BERLIN. Gesundheitsminister Jens Spahn hat sich in der Debatte um weitere Lockerungen der massiven Einschränkungen in der Corona-Krise für verständliche Kriterien ausgesprochen.
»Je nachvollziehbarer die Regelungen sind, desto eher werden sie akzeptiert und gelebt«, sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er kritisierte damit bisherige Kriterien. Spahn sagte weiter, er rechne zunächst nur mit einer begrenzten Verfügbarkeit eines Impfstoffs gegen das Coronavirus, sobald dieser vorliege. Unterdessen trat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Befürchtungen entgegen, dass in der Krise der Klimawandel von der Agenda der EU verdrängt werden könnte.
Spahn sagte: »Partys oder Volksfeste bergen ein extrem hohes Risiko. Wer dagegen mit dem nötigen Abstand zu anderen in einem Geschäft einkaufen geht oder sich beim Sport im Fitnessstudio fit hält, sollte das tun können.« Wichtig sei es, bei den nächsten Schritten mehr über allgemeine Kriterien als über Quadratmeter-Zahlen zu reden. »Wir alle spüren ja, dass es für viele schwer verständlich ist, warum Läden mit 799 Quadratmetern öffnen dürfen, Läden mit 801 aber nicht. Oder warum man um den See spazieren gehen darf, aber nicht Golf spielen kann.« Entscheidend dafür, was stattfinden oder öffnen könne, müssten vor allem Abstands- und Hygieneregeln sein.
Im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus gelten massive Einschränkungen im öffentlichen Leben. Kleinere und mittlere Geschäfte bis zu 800 Quadratmetern dürfen inzwischen unter Auflagen zum Gesundheitsschutz aber wieder öffnen - diese Regel war massiv kritisiert worden, zudem gibt es in Ländern unterschiedliche Regeln. Restaurants, Kneipen und Hotels sind weiter dicht.
Schulen sollen ab Anfang Mai wieder schrittweise öffnen. Am Montag wollen die Kultusminister der Länder in einer Telefonkonferenz über möglichst einheitliche Vorkehrungen sprechen. Der Gesundheitsschutz habe »selbstverständlich oberste Priorität«, sagte die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK), Stefanie Hubig (SPD). Die KMK werde die Endabstimmung eines Konzepts herbeiführen, über das Merkel und die Länderchefs beraten können.
Merkel will am 30. April erneut mit den Ministerpräsidenten über das weitere Vorgeben in der Krise sprechen. Bund und Länder werden aber voraussichtlich erst am 6. Mai über weitere Lockerungen der Einschränkungen entscheiden, wie Merkel deutlich gemacht hatte. Die Auswirkungen der am Montag begonnenen Öffnung der Geschäfte könne man erst 14 Tage später abschätzen. Andere Lockerungen träten noch später in Kraft.
Bayern Ministerpräsident Markus Söder schraubte die Erwartungen an das Gespräch am 30. April ebenfalls zurück. »Ich finde es gut, sich so oft wie möglich auszutauschen. Aber ich würde diesmal nicht allzu viel erwarten. Es wäre sinnvoll, wenn wir nächsten Donnerstag ein Update machen, aber keine zusätzlichen überstürzten Aktionen einleiten«, sagte der CSU-Chef in einem am Samstag veröffentlichten »Focus online«-Interview. Es brauche verlässliche Zeitachsen, sonst verunsichere man die Menschen. »Wer ständig Geduld von der Bevölkerung einfordert, sollte sie auch als politischer Verantwortlicher zeigen.«
Die Kanzlerin hatte die Länder kritisiert, die Umsetzung der ersten Öffnungsbeschlüsse wirke auf sie »in Teilen sehr forsch, um nicht zu sagen zu forsch«. Für ihre Warnungen bekam Merkel Unterstützung aus ihrer Partei. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer teilt die Sorgen der Regierungschefin, auch die Kandidaten für den CDU-Vorsitz Norbert Röttgen und Friedrich Merz äußerten sich in diese Richtung.
Vor allem Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) treibt die Debatte um weitere Lockerungen in Zeiten der Corona-Pandemie voran. Der CDU-Vize kandidiert ebenfalls für den Parteivorsitz. Der »Welt« (Samstag) sagte Laschet zu seinem Kurs in der Corona-Krise: »Ich erlebe Kritik, auch polemische, aber auch so viel Zuspruch und Ermutigung wie noch nie in meinem politischen Leben.« Laschet warb zugleich für die Geschlossenheit der Länder und wandte sich gegen einen »Überbietungswettbewerbe egal welcher Art«.
Bei den Beratungen von Bund und Ländern in der kommenden Woche soll es auch um eine schrittweise Öffnung von Kindertagesstätten gehen. Die Familienminister der Länder erarbeiten derzeit einen Fahrplan, wie Hamburgs Familiensenatorin Melanie Leonhard (SPD) der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg sagte. Sie ist bei den Planungen gemeinsam mit ihrem Amtskollegen aus Nordrhein-Westfalen federführend.
»Wenn wir nicht wollen, dass die Eltern aus Verzweiflung irgendwann wieder die Kinder durch Großeltern und andere betreuen lassen, dann müssen wir dieses Thema jetzt intensiv abwägen«, sagte Leonhard. Auf ein konkretes Datum für eine Öffnung konnte und wollte sie sich dabei noch nicht festlegen.
Als zentral im Kampf gegen die Corona-Pandemie gilt ein Impfstoff, Forscher weltweit suchen fieberhaft danach. Spahn sagte in dem Zeitungsinterview, ein Impfstoff werde zunächst nicht milliardenfach produziert. Die Impfkommission beim Robert-Koch-Institut habe nun den Auftrag, Empfehlungen zu machen, wer zuerst geimpft werden solle. »Dazu werden sicher die Risikogruppen und das medizinische Personal gehören.« Es werde zwar so schnell keinen marktreifen Impfstoff geben, so Spahn. Die Bundesregierung müsse sich aber jetzt schon für eine verlässliche Massenherstellung einsetzen - auch in Europa.
Spahn will außerdem ein neues Versorgungskonzept für Kliniken einführen, um Behandlungskapazitäten für alle Patienten zu sichern. Demnach sollen wieder 75 Prozent des Klinikbetriebs für Nicht-Corona-Behandlungen zur Verfügung stehen und 25 Prozent weiter für Corona-Patienten frei gehalten werden.
Kanzlerin Merkel sagte in ihrem am Samstag veröffentlichten Podcast, die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands in der zweiten Jahreshälfte werde wegen der Pandemie »anders ablaufen, als wir uns das vorgenommen hatten«. Klimafragen werde man »genauso auf der Tagesordnung haben wie die Gesundheitsfragen«. Man müsse sehen, dass man für die »wirtschaftliche Ertüchtigung Europas« und den sozialen Zusammenhalt etwas tue, sagte die Kanzlerin, und »dass wir an die Zukunft denken - und das sind die Klima- und Umweltfragen«. (dpa)