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Ruf nach »Exit-Strategie« in Corona-Pandemie wird lauter

In anderen europäischen Ländern sind Lockerungen beschlossen worden - und in Deutschland? Die Debatte über Öffnungsschritte gewinnt an Fahrt.

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Trotz steigender Infektionszahlen mehren sich die Forderungen nach weiteren Lockerungen der Corona-Maßnahmen. Foto: Bein/dpa
Trotz steigender Infektionszahlen mehren sich die Forderungen nach weiteren Lockerungen der Corona-Maßnahmen.
Foto: Bein/dpa

BERLIN. Trotz weiter steigender Corona-Infektionszahlen wird in der Politik der Ruf nach einem Konzept für eine Rücknahme von Beschränkungen lauter.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte dem »Spiegel«: »Wir haben die Omikron-Welle zwar noch nicht hinter uns, aber wir müssen schon jetzt konkret daran arbeiten, wann und unter welchen Bedingungen es zu schrittweisen Öffnungen kommen kann.« Die nächste Bund-Länder-Runde im Februar sollte sich damit beschäftigen.

Man brauche wirksamen Gesundheitsschutz, so Lindner. »Die ansteckende Omikron-Variante stellt eine Herausforderung dar. Für uns Liberale gilt aber, dass Einschränkungen der Freiheit nur insoweit vertretbar sind, wie es die Lage erfordert.«

Öffnungsperspektive wichtig

SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag, bei den Beratungen von Bund und Ländern am vergangenen Montag sei richtigerweise eine notwendige Öffnungsperspektive bereits in Aussicht gestellt worden. »Bund und Länder sind hier gemeinsam gefordert. Dabei ist frühzeitig unter Einbeziehung des Expertenrates der Bundesregierung zu beraten, welche Branchen und Bereiche zuerst hierunter fallen können.«

Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Sepp Müller (CDU) sagte der dpa: »Die Omikron-Wand wird in den nächsten 14 Tagen ihren Höchststand erreichen. Diese Zeit müssen alle Beteiligten nutzen, um mit Augenmaß Öffnungsschritte zu skizzieren.« Solche Schritte müssten insbesondere im Kinder- und Jugendbereich sowie im Sport- und Kulturbereich vorbereitet werden. »Der Vorlauf für Gastronomie und Veranstaltung beläuft sich meines Erachtens auf vier Wochen.« Hier erwarte er Vorschläge aus dem Expertenrat - Müller nannte unter anderem die Frage, ob eine Rückkehr zu 3G möglich sei, also Zugang für Geimpfte, Genesene und Getestete.

Handel drängt auf Abschaffung der 2G-Regel

Auch Lindner sagte, er erhoffe sich Hinweise des Expertenrates der Bundesregierung. »Man kann Einschränkungen rasch beschließen, das Hochfahren benötigt aber Vorbereitung. Man kann in Handel und Gastronomie sehr schnell die 2G-Vorschriften verändern, aber in anderen Bereichen braucht man Planungshorizont. Ich denke an Messen, an die Veranstaltungsbranche, den kulturellen Bereich, die diesen Vorlauf brauchen. Mir geht es darum, eine Erwartungsperspektive zu schaffen, unter welchen Bedingungen und in welchen Schritten was möglich ist.« Unter anderem der Handel drängt angesichts von Umsatzeinbußen darauf, die 2G-Zugangsbeschränkungen für den Einzelhandel bundesweit abzuschaffen.

Im Beschlusspapier von Bund und Ländern am Montag hieß es, es sollten Öffnungsperspektiven entwickelt werden für den Moment, zu dem eine Überlastung des Gesundheitssystems ausgeschlossen werden könne. Die nächsten Beratungen sind für den 16. Februar geplant - sofern nicht das weitere Infektionsgeschehen eine frühere Zusammenkunft nötig mache.

Die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen ist unterdessen erneut auf einen Höchstwert gestiegen. Die Gesundheitsämter meldeten dem Robert Koch-Institut (RKI) nach Angaben von Sonntagmorgen binnen eines Tages 118.970 Neuinfektionen. Der Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche stieg auf 1156,8 - am Vortag lag die bundesweite Inzidenz bei 1127,7, vor einer Woche bei 806,8. Experten gehen von einer hohen und weiter steigenden Zahl von Fällen aus, die in den RKI-Daten nicht erfasst sind, unter anderem, weil Testkapazitäten und Gesundheitsämter vielerorts am Limit sind.

Weniger schwere Krankheitsverläufe

»Anders als es zu befürchten war, sehen wir glücklicherweise trotz steigender Infektionszahlen mit dem Coronavirus keine Zunahme schwerwiegender Krankheitsverläufe«, sagte der designierte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der dpa. »Ich halte es daher für ausgesprochen wichtig, dass wir in der derzeitigen Situation ein starkes positives Zeichen an die Menschen senden und schon jetzt beginnen, ernsthaft und intensiv über mögliche Öffnungsperspektiven zu sprechen.«

Es wäre zu spät, diese Diskussion erst anzustoßen, wenn der Höhepunkt der Omikron-Welle überwunden sei, sagte Djir-Sarai. »Derzeit schätzen Experten, dass gegen Ende Februar die Infektionszahlen wieder sinken werden. Sollte sich dies bewahrheiten und keine Überlastung des Gesundheitssystems mehr drohen, müssen wir zu diesem Zeitpunkt bereits mit einer klaren Exit-Strategie bereitstehen.«

Zenit noch nicht überschritten

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte am Freitag gesagt, man habe die Omikron-Welle in Deutschland gut in der Kontrolle. Der Zenit sei aber noch nicht überschritten. Ziel bleibe es, die Folgen zu minimieren und Millionen ungeimpfte ältere Menschen zu schützen. Eine »Lockerungsperspektive« könnte es dann für die zweite Februarhälfte oder Anfang März geben.

In England, wo durch die Omikron-Welle hindurch relativ große Freiheiten galten, waren bereits noch geltende Maßnahmen gefallen. In Dänemark müssen die Menschen von Dienstag an keine Masken mehr tragen oder Impfnachweise zeigen. Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hatte gesagt, die hohe Impfbereitschaft habe sich als »Superwaffe« herausgestellt. Omikron rufe seltener schwere Krankheitsverläufe hervor und die Zahl der Krankenhauseinweisungen sei verhältnismäßig gering.

In Dänemark sind mehr als 80 Prozent der Gesamtbevölkerung zweifach geimpft - das ist mehr als in Deutschland. Wie aus RKI-Daten vom hervorgeht, erhielten bis einschließlich Freitag 75,7 Prozent der Menschen hierzulande mindestens eine Impfdosis. Das Ziel der Bundesregierung, bis Ende Januar 80 Prozent der Bevölkerung zumindest einmal gegen Corona zu impfen, ist kaum noch zu erreichen. (dpa)