit unterschiedlicher Akzentsetzung. SPD, Grünen und FDP ist daran gelegen, diese Bundesrepublik fit zu machen für die Zukunft«, so Walter-Borjans. »Die Veränderungen müssen aber auch zumutbar und tragbar sein für die Normalverdienenden dieser Gesellschaft. Auf dieser Grundlage sollten wir Gespräche führen.«
Personalentscheidungen bei den Grünen
Die Grünen wollen bei einer Regierungsbeteiligung erst nach Koalitionsverhandlungen über ihre personelle Aufstellung entscheiden. Parteichef Robert Habeck machte am Dienstag vor einer Fraktionssitzung klar, dass »selbstverständlich am Ende eines solchen Prozesses über Inhalt und Personal - das gesamte Tableau - die Partei über einen Parteitag oder eine Mitgliederbefragung« entscheiden werde. Zum jetzigen Zeitpunkt sei die Frage, wer von den Grünen den Vizekanzleposten übernehmen werde, »völlig irrelevant«. »Wir haben ja nicht mal einen Kanzler.«
Habeck bekräftigte aber, dass er sich mit seiner Co-Vorsitzenden, der bisherigen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, mit Blick auf die anstehenden Verhandlungen schon über alle relevanten Fragen verständigt habe. Schon am Montag hatte er auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Baerbock auf die Frage, wer denn den Vizekanzlerposten übernehmen werde, gesagt: »Gehen Sie davon aus, dass wir komplett sortiert sind.« Man wolle das jetzt aber nicht »zu Markte tragen«.
Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (Online) berichtete kurz danach, dass die beiden sich schon vor längerer Zeit für den Fall eines schlechten Wahlergebnisses auf Habeck als Vizekanzler verständigt hätten. Der Deutschen Presse-Agentur wurden die Angaben aus Parteikreisen bestätigt.
Kretschmann: Süden als Vorbild
Das Programm der baden-württembergischen Landesregierung kann aus Sicht von Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei den anstehenden Gesprächen im Bund als Vorbild dienen. Der grün-schwarze Koalitionsvertrag aus Baden-Württemberg sei eine »gute Blaupause«, sagte der grüne Regierungschef am Dienstag in Stuttgart. Grüne und CDU hatten im Südwesten viele Maßnahmen für den Klimaschutz vereinbart, etwa eine Solarpflicht für Neubauten von Wohngebäuden.
Kretschmann forderte von Olaf Scholz deutlich mehr Engagement beim Klimaschutz. Scholz sei bei der Verhandlung über den CO2-Preis der härteste Gegner gewesen, kritisierte er. »Das wird er ablegen müssen. Das ist ja mal sonnenklar.« Nun brauche es einen ambitionierteren Klimaschutz und einen schnelleren Ausstieg aus der Kohle. Verhandlungen würden zwar nicht öffentlich geführt, aber das seien Dinge, die seien aus seiner Sicht klar. »Da beißt nun mal keine Maus den Faden ab.« (dpa)