BERLIN. Nach den jüngsten Bund-Länder-Beschlüsse zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind Forderungen nach noch schärferen Maßnahmen laut geworden.
So plädierte etwa der Präsident der Intensivmediziner-Vereinigung Divi, Gernot Marx, für stärkere Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte. Auch Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt hält die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz für unzureichend. Städte und Gemeinden bezweifeln insbesondere, dass die von der Politik angestrebte Zahl von 30 Millionen Corona-Impfungen bis Weihnachten zu schaffen ist.
Bund und Länder hatten am Donnerstag Maßnahmen vorgestellt, um die Virusausbreitung zu bremsen. Dazu zählen erhebliche Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte. Ihnen wird im Weihnachtsgeschäft auch der Zutritt zu den meisten Läden verwehrt. Auch Apotheken und Pflegefachkräfte sollen gegen Corona impfen können, im Dezember kommen Millionen Dosen zusätzlich. Der Verkauf von Böllern und Feuerwerk zu Silvester wird bundesweit verboten.
Beschlüsse schwer umzusetzen
Der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen sagte, einige der Beschlüsse seien schwer umzusetzen. »Es ist fraglich, wie die Kontaktbeschränkungen von Ungeimpften durchgesetzt und kontrolliert werden können.« Er meinte: »Mit den Beschlüssen werden wir noch etwa drei bis vier Wochen einen Anstieg in den Kliniken und auf den Intensivstationen haben.« Auch die Inzidenz werde noch einige Zeit steigen. »Die Welle wird nicht so schnell aufhören.«
Divi-Präsident Marx sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): »Wir brauchen deutliche Kontaktbeschränkungen, aktuell tatsächlich am besten für alle.« Über die neue Virusvariante Omikron wisse man noch nicht genug. »Wir können nicht ausschließen, dass die Impfstoffe vermindert wirken«, sagte er. »Wegen dieses Nicht-Wissens ist zwingend notwendig, besonders vorsichtig zu sein.«
Sind die Maßnahmen ausreichend?
Bundesärztekammer-Präsident Reinhardt sagte der »Neuen Osnabrücker Zeitung« (NOZ): »Um das Gesundheitswesen vor Überlastung zu schützen, wären aus unserer Sicht noch weitergehende Maßnahmen notwendig.« Seiner Meinung nach sollte für Geimpfte und Genesene bundesweit verpflichtend in Bars, Restaurants sowie für Sport und Kulturveranstaltungen in Innenräumen 2G plus gelten - dann müsste zusätzlich auch noch ein Test vorgelegt werden. Vor allem müsse die Einhaltung der Zutrittsvoraussetzungen strikt kontrolliert und deren Missachtung verbindlich sanktioniert werden, mahnte er.
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte der Deutschen Presse-Agentur (dpa), die Einhaltung der Corona-Vorschriften habe nun Priorität. »Das ist im Moment einfach wichtiger, als Parkverstöße oder überhöhte Geschwindigkeit zu kontrollieren.«
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) befürchtet eine Zunahme der Aggressivität von Menschen. GdP-Bundeschef Oliver Malchow sagte der dpa: »Wir kennen ja schon aus der dritten Welle aggressives Verhalten nicht nur gegenüber der Polizei - denken Sie an den Mitarbeiter einer Tankstelle, der das Leben verloren hat, weil einer die Maske nicht tragen wollte.« In Rheinland-Pfalz hatte ein Mann einen Studenten, der in einer Tankstelle an der Kasse als Aushilfe jobbte, im September im Streit um das Tragen einer Corona-Maske erschossen.
Impftempo bleibt Thema
Der Städte- und Gemeindebund hält die Bund-Länder-Beschlüsse für einen richtigen Ansatz. »Der Maßnahmenkatalog kommt spät, aber besser spät als gar nicht«, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der »Rheinischen Post«.
Skeptisch zeigte er sich hinsichtlich der 30 Millionen Impfungen bis Weihnachten. »Wir hören immer wieder, dass die Impfstoffe bei der Verteilung noch nicht so vorhanden sind, wie von den Ärzten gewünscht.« Der Präsident des Deutschen Städtetags, Markus Lewe, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: »In vielen Städten kommt derzeit jedoch nicht genügend Impfstoff an.«
Epidemiologe Zeeb rechnete: »Wenn wir weiter eine Million Menschen am Tag impfen, dann haben wir bis 24. Dezember erst rund 20 Millionen.« Die Zahl der Impfungen müsse auf rund 1,5 Millionen pro Tag steigen, um 30 Millionen zu erreichen.
Verkaufsverbot von Feuerwerkskörpern
Derweilen kritisierte der Geschäftsführer des Verbandes der pyrotechnischen Industrie (VPI), Klaus Gotzen, die Entscheidung, den Verkauf von Feuerwerkskörpern erneut zu verbieten. »Dieses Verkaufsverbot darf es nicht geben. Das würden viele Betriebe unserer Branche kein zweites Mal überleben. 3000 Jobs sind in Gefahr«, sagte er der »Bild«. Unter freiem Himmel sei das Risiko, sich mit Corona anzustecken, sehr gering. Zudem seien viele Menschen geimpft, sie ließen sich testen und verhielten sich vernünftig.
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