BERLIN. An Deutschlands Krankenhäusern steigt angesichts der immer zahlreicheren Coronainfektionen aus Expertenansicht die Gefahr von Engpässen.
»Wir bereiten uns darauf vor, auf eine neue Welle an Patienten, die schwer erkrankt sind«, sagte die Leiterin der Abteilung Infektiologie des Uniklinikums Gießen, Susanne Herold, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag in Berlin. Derzeit würden 470 Covid-19-Patienten in Deutschland auf Intensivstationen behandelt. Die Ärzte erwarteten einen deutlichen Anstieg dieser Zahl.
Denn die Mediziner befürchteten, dass die Infektionszahlen insgesamt auch in der nächsten Zeit deutlich ansteigen, sagte Herold. Allein bis Donnerstag war die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Deutschland sprunghaft auf mehr als 4000 binnen eines Tages angestiegen.
Die Experten betonten zwar, dass die leichten Verläufe überwiegen. Herold sagte aber auch: »Wir bereiten uns vor auf eine neue Welle an Patienten, die schwer erkrankt sind.« Für die Kliniken gelte: Räume für neue Patienten müssten geschaffen werden. Vielleicht müssten elektive Operationen, also Eingriffe, die nicht so dringend sind, möglicherweise auch wieder abgesagt werden. Herold hofft nach ihren eigenen Worten, dass die Menschen die Corona-Gefahr ernst nehmen, »so dass wir nicht in diese Situation kommen«.
Herold erläutere ferner, dass im Vergleich zu Beginn der Pandemie mehrere wirksame Therapiemöglichkeiten hinzugekommen seien, die den Krankheitsverlauf abmildern könnten. Denn man wisse mehr über die Krankheit - etwa dass es auch zu Infektionen der Gefäße kommen könne. Also kämen nun auch verstärkt Gerinnungshemmer zum Einsatz. Herold nannte auch das Mittel Remdesivir als in Deutschland eingesetzte Therapie. Es war auch bei US-Präsident Donald Trump eingesetzt worden.
Auch der Mediziner Christian Karagiannidis sprach von möglichen Engpassen bei der Zahl der Intensivbetten für Corona-Patienten. Die Anzahl ist zwar grundsätzlich ausreichend, wegen der zunehmenden Fallzahlen könnte es allerdings mancherorts knapp werden.
Regional und insbesondere in den Großstädten - vor allem in Berlin - gebe es »schon deutliche Einschränkungen in den Kapazitäten«, sagte der zukünftige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DIIN) der »Rheinischen Post« (Donnerstag).
»Ich bin mir sicher, dass die Intensivbettenkapazität in den nächsten Wochen ausreichend ist«, fuhr Karagiannidis fort. »Allerdings könnte es regional in einzelnen Kliniken zu Überlastungen kommen, die dann von Kliniken im Umland aufgefangen werden muss. Hier muss sich die Bevölkerung in den kommenden Monaten darauf einstellen, dass intensivpflichtige Patienten auch durchaus über längere Strecken innerhalb Deutschlands verlegt werden müssen.«
Insgesamt sieht der Mediziner die deutschen Kliniken deutlich besser aufgestellt als während der ersten Corona-Welle im Frühjahr: »Weil mehr Routine eingekehrt ist und die Ärzte wissen, worauf sie achten müssen, etwa mit Blick auf die Gefahr von Thrombosen. Auch stehen uns mit den Medikamenten Remdesivir, Cortison und dem Rekonvaleszentenplasma neue Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, die es zu Beginn so nicht gab.«
(dpa)