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Länder übernehmen Verantwortung für Folgen von Lockerungen

Der Bund überlässt den Länder die Regie bei weiteren Schritten aus dem Corona-Ausnahmezustand heraus - überall soll aber ein Richtwert gelten, ab dem ein Rückfallmechanismus für härtere Regeln greift. Das passte zunächst nicht allen.

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»Bitte Abstand halten - unser Einkaufswagen hilft« steht im Einrichtungshaus IKEA-Magdeburg auf einem Schild. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentralbild/ZB
»Bitte Abstand halten - unser Einkaufswagen hilft« steht im Einrichtungshaus IKEA-Magdeburg auf einem Schild. Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentralbild/ZB

BERLIN. In der Corona-Krise bekommen die Länder weitgehende Verantwortung für die Lockerung von Beschränkungen - sie sollen aber auch eventuell wieder nötige Verschärfungen garantieren.

Die Länder sollen sicherstellen, dass in Landkreisen oder kreisfreien Städten mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in den letzten sieben Tagen sofort wieder ein konsequentes Beschränkungskonzept umgesetzt wird. Darüber verständigten sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten bei Beratungen an diesem Mittwoch, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Teilnehmerkreisen erfuhr.

In der Schalte hatte es demnach heftige Diskussionen über diesen Punkt gegeben, weil vor allem die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen diese Obergrenze nicht akzeptieren wollten. Am Ende habe sich aber Kanzlerin Merkel mit ihrem Vorschlag durchgesetzt, hieß es.

Gerade bei weitreichenden Öffnungen steige wieder die Gefahr einer dynamischen Entwicklung, die schon zu Beginn der Pandemie häufig von lokalen Ereignissen ausging und dann weiterverbreitet wurde, hieß es. Deshalb müsse ab einer gewissen Relevanz auf eine regionale Dynamik mit hohen Neuinfektionszahlen und einem schnellem Anstieg der Infektionsrate sofort vor Ort mit Beschränkungen reagiert werden.

Bei einem klar eingrenzbaren Infektionsgeschehen, etwa in einer Einrichtung, könne ein Beschränkungskonzept auch nur die Einrichtung umfassen. Bei einem weiter verteilten regionalen Ausbruch und unklaren Infektionsketten müssten aber auch inzwischen aufgehobene allgemeine Beschränkungen regional wieder eingeführt werden. Solche Maßnahmen müssten gelten, bis der Richtwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern mindestens 7 Tage unterschritten werde.

Darüber hinaus könnten auch Mobilitäts-Beschränkungen in besonders betroffenen Gebiete hinein und aus ihnen heraus geboten sein - spätestens dann, wenn die Zahl weiter steige und es keine Gewissheit gebe, dass Infektionsketten umfassend unterbrochen werden konnten.

Die Vorschläge aus der Beschlussvorlage des Bundes im Detail:

SCHULEN: Allen Schülern soll schrittweise unter Auflagen bis zu den Sommerferien eine Rückkehr an die Schulen ermöglicht werden. Schüler mit besonderem Unterstützungsbedarf etwa wegen der Situation zuhause oder der technischen Ausstattung sollten »möglichst umgehend gezielte pädagogische Präsenzangebote an den Schulen erhalten«.

KINDERBETREUUNG: Um die schwierige Situation von Familien mit Kindern zu erleichtern, kann vom 11. Mai an eine erweiterte Notbetreuung in allen Bundesländern eingeführt werden. Dazu gehören vordringlich unter anderem Kinder mit besonderem pädagogischen oder Sprachförderbedarf, Kinder die in beengten Wohnverhältnissen leben - etwa wenn ein eigenes Kinderzimmer fehlt - sowie Kinder, die am Übergang zur Vorschule oder Schule stehen. Die Einzelheiten sollen die Länder regeln. Diese weiten die Notbetreuung bereits schrittweise aus und haben auch schon weitere Pläne angekündigt.

