BERLIN. In der Corona-Krise wächst der Druck auf Bund und Länder, weite Teile des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens wieder hochzufahren. Wirtschaftsverbände trommeln angesichts des Konjunktureinbruchs massiv dafür.
Die zurzeit eingedämmte Ausbreitung des Virus scheint ihnen recht zu geben. Allerdings wurden am Freitag noch rund 1500 Neuinfektionen registriert, und die Auswirkungen der ersten Lockerungen werden erst kommende Woche zu beobachten sein.
Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder hatten bei ihrer Schaltkonferenz am Mittwoch behutsam weitere Corona-Auflagen gelockert und größere Schritte für ihre nächste Beratung am kommenden Mittwoch angekündigt. Der Industrieverband BDI pocht nun auf einen klaren Exit-Plan zu diesem Termin. »Unsere Unternehmen wollen und müssen wissen, in welchen Stufen das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben wieder anlaufen soll - und zwar nach dem Treffen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten am 6. Mai«, sagte BDI-Präsident Dieter Kempf den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. »Jede Woche eines Shutdowns kostet die deutsche Volkswirtschaft einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag an Wertschöpfung.«
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) forderte, die Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie noch im Mai zu beenden. »Heben Sie den Lockdown auf, bevor es zu spät ist!«, heißt es nach Verbandsangaben in einem Offenen Brief an Merkel.
Die Bundesregierung rechnet für das gesamte Jahr 2020 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 6,3 Prozent und damit mit dem stärksten Einbruch seit Gründung der Bundesrepublik.
Die ersten Lockerungen - etwa die teilweise Öffnung von Geschäften - hatte es am 20. April gegeben. Am vergangenen Mittwoch hatten die Regierungschefs dann vereinbart, Spielplätze, Zoos, Museen und Ausstellungen zu öffnen und Gottesdienste wieder zu erlauben - allerdings gibt es keinen bundesweit einheitlichen Zeitpunkt. Immer lauter werden inzwischen die Rufe nach klaren Perspektiven auch für Schulen, Kitas, Vereinssport und Fußball-Bundesliga.
Vor allem Merkel und teils auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bremsen. Merkel will die Auswirkungen der ersten Lockerungen abwarten. Diese werden wegen des langsamen Kranheitsausbruchs und der nötigen Testzeit erst kommende Woche erwartet.
Diskutiert wird am kommenden Mittwoch voraussichtlich über:
KONTAKTBESCHRÄNKUNGEN: Zumindest bis zum 10. Mai sollen sie nach den Worten von Kanzleramtschef Helge Braun bestehen bleiben. Bis dahin sollen Bürger in der Öffentlichkeit 1,5 Metern Mindestabstand einhalten und sich dort maximal mit einer weiteren Person oder mit solchen aus der eigenen Wohnung aufhalten.
SCHULEN UND KITAS: Bisherige Schritte waren uneinheitlich. In den meisten Ländern sind sind nur die obersten Klassenstufen zurückgekehrt, teils folgen am Montag jene, die nächstes Jahr ihren Abschluss machen, und die großen Grundschüler. Doch was ist mit den anderen?
GASTSTÄTTEN UND HOTELS: Die Fachminister sollen erst bis zur übernächsten Bund/Länder-Konferenz Vorschläge für eine Wiederöffnung machen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) will aber schon am Mittwoch über die Gastronomie reden, dämpft aber Hoffnungen auf ein Öffnen im Mai.
LADENÖFFNUNGEN: Das umstrittene Öffnungsverbot für große Geschäfte dürfte weiter Thema sei. Mehrere Landesregierungen kündigten an, auszuscheren und die Beschränkung auf 800 Quadratmeter aufzuheben, teils schon von diesem Samstag an.
FUSSBALL: Fußballfans warten weiter auf eine Entscheidung über eine Fortsetzung der Bundesliga-Saison. Beim Vereinssport wollten einige Länder nicht mehr warten und kündigten Lockerungen an.
In Sachsen-Anhalt berät das Landeskabinett an diesem Samstag über eine neue Landesverordnung. Auch im Saarland will die Landesregierung über weitere Lockerungen informieren.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble warnte davor, die Hilfsmöglichkeiten des Staates in der Wirtschaftskrise zu überschätzen. Er habe »die Sorge, dass die Menschen den Eindruck gewinnen, der Staat könne jetzt für alles aufkommen«, sagte der CDU-Politiker der »Mittelbadischen Presse/Offenburger Tageblatt« (Samstag). »Am Ende können wir aber für Hilfen und Sozialleistungen nur so viel aufwenden, wie erwirtschaftet wird.« Deshalb müsse man gemeinsam entscheiden, wie sich eine intensive Erholung der Wirtschaft in Deutschland und Europa zustande bringen lasse.
Der Vorsitzende der NRW-SPD, Sebastian Hartmann, forderte dafür umfassende Konjunkturpakete im Bund und im Land. »Wir reden derzeit über Rettungsschirme, aber wir müssen eine ganz aktive Industriepolitik betreiben, die den Umbau der Energiewirtschaft vorantreibt, Investitionen begünstigt und die Tarifpartner stärkt«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. (dpa)