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Regierung ringt um Eindämmung der Lockerungsdebatte

Millionen im Homeoffice, Rausgehen nur zu zweit oder mit Mitbewohnern, Freiluft-Sport nur allein. Es war schwierig, das durchzusetzen. Doch nach einer Woche Stillstand werden die Rufe nach Lockerungen immer lauter. Die Regierung ist besorgt.

Maßnahmen
Der menschenleere Marktplatz in Coburg: »Öffentliche Forderungen nach Lockerung der Maßnahmen sind verfrüht und deshalb falsch, solange eine deutliche Verlangsamung der Zahl der Neuinfektionen nicht erreicht ist!«, sagt Wirtschaftsminister Altmaier. Foto: Nicolas Armer/dpa
Der menschenleere Marktplatz in Coburg: »Öffentliche Forderungen nach Lockerung der Maßnahmen sind verfrüht und deshalb falsch, solange eine deutliche Verlangsamung der Zahl der Neuinfektionen nicht erreicht ist!«, sagt Wirtschaftsminister Altmaier. Foto: Nicolas Armer/dpa

BERLIN. Zehntausende Corona-Fälle in Deutschland, und der Anstieg geht weiter: Die Bundesregierung versucht deshalb energisch, die Debatte über eine Lockerung der Abwehrmaßnahmen einzudämmen.

Zu groß ist die Angst, die Menschen könnten die gerade erst durchgesetzten Kontaktbeschränkungen zu ignorieren beginnen. Nachdem Kanzlerin Angela Merkel am Wochenende bereits um Geduld gebeten hatte, weist nun eine ganze Reihe ihrer Minister Forderungen zurück, angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Belastungen möglichst bald über einen Ausstieg aus den schärfsten Maßnahmen zu reden. Unions- und SPD-Minister sind sich nach der ersten Woche Shutdown durchaus einig - doch die Diskussion endet nicht.

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) warf den Befeuerern der Debatte Zynismus vor. »Es geschieht auch, um Leben zu retten, und deshalb ist es aus meiner Sicht zynisch, wenn Einige jetzt beginnen, darüber zu diskutieren, dass gesundheitliche Fragen hintanstehen sollen und dass wirtschaftliche Fragen vorangehen«, sagte er am Sonntagabend im ARD-»Bericht aus Berlin«.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) schrieb auf Twitter: »Öffentliche Forderungen nach Lockerung der Maßnahmen sind verfrüht und deshalb falsch, solange eine deutliche Verlangsamung der Zahl der Neuinfektionen nicht erreicht ist!«

Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) wies darauf hin, dass einige Bundesländer ihre Maßnahmen bereits auf den 20. April, also das Ende der Osterferien, terminiert haben. Der Bund werde mit den Ministerpräsidenten am Mittwoch erneut beraten. Die Dauer der Kontaktbeschränkungen richtet sich nach seinen Worten nach der Tragfähigkeit des Gesundheitssystems. Der »essenziellste Maßstab« sei es, dass jeder stationär behandelt werden könne, für den dies nötig sei, erklärte er in der ZDF-Sendung »Berlin direkt«. Dazu müsse die Verdopplung der Infektionszahlen von derzeit alle sechs Tage auf zehn oder mehr Tage verlangsamt werden.

Hamburgs Regierungschef Peter Tschentscher (SPD) riet in der ARD bei Anne Will: »Die Wirkung solcher Maßnahmen kommt eben erst mit einer bestimmten Verzögerung. Deswegen muss man jetzt wirklich die Nerven behalten.« Und seine Kollegin in Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), regte in den ARD-»Tagesthemen« gar an, »dass wir das Kontaktverbot Richtung Osterferien noch einmal uns anschauen müssen und in meinen Augen eher noch konkretisieren und verschärfen müssen«.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet setzte den Schwerpunkt dagegen abermals etwas anders. »Wir müssen strikt die Kontaktverbote einhalten, ohne Wenn und Aber«, schrieb er auf Twitter. Aber: »Transparenz über die ethische Abwägung von Virologen, Soziologen, Ethikern, Juristen, Ökonomen und Psychologen für die Zeit danach muss heute vorbereitet werden. Politik muss Abwägungen erklären.«

Und Grünen-Bundestagsfraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte in der Düsseldorfer »Rheinischen Post«: »Wir brauchen Klarheit, Verlässlichkeit und eine Strategie für die Zeit danach, um die Bevölkerung auf dem schwierigen Weg durch die Krise mitzunehmen.« Wie ihr Kollege Anton Hofreiter setzte sie auch auf konsequente Einhaltung der Maßnahmen. Hofreiter sagte der »Passauer Neuen Presse« (Montag): »Wichtig ist, dass wir uns jetzt auf die nächste Phase der Epidemie-Bekämpfung vorbereiten. Wir müssen raus aus der Situation, dass wir entweder das Leben von Menschen gefährden oder unsere Wirtschaft abwürgen.«

Maßgeblich angeheizt worden war die Lockerungsdebatte von der Wirtschaft, die unter den Beschränkungen stöhnt, und Wirtschaftspolitikern. Aber auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, forderte von der Regierung, sich jetzt mit dem Ausstieg aus der umfassenden Lahmlegung zu beschäftigen. Er erwarte nicht, dass sie bereits einen Zeitpunkt dafür nenne, sagte er dem Berliner »Tagesspiegel« (Montag). Allerdings sei eine frühzeitige Kommunikation der Strategie wichtig, um Wirtschaft und Beschäftigten Vertrauen und Sicherheit zu geben.

Und sogar von Medizinerseite gibt es Forderungen, die Gesamtwirkungen im Auge zu behalten. »Man muss aufpassen, dass man aus Ohnmacht vor dieser Situation nicht überschießende Handlungen vornimmt, die möglicherweise mehr Schaden anrichten können als die Infektion selbst«, sagte der Abteilungsleiter Epidemiologie am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Gerárd Krause, dem ZDF. Er verwies auf Gesundheitsschäden durch Arbeitslosigkeit und wohl auch Bewegungseinschränkungen. »Ich bin der Meinung, dass wir den Schwerpunkt unserer Aufmerksamkeit und auch unserer Ressourcen auf den Schutz des Risikogruppen richten sollten und dass wir versuchen sollten, möglichst schnell diese sehr generalisierten Ausgangsbeschränkungen und Geschäftsschließungen zu lockern.« (dpa)