GESCHÄFTE: Die Ländern können alle Geschäfte wieder öffnen - ohne Quadratmeterbegrenzung. Es müssten Auflagen zur Hygiene, der Steuerung des Zutritts und zur Vermeidung von Warteschlangen erfüllt werden. Wichtig sei dabei, dass eine maximale Personenzahl von Kunden und Personal bezogen auf die Verkaufsfläche vorgegeben werde. Seit dem 20. April sind kleine und mittlere Läden wieder geöffnet, aber nur bis zu einer Verkaufsfläche bis zu 800 Quadratmetern. Das hatte für Kritik gesorgt. Für Buchhandlungen, Auto- und Fahrradhändler gilt dies ohne die Flächenbegrenzung.

PROFIFUSSBALL: Der Bund will dem deutschen Profifußball grünes Licht für die Wiederaufnahme des seit Mitte März ausgesetzten Spielbetriebs in der 1. und 2. Bundesliga geben. »Dem Beginn des Spielbetriebs muss eine zweiwöchige Quarantänemaßnahme, gegebenenfalls in Form eines Trainingslagers, vorweggehen«, heißt es in der Beschlussvorlage. Als voraussichtlicher Termin für den Beginn der »Geisterspiele« ohne Zuschauer gilt der 15. oder der 21. Mai - ein genauer Termin ist in der Beschlussvorlage offen gelassen.

Ein von der Deutschen Fußball Liga (DFL) vorgelegtes Konzept hat zwar mehrere Ministerpräsidenten und auch den für Spitzensport zuständigen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) überzeugt. Mehrere Corona-Fälle beim 1. FC Köln und ein Video, in dem der inzwischen suspendierte Hertha-Profi Salomon Kalou dokumentiert, wie Abstandsregeln missachtet werden, lässt allerdings Zweifel aufkommen.

BREITENSPORT: Der Bund will den Sport- und Trainingsbetrieb im Breiten- und Freizeitsport unter freiem Himmel unter Bedingungen wieder erlauben. In der Vorlage wird auf einen entsprechenden Beschluss der Sportminister der Länder vom 28. April Bezug genommen. Dort werden als Bedingungen für die Wiederaufnahme des Sportbetriebs unter anderem genannt, dass ein ausreichend großer Personenabstand von 1,5 bis 2 Metern gewährleistet und der Sport kontaktfrei ausgeübt wird.

KONTAKTZAHLEN UND REGIONAL-FAKTOR: Für den Anti-Corona-Kampf bleibt es zentral, Infektionsketten nachzuvollziehen, um möglichst alle Kontaktpersonen zu finden, zu testen und notfalls in Quarantäne zu schicken. Ob die Gesundheitsämter das schaffen können, hängt von der Zahl der Neuinfektionen ab. Für den Bund ist es grundsätzlich eine Herausforderung, ein großes Durcheinander von Regelungen quer durch die Republik zu vermeiden. Andererseits können abgestufte Lösungen, die sich am Infektionsgeschehen vor Ort orientieren, genauer passen.

MINDESTABSTAND: Als weiterhin entscheidend wird in der Vorlage bezeichnet, dass Bürgerinnen und Bürger in der Öffentlichkeit einen Mindestabstand von 1,5 Metern einhalten. Dies sei die wichtigste Maßnahme gerade angesichts der Öffnungen. Sie werde »noch für lange Zeit« erhalten bleiben.

KRANKENHÄUSER, PFLEGEHEIME, SENIOREN- und BEHINDERTENEINRICHTUNGEN: In alle bisher schon von den Ländern erlassenen Verfügungen soll eine Regelung aufgenommen werden, »die jedem Patienten/Bewohner einer solchen Einrichtung die Möglichkeit des wiederkehrenden Besuchs durch eine definierte Person ermöglicht wird, sofern es aktuell kein aktives Sars-Cov-2-Infektionsgeschehen in der Einrichtung gibt«.

