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Israels Armee: Dutzende Terroristen im Gazastreifen getötet

Die USA und Verbündete greifen die Huthi im Jemen an. In Den Haag verteidigt sich Israel gegen den Völkermord-Vorwurf. Derweil gehen im Gazastreifen die Kämpfe weiter. Der Überblick.

Chan Junis
Israelische Soldaten bei einer Bodenoperation im Gazastreifen. Foto: Ohad Zwigenberg/DPA
Israelische Soldaten bei einer Bodenoperation im Gazastreifen.
Foto: Ohad Zwigenberg/DPA

Israels Armee hat nach eigener Darstellung Dutzende Terroristen im Gazastreifen getötet. Darunter seien auch am Massaker am 7. Oktober in Israel beteiligte Kommandeure gewesen, teilte das Militär heute mit.

Allein im Flüchtlingsviertel Al-Maghasi im Zentrum des Küstengebiets töteten Soldaten den Angaben zufolge am Donnerstag 20 Terroristen. In Chan Junis im Süden des Gazastreifens habe die Armee unter anderem aus der Luft ein Militärgelände der islamistischen Hamas angegriffen. Dabei seien sieben Terroristen ums Leben gekommen. Das Militär beschlagnahmte demnach auch Waffen. Die Angaben lassen sich bisher nicht unabhängig überprüfen.

Militärschlag gegen Huthi-Rebellen

Die USA und weitere Verbündete reagierten indessen mit Militärschlägen auf wiederholte Attacken der Huthi-Rebellen im Roten Meer. Die Angriffe im Jemen in der Nacht zum Freitag riefen scharfe Kritik aus dem Iran und Russland sowie wütende Reaktionen der mit Teheran verbündeten Huthi hervor. Die Entwicklung schürt Befürchtungen, dass sich die zahlreichen Spannungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Region zu einem größeren Konflikt im Nahen Osten ausweiten könnten.

Der Militärschlag sei eine Reaktion auf die »illegalen, gefährlichen und destabilisierenden« Angriffe der Huthi auf Schiffe im Roten Meer und beruhe auf dem Recht der Selbstverteidigung, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Allianz, der neben den USA und Großbritannien die Niederlande, Kanada, Bahrain und Australien angehören. Sie wird auch von der Bundesregierung mitgetragen, wie Außenministerin Annalena Baerbock bei einem Besuch in Malaysia sagte.

Ein Vertreter der Huthi drohte mit Vergeltung. Die Rebellen kündigten auch an, ihre Angriffe auf angeblich mit Israel in Verbindung stehende Handelsschiffe im Roten Meer fortzusetzen.

Völkermord-Verfahren vor Internationalem Gerichtshof

Angesichts der auch hohen Zahl ziviler Opfer und der katastrophalen humanitären Lage im abgeriegelten Gazastreifen ist Israel international immer mehr in die Kritik geraten. Gestern begann vor dem höchsten UN-Gericht in Den Haag eine Anhörung zu einer Klage, in der Südafrika Israel vorwirft, im Gaza-Krieg systematisch völkermörderische Handlungen gegen die Palästinenser begangen zu haben. Die Anhörungen in dem Genozid-Verfahren in Den Haag wurden von Demonstrationen Hunderter Anhänger Israels und der Palästinenser begleitet.

Vertreter Israels warfen den Vorwurf des Völkermords entschieden zurück. Die von Südafrika erhobenen Vorhaltungen seien haltlos und absurd, sagte der Rechtsberater des israelischen Außenministeriums, Tal Becker, in Den Haag. Die Opfer des Gazakrieges und das Leiden der Zivilbevölkerung gingen allein auf das Konto der Terrororganisation Hamas. »Israel ist im Krieg mit Hamas, aber nicht mit dem palästinensischen Volk.«

Die Richter beraten nun über einen Eilantrag Südafrikas, ein Ende der militärischen Handlungen anzuordnen. Israel wies diese Forderung zurück, da dem Land das Recht auf Selbstverteidigung genommen werde. Ein Hauptverfahren zum Völkermord-Vorwurf kann sich über Jahre hinziehen.

Becker rechtfertigte die Angriffe im Gazastreifen mit dem Recht Israels auf Selbstverteidigung nach dem Angriff der Hamas und anderer Extremisten am 7. Oktober vergangenen Jahres. Becker schilderte die Massaker, bei denen rund 1200 Menschen getötet und etwa 250 aus Israel entführt worden waren, von denen bislang etwa die Hälfte wieder freigelassen wurde. »Israel will kein Volk zerstören, sondern ein Volk schützen, sein eigenes«, sagte der Rechtsberater.

UN-Menschenrechtsbüro: Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht

Israel verstößt nach Angaben des UN-Menschenrechtsbüros bei seinen Militäroperationen im Gazastreifen gegen die Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts. Dazu gehörten unter anderem Vorsichtsmaßnahmen, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Der Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, habe bereits betont, dass mit Verletzungen des humanitären Völkerrechts das Risiko steige, wegen Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden, sagte eine Sprecherin des Büros in Genf.

Israels Aufrufe an die Zivilbevölkerung, bestimmte Ortsteile vor geplanten Militäreinsätzen zu verlassen, reiche nicht. Das Militär sei trotzdem dafür verantwortlich, Zivilisten zu verschonen.

