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Kann Merz Kanzler?

In der Union hält die Kritik an den Äußerungen von Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz zum Umgang mit der AfD an. Die politische Konkurrenz dürfte frohlocken.

Friedrich Merz
Friedrich Merz ist Bundesvorsitzender der CDU und Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion. Foto: Michael Kappeler/DPA
Friedrich Merz ist Bundesvorsitzender der CDU und Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion.
Foto: Michael Kappeler/DPA

Kommentarlage katastrophal, Partei verunsichert, die Aussichten auf die Kanzlerkandidatur wackelig. Nach eineinhalb Jahren als CDU-Chef steht Friedrich Merz im Feuer - nicht nur in den Medien, auch in der eigenen Partei. Einzelne in der CDU stellen sogar schon öffentlich in Frage, ob der Sauerländer der Richtige ist, wenn es darum geht, Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Bundestagswahl 2025 herauszufordern. Und das, obwohl Merz als Vorsitzender von Partei und Bundestagsfraktion doch der geborene Kanzlerkandidat sein müsste.

Aber nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand kritisieren Parteifreunde, Merz habe die Lage mit wiederholten missverständlichen Äußerungen selbst verschuldet. Und nur einem genützt: der AfD, die er eigentlich bekämpfen will. Auch die Ampel-Politiker um Scholz, selbst in schwerem Fahrwasser, dürften angesichts des Wirbels und der Negativ-Schlagzeilen um Merz frohlocken.

Innerparteilicher Sturm der Entrüstung

Etliche in der Union hatten Merz' Worte im ZDF-Interview zum Umgang mit der AfD auf kommunaler Ebene als Aufweichung der auch von ihm selbst immer wieder postulierten klaren Abgrenzung verstanden. Es folgte ein innerparteilicher Sturm der Entrüstung, auch die CSU distanzierte sich scharf - am Ende ruderte Merz zurück. Er nannte die Vorwürfe abwegig und machte klar, dass der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU weiterhin auch für die kommunale Ebene gilt. Dieser schließt eine Zusammenarbeit mit AfD wie mit der Linkspartei aus.

Negativ-Schlagzeilen und Unzufriedenheit

»Friedrich der Falsche« titelt der »Stern« in seiner neuen Ausgabe. Merz scheitere »arrogant und ungeschickt« beim Kampf gegen die Ampel und die AfD immer wieder an sich selbst. »Kann er so Kanzler werden«, fragt das Magazin. Merz könnte solche Schlagzeilen als mediale Zuspitzung beiseiteschieben, nur: Hört man sich in der CDU um, gibt es etliche, die sich solche Fragen schon länger stellen. Es scheint, als hätten die als missverständlich kritisierten Äußerungen im ZDF das Fass zum Überlaufen gebracht.

Dass Ex-Saar-Ministerpräsident Tobias Hans die K-Frage im »Stern« für »völlig offen« erklärt, kann Merz als Querschuss aus den hinteren Reihen verbuchen. Hans, früher Mitglied der CDU-Spitze, hat in der Partei kaum mehr Gewicht. Dennoch dürfte er manchen aus der Seele sprechen, wenn er sagt, man müsse »vor jedem Sommerinterview zittern, weil man nicht weiß, was am Ende dabei herauskommt«.

Reul und das »Gehampel«

Mehr Gewicht haben da die Kommentare des in der Partei geschätzten NRW-Innenministers Herbert Reul. Er sagt im ZDF-Morgenmagazin: »Die Leute müssen wissen, warum wir die AfD problematisch finden. Wenn die Leute merken, was da für ein Gehampel da im Moment unterwegs ist, dann sagen die Leute: «Ja Gott, die können es alle nicht.» Und dann wählen sie die AfD.« Und selbst der Chef der Jungen Union (JU), Johannes Winkel, kritisiert im Deutschlandfunk auf die Frage, ob die Aussagen von Merz ein Fehler gewesen seien: »Es hat zumindest Anlass gegeben, ihn misszuverstehen. Das sollte natürlich nicht passieren.« Lange galt der Unions-Nachwuchs als sichere Bank für Merz.

Lautes Schweigen von Wüst und Günther

Von möglichen Konkurrenten in der K-Frage gab es für Merz zunächst weiterhin keine öffentliche Rückendeckung. NRW-Regierungschef Hendrik Wüst sei »urlaubsbedingt leider nicht verfügbar«, hatte die Landespartei schon am Montag auf dpa-Anfrage mitgeteilt. Auch am Dienstag änderte sich daran nichts. Wüsts schleswig-holsteinischer Amtskollege Daniel Günther hielt sich ebenfalls bedeckt.

Vor allem Wüsts lautes Schweigen könnte Merz zu denken geben. Erst Mitte Juni hatte Wüst vor einem Kleinen CDU-Parteitag mit Interviews Spekulationen über eigene Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur genährt - sehr zum Ärger von Merz. Dass der 48-Jährige nun die aktuellen Schwierigkeiten des Vorsitzenden nutzen könnte, um einen neuen Vorstoß in dieser Frage zu machen, halten sie in der CDU aber für unwahrscheinlich. Wüst könne in Ruhe abwarten. Scheitere Merz, laufe es ohnehin für ihn auf die Kanzlerkandidatur hinaus, meinen viele in der Partei. Als Chef des mitgliederstärksten Landesverbands gilt Wüst für nahezu jedes wichtige Amt als geeignet.

Keine ruhigen Sommerwochen für Merz

Für Merz wird es nach dem Desaster vom Sonntag kaum etwas mit ein paar ruhigen Sommerwochen werden. Bei nahezu jedem Interview, das mit prominenten Parteifreunden geführt wird, dürfte das Thema AfD erneut zur Sprache kommen. Ob es trotzdem gelingt, wie geplant endlich stärker als bisher eigene CDU-Themen zu setzen? Gut für Merz sei immerhin, dass das Parlament noch bis Anfang September Sommerpause habe, ist in Unions-Reihen zu hören. Denn sonst hätte es der Fraktionschef auch noch mit empörten Abgeordneten zu tun.

Dass Merz aktuell um seine Posten als Partei- und Fraktionschef bangen muss, glauben erfahrene CDUler aber nicht. Er und die CDU-Spitze sind bis zum Parteitag Anfang Mai 2024 gewählt - dann sind die Delegierten gefragt.

Viel werde für Merz davon abhängen, ob er das Ruder herumreißen könne und ob die Umfragewerte endlich nach oben zeigten, heißt es in der CDU. Ende August kommt der geschäftsführende Vorstand der Unionsfraktion im sauerländischen Schmallenberg zur Klausur zusammen. Bis dahin hat Merz quasi eine Fettnäpfchen-Bewährungsprobe.

© dpa-infocom, dpa:230725-99-527259/2