GROSSVERANSTALTUNGEN: Volksfeste, größere Sportveranstaltungen mit Zuschauern, größere Konzerte, Festivals, Dorf-, Straßen- oder Schützenfeste sowie Kirmes-Veranstaltungen bleiben wegen der Corona-Pandemie untersagt - voraussichtlich bis mindestens zum 31. August. In einigen Ländern sind bereits große Veranstaltungen bis Herbst abgesagt, wie das Oktoberfest in München, das Cannstatter Volksfest in Stuttgart, der Marathon in Berlin.

KULTUR: Museen, Ausstellungen, Gedenkstätten, Zoos oder botanische Gärten können unter Auflagen wieder aufmachen, ebenso Gottesdienste und Gebetsversammlungen. Wie es grundsätzlich im Kulturbetrieb weitergehen soll, ist möglicherweise ebenfalls Gegenstand der Beratungen am Mittwoch.

TRACING-APP: In der Beschlussvorlage wird die »doppelte Freiwilligkeit« des Einsatzes sowie einer möglichen Datenweitergabe an das Robert-Koch-Institut betont. Gebe ein Bürger die Daten nicht frei, habe dies keinen negativen Einfluss auf die Nutzungsmöglichkeiten der App. Ein konkreter Termin zur Einführung der App wird nach wie vor nicht genannt.

INDUSTRIE UND MITTELSTAND: Da man weiterhin in der Pandemie lebe, müssten nicht erforderliche Kontakte in der Belegschaft und mit Kunden vermieden werden. Zugleich müssten allgemeine Hygienemaßnahmen umgesetzt und die Infektionsrisiken bei erforderlichen Kontakten durch besondere Maßnahmen minimiert werden. Die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden sowie die Unfallversicherungsträger sollen die Unternehmen dabei beraten und Kontrollen durchführen.

TOURISMUS UND GASTRONOMIE: Viele Bürger fragen sich, wohin sie im Sommer in den Urlaub fahren können. Fernreisen dürften schwierig werden. Aber schon vor den Beratungen am Mittwoch ist klar: Urlaubmachen an der deutschen Nord- und Ostsee und in Bayern soll möglich sein. Die Wirtschaftsminister der Länder streben unter Auflagen in einem Korridor von 9. bis 22. Mai eine bundesweite kontrollierte Öffnung des Gastgewerbes an. Für touristische Beherbergungen wird demnach eine Öffnung bis Ende Mai angepeilt.

PENDLER: Nachdem es wegen Grenzschließungen Streit mit Nachbarländern wie Luxemburg, der Schweiz, Polen und Frankreich gibt, könnte das Thema weitere Grenzöffnungen für Pendler in der Runde aufgerufen werden. Dabei soll es zunächst nicht um Tourismus gehen.

Folgende Bereiche sollen die Länder unter Beachtung des jeweiligen Infektionsgeschehens und landesspezifischer Besonderheiten selbstverantwortlich regeln: »Kontaktbeschränkungen, Vorlesungsbetrieb an Hochschulen, Übergang der Kinderbetreuung in den eingeschränkten Regelbetrieb gemäß Beschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz, Volkshochschulen, Musikschulen und sonstige öffentliche und private Bildungseinrichtungen im außerschulischen Bereich, Gastronomiebetriebe, Bars, Clubs und Diskotheken, Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen (Übernachtungsangebote für private Reisen), Messen, Dienstleistungsbetriebe im Bereich der Körperpflege wie Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo-Studios und ähnliche Betriebe, Theater, Opern, Konzerthäuser und ähnliche Einrichtungen, Sportbetrieb in allen öffentlichen und privaten Indoor-Sportanlagen, Schwimm- und Spaßbädern, Fitnessstudios und ähnliche Einrichtungen, Betrieb von sonstigen Sport- und Freizeiteinrichtungen sowie die Wiederaufnahme von Wettkampf- und Leistungssport, Kleinere öffentliche oder private Veranstaltungen oder Feiern sowie Veranstaltungen ohne Festcharakter, Kinos, Freizeitparks und Anbieter von Freizeitaktivitäten (drinnen und draußen), Spielhallen, Spielbanken, Wettannahmestellen und ähnliche Einrichtungen, Prostitutionsstätten, Bordelle und ähnliche Einrichtungen.«