Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der indische Premierminister Narendra Modi wirbt für Friedensbemühungen: Beim Antrittsbesuch des Kanzlers in Indien sind die Differenzen zwischen beiden Ländern mit Blick auf den Ukraine-Krieg deutlich geworden.
Scholz betonte nach dem Gespräch mit Modi, wie wichtig die UN-Resolutionen seien, mit denen der Krieg immer wieder verurteilt werde. Indien hat keiner dieser Resolutionen zugestimmt, sondern sich stets enthalten. Das Land mit engen wirtschaftlichen und militärischen Verbindungen zu Russland will neutral bleiben.
Modi sagte laut offizieller Übersetzung, Indien habe seit Kriegsbeginn vor einem Jahr stets zu einer Lösung durch Dialog und Diplomatie aufgerufen. »Indien steht bereit, an jedem Friedensprozess teilzunehmen.« Die Ukraine und ihre westlichen Verbündeten - darunter Deutschland - sehen aber keinen Sinn in Verhandlungen, solange Russland nicht zum Abzug seiner Truppen aus der Ukraine bereit ist.
Keine offene Konfrontation
Eine Konfrontation auf offener Bühne gab es zwischen den beiden aber nicht. Das hat Scholz bei Reisen in russlandfreundliche Länder schon anders erlebt, zum Beispiel in Südafrika oder zuletzt in Brasilien, wo Präsident Luiz Inácio Lula da Silva auf einer gemeinsamen Pressekonferenz sogar der Ukraine eine Mitschuld am russischen Angriffskrieg gab.
Scholz verdeutlichte in Indien, dass er kein Interesse an solchen offenen Konflikten hat. Kritik am indischen Abstimmungsverhalten in der UN-Vollversammlung ist von ihm nicht zu hören. Er sei sicher, »dass auch unter den Ländern, die nicht mitgestimmt haben, die allermeisten das als einen Angriffskrieg bewerten«, betonte er. Indische Regierungsvertreter sprechen allerdings nie von einem Krieg, sondern immer von einer Krise oder einem Konflikt.
Schon vor seiner Reise hatte der SPD-Politiker klargemacht, dass er nicht belehrend daherkommen wolle. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz machte er sich vergangenes Wochenende ein Zitat des indischen Außenministers Subrahmanyam Jaishankar zu eigen: »Europa muss aus der Mentalität herauswachsen, dass die Probleme Europas die Probleme der Welt sind, aber die Probleme der Welt nicht die Probleme Europas sind.« Bei indischen Medien kam das sehr gut an.
Keine Belehrungen wegen Russland-Kurs
Scholz will die wirtschaftlichen und strategischen Beziehungen zu der fünftstärksten Wirtschaftsmacht der Welt ausbauen - auch um Indien aus seiner engen Bindung an Russland zu lösen. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat das Land mit der zweitgrößten Bevölkerung weltweit seine Importe von relativ günstigem russischen Öl ausgeweitet. Kritiker werfen Indien vor, so die Sanktionen des Westens auszuhebeln. Indien sagt dagegen, es brauche günstiges Öl für seine arme Bevölkerung. Die Bundesregierung will das nicht problematisieren. »Es wäre falsch, wenn wir das als Provokation begreifen würden«, heißt es aus Regierungskreisen.
Auch militärisch steht Indien Russland sehr nahe. Ein Großteil der Ausrüstung der indischen Streitkräfte stammt von dort. Das wollen westliche Länder wie Deutschland ändern. Scholz und Modi sprachen über konkrete Rüstungsprojekte, sagten aber nicht über welche.
Berichte: Indien will sechs U-Boote
Indischen Medienberichten zufolge sucht die Regierung in Neu Delhi einen Kooperationspartner für die Produktion von sechs U-Booten. Aus Deutschland käme dafür ThyssenKrupp Marine Systems in Frage, aber auch Südkorea soll im Rennen sein. Ein solches Geschäft wäre mehrere Milliarden Euro wert.
Derzeit verfügt Indien über ein nukleares und 16 konventionelle U-Boote. Das Land zählt zu den mutmaßlich insgesamt neun Ländern, die über Atomwaffen verfügen, und steht seit Jahrzehnten in einem Territorialkonflikt um die Region Kaschmir mit dem ebenfalls nuklear bewaffneten Nachbarland Pakistan. Waffenexporte nach Indien sind daher umstritten.
Scholz machte deutlich, dass er kein Problem mit einem Ausbau der Rüstungskooperation hat. Die »Qualität der deutschen Technik« sei auch in diesem Bereich bei den indischen Partnern hoch anerkannt, sagte er. Man wolle die Zusammenarbeit »in ganz konkreten Arbeitsbeziehungen vertiefen und da weiter dran bleiben«. Auch Modi betonte, es gebe im Sicherheits- und Verteidigungsbereich noch »unerschlossenes Potenzial«.
Ein Dutzend Wirtschaftsvertreter dabei
Der Kanzler, der von einem Dutzend Wirtschaftsvertretern begleitet wurde, will auch die Wirtschaftsbeziehungen deutlich ausbauen. Deutsche Investitionen in Indien sollten verstärkt und die Zahl der Beschäftigten der 1800 deutschen Unternehmen dort »massiv erhöht« werden.
Scholz machte sich zudem für einen möglichst baldigen Abschluss eines Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Indien stark. Verhandlungen gab es von 2007 bis 2013. Damals scheiterten die Gespräche und wurden erst im vergangenen Jahr wieder aufgenommen. »Ich bin dafür, dass wir jetzt mehr Druck entwickeln, dass wir einen großen Willen entwickeln«, sagte Scholz.
Für Scholz ist es nicht die letzte Indien-Reise dieses Jahres. Zum G20-Gipfel im September kehrt er nach Neu Delhi zurück. Indien hat den Vorsitz in der Gruppe der führenden Wirtschaftsmächte. Auch da dürfte es wieder um Russland und die Ukraine gehen. Der russische Präsident Wladimir Putin gehört zum Kreis der G20.
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