Logo
Aktuell Inland

Merkel beschwört Solidarität im Kampf gegen Corona-Pandemie

Wenige Stunden nach dem Nachschärfen des Corona-Kurses erläutert die Kanzlerin die Maßnahmen in einer Regierungserklärung. Reicht das alles, lautet eine Frage in der Debatte. Sind die Lockerungen über Weihnachten verantwortbar, lautet eine andere.

Bundestag
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gibt im Bundestag eine Regierungserklärung zur Bewältigung der Corona-Pandemie ab. Foto: Michael Kappeler/dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gibt im Bundestag eine Regierungserklärung zur Bewältigung der Corona-Pandemie ab. Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Menschen in Deutschland beschworen, auch über Weihnachten und Silvester in den Kraftanstrengungen gegen das Coronavirus nicht nachzulassen.

Gerade in dieser Zeit wünsche sie sich, »dass wir mehr denn je miteinander und füreinander einstehen«, sagte die CDU-Politikerin am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Bundestag. Mit emotionalen Worten appellierte sie an die Bürger: »Wir haben es in der Hand. Wir sind nicht machtlos. Wir haben ganz ohne Zweifel noch einmal schwierige Monate vor uns.« Jeder und Jede könne aber »aktiv dazu beitragen, dass wir diese Zeit gut durchstehen«. Kritik an den jüngsten Bund-Länder-Entscheidungen kam in der Aussprache vor allem von AfD, FDP und Linken.

Die Kanzlerin stimmte die Menschen auf eine weitere Verlängerung der Maßnahmen bis Januar ein. »Angesichts des hohen Infektionsgeschehens gehen wir davon aus, dass die Beschränkungen bis Anfang Januar weiter gelten müssen, jedenfalls für die allermeisten Teile der Bundesrepublik Deutschland.« Es gebe aber auch Anlass zur Hoffnung, sagte Merkel mit Blick auf die Fortschritte bei Impfstoffen. Diese würden das Problem zwar nicht sofort lösen, seien aber ein »Licht am Ende des Tunnels«.

Bund und Länder hatten am Mittwochabend beschlossen, dass der Teil-Lockdown mit der Schließung unter anderem von Restaurants, Theatern und Freizeiteinrichtungen bis zum 20. Dezember verlängert wird. Private Zusammenkünfte mit Freunden, Verwandten und Bekannten sollen auf maximal fünf Personen aus dem eigenen und einem weiteren Haushalt begrenzt werden. Kinder bis 14 Jahre fallen nicht unter diese Regelung. Weihnachten soll aber gefeiert werden können - im engsten Familien- und Freundeskreis mit maximal zehn Menschen, Kinder bis 14 Jahre nicht eingerechnet.

Vor Beginn des Teil-Lockdowns sei es »buchstäblich 5 vor 12« gewesen, sagte Merkel. Inzwischen habe man zwar das exponentielle Wachstum der Neuinfektionen stoppen können. Und das Schlimmste, die Überforderung des Gesundheitssystems, sei bislang verhindert worden. »Das ist ein erster Erfolg. Aber es ist noch kein nachhaltiger Erfolg.«

Ein Blick auf die Infektionszahlen zeigt, was Merkel meinte: Die Gesundheitsämter meldeten dem Robert Koch-Institut (RKI) 22 268 neue Corona-Infektionen binnen 24 Stunden. Das waren rund 3600 mehr als am Mittwoch (18 633). Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus stieg um 389 auf 15 160. Am Mittwoch war mit 410 Todesfällen ein Höchstwert erreicht worden.

Regierungserklärungen, Videobotschaften, Pressekonferenzen - fast wöchentlich erläutert Merkel inzwischen die Corona-Politik ihrer Regierung. Sie weiß, wie wichtig dies ist, um die nach wie vor große Akzeptanz in der Bevölkerung für die einschneidenden Maßnahmen zu erhalten. Dass sie am Donnerstag zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen ans Rednerpult des Bundestags trat, dürfte auch mit dem bevorstehenden hochemotionalen Monat Dezember zu tun gehabt haben.

Lockerungen über Weihnachten und Silvester mit zulässigen Treffen von bis zu zehn Personen plus Kindern und 14 Jahren - nicht jedem im Plenarsaal war wohl dabei. Wohl auch Merkel nicht, die sich ein »sicheres Weihnachten« wünschte. »Ich will ausdrücklich sagen: Es muss jeder mit sich abmachen, ob dieses Maximum ausgeschöpft werden muss oder ob man darauf verzichtet.« Und dann noch dieser warnende Hinweis: »Dieses Virus lässt sich nicht betrügen und nicht umgehen.«

Andere waren da direkter. Sie habe zwar Verständnis für die Lockerungen, sagte die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar. »Aber als Medizinerin weiß ich auch: Das ist ein Ritt auf der Rasierklinge. Das Virus kennt kein Weihnachten und kein Silvester.« Das lag auf der Linie des Vorsitzenden des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, der im Radioprogramm SWR Aktuell warnte: »Weihnachten wird damit zu einem Fest mit einem Todesrisiko für manche Menschen.«

Im Gegensatz dazu lehnte die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel Vorschriften dieser Art kategorisch ab: »Es geht den Staat schlichtweg nichts an, wer in seinen privaten Wohnräumen wann wen trifft. Und mit wem und in welchem Rahmen jemand Weihnachten mit der Familie, Angehörigen oder engen Freunden feiert.« Es wirke herablassend und verletzend auf erwachsene, mündige Bürger, »wenn der Staat Gouvernante spielt und sich anmaßt, gnädig zuzuteilen, was an Festtagen noch erlaubt sein soll und was verboten«.

Aber hätte es überhaupt zu dieser Situation kommen müssen? Der Vorsitzende der Linksfraktion, Dietmar Bartsch, verneinte diese Frage indirekt, indem er der Regierung vorwarf, in den vergangenen acht Monaten deutlich zu wenig getan zu haben. »Jedes Theater hat sich besser auf den Corona-Winter vorbereitet als die Bundesregierung.« So sei es ja gut, dass Risikogruppen jetzt FFP2-Masken erhalten sollten. »Aber warum sind die Masken nicht vor der zweiten Welle verteilt worden?«

FDP-Fraktionschef Christian Lindner warnte: »Die sozialen und wirtschaftlichen Kosten der Pandemie-Bekämpfung explodieren, jedenfalls ist das keine langfristig durchhaltbare Strategie.«

Nicht unbedingt erwartbare Unterstützung für ihren Kurs bekam Merkel von den Grünen. Selbstverständlich seien die ergriffenen Maßnahmen hart - aber notwendig und wesentlich milder als in Nachbarländern wie Frankreich und Italien, sagte Fraktionschef Anton Hofreiter. »Und wenn wir mal ehrlich sind, sind diese Maßnahmen eine ziemliche Gratwanderung. Meiner naturwissenschaftlichen Intuition folgend wäre ich sehr vorsichtig, ob diese Maßnahmen ausreichen werden.«

In die gleiche Kerbe schlug Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. »Reicht das alles?«, fragte er. Antwort: Ihn beschleiche das Gefühl, dass es nicht ausreiche, um die Corona-Welle nachhaltig zu brechen. »Ich hätte mir gern konsequentere Maßnahmen gewünscht.« Auch deshalb: »Dieses scheibchenweise Immer-einen-draufsetzen, das zermürbt uns doch alle«, sagte der CDU-Politiker. »Führen in der Krise heißt eben auch, den Menschen was zuzumuten.« (dpa)