BERLIN. Vor den neuen Beratungen von Bund und Ländern am Mittwoch über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie wollen die Ministerpräsidenten ihre Linie abstimmen.
Nach dpa-Informationen ist dazu eine Schalte der Regierungschefs geplant. Ihnen liegt ein Beschlussentwurf vom Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz vor, den derzeit Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) innehat. Absehbar ist angesichts anhaltend hoher Infektionszahlen eine Verlängerung des Teil-Lockdowns im Dezember.
Die Vorschläge Müllers sind bisher nach dpa-Informationen nur unter den SPD-Ländern abgestimmt. Ein gesondertes Papier der sogenannten B-Länder, zu denen die unionsgeführten Länder sowie Baden-Württemberg mit einem grünen Regierungschef gehören, soll es nicht geben. Müller sagte im ZDF-»heute journal«, ohne auf Details einzugehen, es gebe nun einen Vorschlag, der deutlich langfristiger als die bisherigen angelegt sei. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), die Runde am Mittwoch müsse »eine bestmögliche Perspektive für den Zeitraum bis nach dem Jahreswechsel geben«.
Politiker von Bund und Ländern hatten die Bürger am Wochenende auf eine Verlängerung der zunächst bis Ende November geltenden Kontaktbeschränkungen vorbereitet. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, Tatsache sei, »dass wir noch nicht soweit sind, wie wir gerne gekommen wären durch die Kontaktbeschränkungen«. Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte, bei der Entwicklung der Fallzahlen sei man noch nicht dort, wo man hinwolle. »Und deshalb ahnt ja auch jeder, dass es noch Verlängerung geben muss.«
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte im ARD-»Bericht aus Berlin«, es gebe keinen Grund zur Entwarnung. Deswegen müsse der Lockdown verlängert und an einigen Stellen - insbesondere in den Hotspots - auch deutlich vertieft werden. Berlins Regierender Bürgermeister Müller sagte der dpa: »Wir sind uns einig, dass schon viel erreicht wurde, aber nicht genug.«
Die Vorschläge des MPK-Vorsitzes, die unter anderem der »Berliner Morgenpost«, dem Wirtschaftsmagazin »Business Insider« und der dpa vorliegen, sehen folgendes vor:
KONTAKTBESCHRÄNKUNGEN: Die Bürgerinnen und Bürger bleiben aufgerufen, jeden nicht notwendigen Kontakt zu vermeiden und möglichst zu Hause zu bleiben. Zur weiteren Vermeidung von Kontakten werden die Arbeitgeber gebeten, unbürokratisch Home-Office zu ermöglichen. Die für November geltenden Maßnahmen sollen bundesweit bis zum 20. Dezember verlängert werden.
Länder, die weniger als 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen haben und eine sinkende Tendenz dieses Wertes aufweisen, sollen davon schon vor dem 20. Dezember abweichen können. Wird bis zu diesem Stichtag keine bundesweit signifikant sinkende Tendenz erreicht, sollen die Maßnahmen für jeweils 14 Tage verlängert werden, bis dieses Ziel erreicht ist.
PRIVATE ZUSAMMENKÜNFTE: Vom 1. Dezember bis zum 17. Januar sieht der Beschlussvorschlag weitere erhebliche Kontaktbeschränkungen vor, um eine Reduzierung des Infektionsgeschehens mittelfristig abzusichern. So sollen private Zusammenkünfte mit Freunden, Verwandten und Bekannten auf den eigenen und einen weiteren Haushalt, jedoch in jedem Fall auf maximal 5 Personen beschränkt werden. Kinder bis 14 Jahre sollen von dieser Regel ausgenommen werden.
WEIHNACHTEN: Bei den Vorschlägen für die Weihnachtstage gibt es in dem Entwurf noch eckige Klammern, über deren Inhalt noch beraten werden muss. So sollen nach den Vorstellungen des MPK-Vorsitzes die Personenobergrenzen für Zusammenkünfte innen und außen vom 21. bis zum 27. Dezember - also über die Weihnachtstage - erweitert werden auf Treffen eines Haushaltes mit haushaltsfremden Familienmitgliedern oder haushaltsfremden Personen bis maximal 5 Personen. Alternativ gibt es die Überlegung, diesen Zeitraum vom 21. Dezember bis zum 3. Januar auszudehnen und die Beschränkung auf maximal 10 Personen festzulegen. Kinder bis 14 Jahre sollen jeweils ausgenommen werden.
Mit dieser Regelung solle »Weihnachten auch in diesem besonderen Jahr als Fest im Kreise von Familien und Freunden, wenn auch im kleineren Rahmen, möglich sein«, heißt es in dem Entwurf. Wo immer möglich solle man sich vor und nach den Feiertagen in eine möglichst mehrtägige häusliche Selbstquarantäne begeben. Diese Regel ist allerdings lediglich als Appell formuliert.
GOTTESDIENSTE: Bund und Länder sollen das Gespräch mit den Religionsgemeinschaften suchen, um möglichst Vereinbarungen für Gottesdienste und andere religiöse Zusammenkünfte mit dem Ziel einer Kontaktreduzierung zu treffen. Religiöse Zusammenkünfte mit dem Charakter von Großveranstaltungen sollen vermieden werden.
