STUTTGART. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält eine Impfpflicht im weiteren Kampf gegen die Corona-Krise für denkbar.»Wir planen keine Impfpflicht. Für alle Zeiten kann ich eine Impfpflicht nicht ausschließen«, sagte der Grünen-Politiker.
»Es ist möglich, dass Varianten auftreten, die das erforderlich machen.« Es könne gut sein, »dass wir irgendwann gewisse Bereiche und Tätigkeiten nur noch für Geimpfte zulassen«. Er nannte die Masern als Beispiel: »Da gibt's auch eine Impfpflicht für die Kitas, weil Masern höchst ansteckend sind.« Ohne Impfungen werde man die Pandemie nicht in die Knie zwingen können.
Kretschmann warnt seit längerem vor einer vierten Welle und blickt eher pessimistisch auf Herbst und Winter. Das Virus könnte aus seiner Sicht noch einmal genauso gefährlich zurückkommen wie im vergangenen Herbst, als die Infektionszahlen plötzlich drastisch anstiegen. »Wir fahren weiter auf Sicht. Die Virusmutationen haben uns schon zweimal einen Strich durch die Rechnung gemacht«, sagte er. »Treten Varianten auf, gegen die der Impfstoff nicht mehr so wirksam ist - sind wir sofort in einer anderen Situation.« Es gebe keine Entwarnung.
Apell an Menschen, sich impfen zu lassen
Kretschmann appellierte deshalb an die Menschen, sich impfen zu lassen. »Im Kern kann man sagen: Impfen ist Bürgerpflicht. Es geht um sehr viel. Das sollte jeder verantwortlich denkende Mensch einfach tun.« Die Nebenwirkungen von Covid seien viel schlimmer als die der Impfstoffe überhaupt sein könnten. Auch wisse man wenig über die Langzeitfolgen einer Virusinfektion. Die Menschen müssten ihre Bedenken gegen die Impfung radikal zurückstellen.
Die Landesregierung im Südwesten hat schon weitere Lockerungen für vollständig geimpfte Menschen im Laufe des Septembers angekündigt. Da bis zum 15. September 2021 jede Bürgerin und jeder Bürger einen umfassenden Impfschutz haben könne, wolle man dann die Auflagen für vollständig Geimpfte weiter abschwächen.
Kein Verständnis für Urlaub in Risikogebieten
Kretschmann hat kein Verständnis für Menschen, die in Risikogebieten Urlaub machen oder Zweitimpftermine wegen einer Urlaubsreise sausen lassen. »Solchen Leichtsinn können wir bitter bezahlen, indem man schwer erkrankt, indem man andere ansteckt, indem wir insgesamt, wenn das zu viele machen, die Sache nicht in Griff bekommen.«
Die Politik werde sich künftig im Kampf gegen die Pandemie trotzdem neben dem Inzidenzwert auch auf andere Kriterien stützen. »Die Lage hat sich durch das Impfen verändert«, sagte Kretschmann. Die besonders anfälligen Gruppen wie Alte und Vorerkrankte seien weitgehend geimpft, die Quote der Menschen, die ins Krankenhaus müssen, habe abgenommen. »Es gibt auch die Möglichkeit, andere Kriterien mit reinzubringen - wie die Hospitalisierung, die Impfquote, den R-Faktor. Dann kommt man sozusagen zu einer Art Formel«, sagte er. Die Gesundheitsminister seien beauftragt, da einen Vorschlag zu entwickeln. »Der Nachteil ist: Das ist schwerer zu verstehen, denn bisher wusste jeder: Die Inzidenz ist der entscheidende Faktor. Das konnte jeder nachvollziehen. Nun wird es komplizierter.«
Die zweite Option aus Sicht des Regierungschefs: »Man kann natürlich wie Jens Spahn darüber nachdenken, die Inzidenz als Wert für Maßnahmen grundsätzlich höher anzusetzen als bisher. Ohne weitere einordnende Kennzahlen zur Situation sehe ich das aber skeptisch.« Kretschmann gab auch zu bedenken, dass eine hohe Inzidenz immer schlecht sei. »Je schneller das Virus zirkuliert, desto häufiger wird es mutieren«, sagte er. »Niedrige Inzidenzen bedeuten langsamere Mutationen.« (dpa)