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Polizeigewerkschafter: Rechte »kapern« Corona-Proteste

Die Bilder von Demonstranten, einige mit Reichsflaggen, auf den Treppen des deutschen Parlaments, gingen um die Welt. Die Sorge wächst, dass Rechtsextreme bei den Corona-Protesten Anschluss an das bürgerliche Lager suchen.

Protest gegen Corona-Maßnahmen Berlin
Triumphierende Demonstranten mit Reichsflaggen auf der Treppe des Parlaments: Die Vorfälle während der Corona-Proteste sorgen für einen Aufschrei der Empörung in der Politik. Foto: Achille Abboud/NurPhoto/dpa
Triumphierende Demonstranten mit Reichsflaggen auf der Treppe des Parlaments: Die Vorfälle während der Corona-Proteste sorgen für einen Aufschrei der Empörung in der Politik. Foto: Achille Abboud/NurPhoto/dpa

BERLIN. Nach den Berliner Protesten gegen staatliche Corona-Beschränkungen nehmen die Warnungen vor einem wachsenden Einfluss von Rechtsextremen auf die Demonstrationen zu.

»Seit den ersten Hygiene-Demonstrationen verfestigt sich der Einfluss rechtsextremer Gruppen auf die Corona-Protestbewegung«, sagte der GdP-Vizevorsitzende Jörg Radek den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag). Auch der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich besorgt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte bereits am Montag Kritiker und Gegner der staatlichen Corona-Maßnahmen davor gewarnt, sich bei Demonstrationen »vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen zu lassen«.

Am Samstag hatten nach Angaben der Polizei etwa 300 bis 400 Demonstranten Absperrgitter am Reichstagsgebäude überrannt und sich lautstark vor dem verglasten Besuchereingang aufgebaut. Dabei wurden vor dem Sitz des Bundestags unter anderem schwarz-weiß-rote Reichsflaggen geschwenkt. Die Polizei drängte die Menschen auch mit Pfefferspray zurück. Zuvor hatten nach Polizeischätzungen annähernd 40.000 Menschen auf der Straße des 17. Juni weitgehend friedlich gegen die Corona-Politik demonstriert.

Polizeigewerkschafter Radek sagte: »Die Rechten sind dabei, die Bewegung komplett zu kapern.« Seit dem vergangenen Wochenende habe die Corona-Protestbewegung ihre Unschuld endgültig verloren. »Jetzt kann niemand mehr sagen, er sei nur ein Mitläufer. Jeder, der jetzt noch dabei bleibt, muss sich die Frage stellen, ob er sich mit den Rechtsextremisten gemein machen will und seine persönlichen Sorgen in der Corona-Krise mit den demokratiefeindlichen Zielen der Extremisten verbinden will.«

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte der »Passauer Neuen Presse«: »Rechtsextreme suchen auf diesen Demonstrationen Anschluss ins bürgerliche Lager. Und sie werden offen geduldet, man streckt ihnen sogar die Hand aus. Das macht mich fassungslos.« Es seien »widerliche Bilder, wenn bekennende Nazis Reichsflaggen auf den Stufen des Bundestags schwenken«. Voraussichtlich am Donnerstag wird sich der Ältestenrat des Bundestags mit den Vorfällen befassen.

Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Schuster, kritisierte in der »Bild«-Zeitung: »Seit Monaten werden in der Corona-Debatte Verschwörungsmythen mit antisemitischer Grundtendenz bewusst geschürt.« Dafür machte Schuster unter anderem »sehr rechte und rechtsextreme Gruppen« verantwortlich, die sich unter die Demonstranten gemischt hätten. Sicherlich seien »nicht alle, die am Samstag in Berlin demonstriert haben, Rassisten oder Antisemiten«, sagte Schuster. Er fügte jedoch hinzu: »Aber sie machen sich mit diesen gemein.«

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte im ZDF-»heute journal«, er erlebe sowohl berechtigte Fragen und die Bereitschaft zum Zuhören, aber auch Hass und Verschwörungstheorien. »Was mich echt beschäftigt, ist, dass die Regenbogenflagge, die Flagge von Freiheit, Recht, Emanzipation der Schwulenbewegung, auf der gleichen Demo wie die Reichsflagge ist und die Nazi-Symbole - da fragt man sich schon, was ist da los?« Spahn mahnte zugleich, die Bilder aus Berlin dürfe man »nicht als Gesamtstimmung im Land nehmen«.

Die Vorfälle vor dem Reichstag hatten auch eine Debatte über den Schutz des Parlamentsgebäudes ausgelöst. Anfangs standen nur wenige Polizisten direkt am Westeingang des Reichstagsgebäudes der Menge gegenüber. Nach wenigen Minuten kam Verstärkung. Die Berliner Polizei ist für den Außenschutz zuständig. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller räumte am Montag in der ARD-Sendung »hart, aber fair« ein: »Das müssen wir anders koordinieren. Das müssen wir in Zukunft besser sichern«. Der Berliner Senat berät am Dienstag (10 Uhr) über Änderungen der Infektionsschutzverordnung, die Maskenpflicht bei Demonstrationen, die etwa Innensenator Andreas Geisel (SPD) befürwortet, könnte dabei ein Thema sein.

Für Forderungen nach Änderungen des Versammlungsrechts gibt es unterdessen parteiübergreifend Ablehnung. Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster sagte zwar der »Welt«, die Gesetze seien in Anbetracht der Pandemie-Lage nicht mehr präzise und zeitgemäß genug. Es müsse möglich sein, eine Demonstration verbieten zu können, wenn eine Versammlung offensichtlich nur dazu diene, mit Ordnungsverstößen wie dem Nichteinhalten der Corona-Regeln zu provozieren.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Günter Krings (CDU), betonte dagegen in der »Welt«: »Wenn schon abzusehen ist, dass Abstands- und Hygieneregeln missachtet werden und Polizisten sich bei einer Demo-Auflösung großen Gefahren aussetzen, dann geht schon nach heutigem Recht ein vorheriges Verbot.« Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz, der FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle und die Linke-Innenpolitikerin Ulla Jelpke sprachen sich in der »Welt« ebenfalls gegen Änderungen des Versammlungsrechts aus.

Mehrere Politiker betonten zugleich die Offenheit des Bundestages. Der CDU-Politiker Schuster sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): »Es braucht zwar einen besonderen Schutz des Reichstages bei solchen Veranstaltungen. Aber grundsätzlich möchte ich seinen offenen Charakter bewahren.« »Der Bundestag ist ein offenes Haus und das soll er auch zukünftig sein«, sagte auch Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, dem RND. Seine Kollegin von den Grünen, Britta Haßelmann, sagte: »Bei allen notwendigen Sicherheitsvorkehrungen, die zu treffen sind, gilt es, ein bürgernahes und offenes Parlament zu erhalten.« (dpa)