SILVESTER: Verkauf, Kauf und Zünden von Feuerwerk soll verboten werden. Damit sollen Einsatz- und Hilfskräfte entlastet und die Kapazitäten des Gesundheitssystems freigehalten werden.
MUND-NASE-BEDECKUNG: Für öffentliche Verkehrsmittel sowie in geschlossenen Räumen, die öffentlich oder im Rahmen eines Besuchs- oder Kundenverkehrs zugänglich sind, soll es eine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung geben. Auch an Orten unter freiem Himmel, an denen sich Menschen auf engem Raum aufhalten, soll demnach eine Mund-Nase-Bedeckung vorgeschrieben werden. Jene Orte sollen von den zuständigen Behörden festgelegt werden. Auch in Arbeits- und Betriebsstätten soll eine Mund-Nasen-Maske getragen werden - am jeweiligen Arbeitsplatz soll das nicht gelten, wenn ein Abstand von 1,5 Metern zu einer weiteren Person eingehalten werden kann.
HOCHSCHULEN UND UNIVERSITÄTEN: Sie sollen grundsätzlich auf digitale Lehre umstellen. Ausnahmen soll es nur für Laborarbeiten, Praktika und Prüfungen geben.
SCHULEN: Schüler ab der siebten Klasse sollen künftig auch im Unterricht Maske tragen. Gelten soll das für Schüler und Berufsschüler in Regionen mit deutlich mehr als 50 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen - was derzeit vielerorts der Fall ist. Schulen ohne Corona-Fälle können aber davon ausgenommen werden.
Für die Schulen wird auch eine Teststrategie vorgeschlagen: Tritt in einer Klasse ein Corona-Fall auf, soll diese zusammen mit den betroffenen Lehrkräften für fünf Tage in Quarantäne. Am fünften Tag soll es für alle einen Schnelltest geben. Fällt der negativ aus, kann die Klasse wieder zurück an die Schule. »Um diese wirksame Teststrategie flächendeckend zur Anwendung bringen zu können, wird der Bund (über die Länder) zusätzliche Kapazitäten von Antigen-Tests zur Verfügung stellen«, heißt es in dem Papier.
Die Ausgestaltung weiterer Maßnahmen, wie etwa Wechselunterricht wird den Ländern überlassen. Schülerfahrten und internationaler Austausch sollen untersagt bleiben. Es wird empfohlen, den Unterrichtsbeginn zu staffeln, um den Schulverkehr zu entzerren.
Für einen Wechselunterricht bei älteren Schülern sprach sich Müller im ZDF aus. Auch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek plädierte in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe dafür. »Bei weiterführenden Schulen sind auch Wechselmodelle aus meiner Sicht sinnvoll«, sagte auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock in der ARD.
WIRTSCHAFT, KULTUR, REISEBRANCHE, SOLOSELBSTSTÄNDIGE: Auch die staatlichen Hilfen für betroffene Betriebe sollen bis 20. Dezember verlängert werden. Diese seien für Unternehmen und Beschäftigte essenziell und ein wichtiges Element für die hohe Akzeptanz der notwendigen Schutzmaßnahmen bei den Bürgerinnen und Bürgern, heißt es in dem Papier. Die Ausgaben für diese Unterstützung im November werden auf 15 Milliarden Euro beziffert.
Vorgeschlagen wird auch, Hilfsmaßnahmen für Branchen, die absehbar in den kommenden Monaten weiterhin »erhebliche Einschränkungen« hinnehmen müssten, bis Mitte 2021 zu verlängern. Genannt werden die Kultur- und Veranstaltungswirtschaft, Soloselbstständige und die Reisebranche.
REISERÜCKKEHRER: Der Entwurf schlägt vor, dass die häusliche Quarantäne bei Reiserückkehrern und Kontaktpersonen einheitlich auf zehn Tage im Regelfall festgelegt werden soll - gerechnet ab dem Tag der Einreise beziehungsweise dem letzten Tag des Kontakte.
GESETZLICHE KRANKENVERSICHERUNG: Die Länder wollen den Bund nach dem Entwurf bitten, wie eine steuerfinanzierte Stabilisierung der GKV-Beiträge aussehen könnte, damit die durch die Pandemie im Gesundheitswesen verursachten Kosten nicht einseitig durch die gesetzlich Versicherten abgefedert werden müssen. Als Möglichkeit wird ein Solidaritätszuschlag genannt.
FDP-Chef Christian Lindner hält nichts von der Lockdown-Strategie. »Ich glaube, dass diese Strategie nicht funktioniert. Auch wenn wir zu Weihnachten oder nach Weihnachten oder Januar öffnen: Solange kein Impfstoff da ist und wir keine Bevölkerung mit einer großen Resistenz haben, droht die nächste, die dritte Welle«, sagte Lindner im »Bild«-Politiktalk »Die richtigen Fragen«. Er hoffe, dass es am Mittwoch gelinge, »über eine nationale Kraftanstrengung zu sprechen«. Es gehe darum, die wirklichen Risikogruppen zu schützen. Benötigt würde zudem eine Öffnungsperspektive mit einem klaren Regelwerk, welche Hygienestandards Gaststätten und andere erfüllen müssten. (dpa)