Das UN-Menschenrechtsbüro kritisiert zudem, dass nach Berichten Hunderte Palästinenser gefangenen genommen wurden und an unbekannten Orten festgehalten werden. Freigelassene hätten von Misshandlungen und Folter durch das israelische Militär berichtet. Das müsse aufhören, und Verantwortliche für Misshandlungen und Folter müssten zur Rechenschaft gezogen werden.

UN-Nothilfebüro warnt vor Unruhen im Gazastreifen

Das UN-Nothilfebüro (OCHA) warnt vor Unruhen im Gazastreifen, wenn die humanitäre Hilfe nicht deutlich aufgestockt wird. Die wenigen UN-Konvois, die es in den Norden schafften, würden direkt hinter dem Kontrollposten gestoppt und ausgeräumt, sagte ein OCHA-Vertreter. »Der Grad der Verzweiflung der Menschen ist spürbar«, sagte Andrea De Domenico, Leiter des OCHA-Büros für die palästinensischen Gebiete, der regelmäßig im Gazastreifen ist. Er sprach über Video-Verbindung mit Reportern in Genf.

De Domenico betonte, dass die Menschen nicht aggressiv seien, sondern ausgehungert und dringend mehr Hilfe benötigten. »Die Spannungen werden steigen, wenn wir die Hilfslieferungen nicht ausweiten können.« Mitarbeiter hätten nach einer Fahrt in den Norden diese Woche berichtet, dass hinter den israelischen Kontrollposten Leichen auf der Straße lägen, die nicht geborgen worden seien. Im Norden leben nach Schätzungen noch 300.000 bis 400.000 Menschen.

Ärztin im Gazastreifen: Kein Morphium mehr

Fast 100 Tage nach Beginn des Gaza-Kriegs sind die Zustände in den wenigen noch funktionierenden Krankenhäusern des Gazastreifens laut Helfern weiter grausig. »Es gibt kein Morphium mehr«, sagte die amerikanische Ärztin Seema Jilani in einer Audio-Botschaft, die die Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC) verbreitete. Jilani war zuvor von einem zweiwöchigen Einsatz für das IRC im Al-Aksa-Krankenhaus im mittleren Gazastreifen zurückgekehrt.

»So geben wir Patienten an der Schwelle zum Tod, im Todeskampf Midazolam, ein Medikament gegen Angstzustände, das aber Schmerzen nicht lindert«, sagte die Ärztin. Jilani zufolge sei es allein »absolut heroischen Pflegekräften, Ärzten und Freiwilligen« zu verdanken, dass das Al-Aksa-Spital überhaupt noch funktioniert. Doch auch so werde es nur noch wenige Tage arbeiten können, sagte sie.

Regierung: Israel kann Geiseln der Hamas Medikamente zukommen lassen

Unter Vermittlung des Golfemirats Katar hat Israel nach eigenen Angaben mit der Terrororganisation Hamas ein Verständnis darüber erzielt, den in den Gazastreifen verschleppten Geiseln Medikamente zukommen zu lassen. Die Arzneien sollen »in den nächsten Tagen« auf den Weg gebracht werden, wie das israelische Ministerpräsidentenamt in Jerusalem mitteilte. Im Gegenzug dafür soll Israel Medikamente für die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen liefern. Die Hamas äußerte sich zunächst nicht dazu.

Das Forum der Geiselfamilien forderte indes »sichtbare Beweise« dafür, dass die Medikamente die Geiseln erreicht haben, bevor Israel Arzneien für die palästinensische Bevölkerung zur Verfügung stellt. »Die schockierenden Bilder von Geiseln in ihrer Gefangenschaft erfordern erhöhten Druck auf die Länder, die an den Verhandlungen beteiligt sind«, hieß es in der Stellungnahme des Forums. Es gehe darum, »auf die unverzügliche Freilassung der Geiseln zu dringen und sich nicht mit der Übergabe von Medikamenten zu begnügen«.

Israel geht davon aus, dass noch 136 Geiseln in dem abgeriegelten Küstengebiet festgehalten werden. 25 davon sind vermutlich nicht mehr am Leben. Unter den Verschleppten befinden sich auch alte und kranke Menschen, von denen etliche an Krebs oder Diabetes leiden und deshalb regelmäßig Medizin benötigen. Katar ist in der Geisel-Frage ein wichtiger Vermittler zwischen der Hamas und Israel, die nicht direkt miteinander sprechen.

Infolge der israelischen Militäreinsätze sind nach jüngsten Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde seit Beginn des Krieges bereits 23.469 Menschen getötet und weitere 59.604 verletzt worden. Die Zahlen lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.

Armee: Drei palästinensische Angreifer im Westjordanland getötet

Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben nahe Hebron im Westjordanland drei militante Palästinenser erschossen. Das Trio sei in die jüdische Siedlung Adora eingedrungen und habe dort das Feuer auf eine Armeepatrouille eröffnet, was diese erwidert habe. Die Eindringlinge seien mit Schusswaffen, Äxten, Messern und Brandsätzen ausgestattet gewesen. Ein 34-jähriger Israeli sei bei der bewaffneten Auseinandersetzung verletzt worden.

Zu dem Angriff auf die Siedlung bekannte sich die Chalil-al-Rahman-Brigade, ein Ableger der Al-Aksa-Brigaden, des bewaffneten Arms der Palästinenserorganisation Fatah. In einer Erklärung drohte sie weitere Angriffe auf Siedlungen an. Die Fatah bildet den Kern der Palästinensischen Autonomieverwaltung, die im Westjordanland begrenzte Regierungsfunktionen versieht.

© dpa-infocom, dpa:240112-99-579136/11