BERLIN. Durch dicke Kanülen fließt Blut aus dem Körper der Patientin heraus. Ihre Lunge muss vorübergehend nicht arbeiten, die Funktion übernimmt eine Maschine neben dem Bett. Diese reichert das Blut mit Sauerstoff an, bevor es wieder zurückgeleitet wird.
Im Winter 2015/16 passierte es, dass Sabine Weiß (Name geändert) im Zuge einer Grippe-Infektion ein schweres akutes Lungenversagen erleidet. In einem Universitätsklinikum schließen Ärzte die damals 50-Jährige an ein sogenanntes Ecmo-Gerät an: praktisch eine künstliche Lunge, die dem lebensnotwendigen Organ Zeit verschaffen soll, sich zu erholen.
Insgesamt rund einen Monat liegt Weiß nach eigenen Angaben im Koma, davon 16 Tage an der Ecmo. Erinnerungen an die Zeit habe sie kaum. »Ich war quasi zwischen den Sphären: Einmal ist mir meine eine Jahr zuvor gestorbene Mutter im Traum erschienen. Sie sagte, dass es ihr gut gehe, wo sie ist.« Wie Weiß hinterher erzählt bekommt, besuchte ihr Mann sie täglich. Seine Fürsorge glaubt sie gespürt zu haben. Als sie Ende Januar 2016 aus dem Koma geholt wird, ist sie zwar desorientiert. Die vielen Schläuche am Körper und die Situation generell empfindet sie jedoch nicht als schlimm. »Da war immer Vertrauen, gesund zu werden.«
Zahlen lassen Fachleute aufschrecken
Die Therapie, die Weiß das Leben gerettet hat - die extrakorporale Membranoxygenierung (Ecmo) -, ist in der Covid-19-Pandemie auch außerhalb von Fachkreisen bekannter geworden. Denn wie viele andere Atemwegserreger kann Sars-CoV-2 schweres akutes Lungenversagen auslösen. Die Bilder von Infizierten, die an Ecmo-Geräten um ihr Leben ringen, waren auf Fotos in Zeitungen und in TV-Dokus zu sehen. Bis Frühjahr 2022 dürften Tausende betroffen gewesen sein, endgültige Daten liegen noch nicht vor. Die Zahlen, die zur Pandemie in Deutschland schon bekannt sind, lassen Fachleute jedoch aufschrecken.
Denn es ist ein sehr viel höherer Anteil der Ecmo-Patienten im Krankenhaus gestorben als vor der Pandemie üblich. Je nach Art der Ecmo-Therapie überlebten 72 beziehungsweise rund 66 Prozent der Covid-19-Erkrankten nicht, hält eine Gruppe um Facharzt Benjamin Friedrichson vom Uniklinikum Frankfurt in einer Studie von Ende Februar im »European Journal of Anaesthesiology« fest. Dafür analysierten sie alle 4279 Ecmo-Behandlungen bei Covid-19-Patienten an deutschen Krankenhäusern zwischen Januar 2020 und Ende September 2021. Internationale Publikationen mit den Ergebnissen von meist spezialisierten Zentren wiesen demnach deutlich bessere Raten aus, dort starben je nach Studie nur 37 beziehungsweise 53 Prozent.
Anders als man wegen der anfangs fehlenden Erfahrung mit Covid-19 vermuten könnte, wurden die Ergebnisse auch im Pandemieverlauf nicht besser. »Die Ärzte hierzulande machen keine schlechte Medizin und die Ecmo ist eine wunderbare Therapie, die wir nicht missen wollen«, sagt Friedrichson. »Bei jüngeren Menschen sind die Ergebnisse auch sehr gut.« In Deutschland seien aber im Vergleich zu anderen Ländern viele Menschen über 60 Jahre an der Ecmo behandelt worden. In dieser älteren Gruppe starben über drei Viertel (77 Prozent - »inakzeptabel hoch« laut Studie). Das schlage auf das Gesamtergebnis durch.
Thomas Bein, früher Intensivmediziner am Uniklinikum Regensburg und Mitautor einer vorherigen Studie mit ähnlichem Ergebnis sagt: »Die Ecmo ist in der Corona-Pandemie insgesamt zu unkritisch und unreglementiert eingesetzt worden: als letztes Mittel, wenn sonst nichts mehr half.« Er spricht von einem »Qualitätsproblem« und hält stärkere Regulierung für nötig. In Deutschland bieten relativ viele Kliniken Ecmo bei akutem Lungenversagen an: mehr als 270 nach den aktuellsten Daten von 2020, rund 40 mehr als zwei Jahre zuvor, wie Friedrichson sagte. Corona dürfte laut Fachleuten für weitere Verbreitung gesorgt haben.
»In Großbritannien machen derzeit acht Kliniken Ecmo«
Eine Vergleichszahl nennt Steffen Weber-Carstens, Intensivmediziner an der Charité: »In ganz Großbritannien machen derzeit acht Kliniken Ecmo. Patienten werden dorthin verlegt.« Wenige Häuser haben also je viele Patienten pro Jahr, hierzulande ist es oft umgekehrt. »Ecmo gehört in sehr erfahrene Hände, es gibt ein hohes Komplikations- und Nebenwirkungspotenzial. Sehr viele, vor allem kleinere Krankenhäuser haben die Expertise aber nicht«, sagt Bein. Als erfahren gelten Zentren ab 20, 30 Patienten pro Jahr.
Ärzte müssten auch darauf achten, kein unnötiges Leid zu verursachen, sagt Bein. Selbst wer das Krankenhaus nach einer Ecmo-Therapie lebend verlasse, sei oft nicht mehr der gleiche Mensch wie zuvor. Viele ehemalige Patienten stürben im Jahr nach der Entlassung. Da dürfe man Angehörigen keine falschen Hoffnungen machen. »Ich plädiere für mehr Zurückhaltung im hohen Alter. Drastisch ausgedrückt zögert man sonst nur den Tod hinaus.«
Sabine Weiß ist immer noch dankbar, dass es die Therapie gibt, wie sie sagt. Zwar habe sie ein halbes Jahr gebraucht, um danach wieder körperlich fit zu werden. Heute bezeichnet sie das Kapitel ihrer schweren Erkrankung aber als abgeschlossen. Sie lebe intensiver als früher. Die langjährige Camperin schwärmt von der ersten Flugreise mit ihrem Mann kürzlich. Wenn sie von der Kritik an einem zu großzügigen Einsatz der Ecmo in der Pandemie hört, wird sie nachdenklich. Sie sagt: »Wir haben doch alle ein Recht auf Leben.« (dpa)