Die FDP-Spitze hat vom Bundesparteitag der Liberalen große Unterstützung für ihre Forderung nach einer »Wirtschaftswende« für Deutschland bekommen. Eine große Mehrheit der Delegierten votierte in Berlin für den dazu vorgelegten Leitantrag des Bundesvorstands. Dieser formuliert die wesentlichen Forderungen des Zwölf-Punkte-Papiers aus, das bei den Koalitionspartnern für Verärgerung gesorgt hatte.
In dem Papier fordert die FDP Priorität für wirtschaftliches Wachstum, Steuersenkungen und eine Haushaltspolitik, die nicht auf weitere Verschuldung baut. Enthalten ist die Forderung nach einem dreijährigen Moratorium für den Sozialstaat: In dieser Zeit soll es keine neuen Sozialleistungen geben.
FDP-Chef Christian Lindner hatte zuvor in seiner Rede die Ampel-Partner aufgefordert, einen wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands in den Mittelpunkt der Koalitionsarbeit zu stellen. Er warnte vor einem Abstieg des Landes mit negativen Folgen für Wohlstand und gesellschaftlichen Zusammenhalt. »Wenn ein Land in zehn Jahren von Platz 6 der Wettbewerbsfähigkeit auf Platz 22 zurückfällt, was ist dann dringlicher als eine Wende?«, sagte er vor mehr als 600 Delegierten. »Denn in den nächsten Jahren muss unser Ehrgeiz sein, von 22 wieder in die Weltspitze zurückzukehren.« Lindner wurde immer wieder von Beifall unterbrochen. Am Ende feierten ihn die Delegierten dreieinhalb Minuten lang.
Lindner will kein vorzeitiges Ampel-Ende
Lindners Rede war mit Spannung erwartet worden, nachdem Vorschläge der FDP zur Wirtschaftsbelebung durch Steuerentlastungen und Verschärfungen bei Sozialleistungen vor allem die SPD verärgert hatten. Vor dem Bundesparteitag hatte das FDP-Präsidium dazu einen Zwölf-Punkte-Plan »zur Beschleunigung der Wirtschaftswende« verabschiedet. Dies befeuerte Spekulationen, ob die Ampel wegen sehr unterschiedlicher Positionen von SPD, Grünen und FDP durchhält.
Allerdings machte Lindner in seiner mehr als einstündigen Rede an mehreren Stellen deutlich, dass er einen Erfolg der Ampel-Koalition will, kein vorzeitiges Ende. Scharf griff er wiederholt die Union an. Seine Partei hatte bei der letzten Bundestagswahl 11,5 Prozent der Stimmen geholt und dümpelt nun in Umfragen nur noch bei 5 Prozent. Damit wäre aktuell nicht mal ein Wiedereinzug in den Bundestag sicher - auch dies kein guter Zeitpunkt, um die Reißleine zu ziehen und die Ampel platzen zu lassen.
FDP will Aufschwung zur zentralen Aufgabe machen
Dabei setzt die FDP nun voll auf Wirtschaftskompetenz, den Erhalt des Wohlstands sowie Chancen für Leistungsfreudige und Talente: »Wir haben tatsächlich die Köpfe. Wir haben das Know-how, wir haben das Kapital, aber unser Land steht sich zu oft selbst im Weg«, sagte Lindner. Und er beschrieb einen peinlichen Moment auf internationaler Bühne: Bei einem Treffen von Finanzministern und Notenbankchefs aus 190 Nationen in der vergangenen Woche sei eine Folie zu globaler Wachstumsschwäche mit einer Straßenszene der Berliner Friedrichstraße bebildert worden.
Eine Wirtschafts- und wachstumsfreundliche Politik sei auch ein »Gebot sozialer Gerechtigkeit«, betonte Lindner. Zudem würden Menschen mit dem Gefühl, sie seien von Abstieg bedroht oder andere kämen leichter im Leben voran als sie selbst, kritisch die demokratischen Rahmenbedingungen hinterfragen, die zu dieser Entwicklung führten. »Die Wirtschaftswende ist das beste Demokratiefördergesetz, das man haben kann.«
Kubicki schießt gegen SPD und Grüne
Der stellvertretende Parteichef Wolfgang Kubicki rief die Ampel-Partner SPD und Grüne zu Gesprächen über das FDP-Konzept einer Wirtschaftswende auf. »Ich kann nur dringend von hier aus appellieren: Nehmen Sie die Gespräche mit uns auf. Denn wenn nicht gesprochen wird, wird es auch keine Zukunft dieser Koalition geben.« Die FDP habe dazu ein Papier vorgelegt. »Daraus muss etwas folgen, weil es wirklich ums Land geht.« Wenn die Grünen erklärten, sie würden das einfach abheften, und die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sage, darüber rede man gar nicht erst, »dann haben wir ein fundamentales Problem«.
Ein Aufkündigen der bei vielen an der FDP-Basis unbeliebten Ampel-Koalition war beim Parteitag aber kein Thema. In der Aussprache über Lindners Rede forderte lediglich ein Delegierter »Raus aus der Ampel« - Beifall erhielt er dafür nicht.
Kritik an der Grünen-Ministerin Paus
Die FDP-Kritik an einzelnen Projekten der Ampel ging nicht über das übliche Maß hinaus. So nahm sich Lindner erneut das Konzept der Kindergrundsicherung von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) vor und kritisierte, dass dafür bis zu 5000 zusätzliche Stellen geschaffen werden müssten - eine Zahl, die sie aber selbst schon relativiert hatte. Und nach einer Studie im Auftrag ihres Ministeriums würden bis zu 70.000 Menschen aus dem Berufsleben ausscheiden, weil sie keinen Arbeitsanreiz mehr hätten, sagte er. Lindner sprach sich dafür aus, das Geld anders zu investieren: »Wäre es nicht besser, diese Milliarden einzusetzen in mehr und qualitätsvolle Kinderbetreuung, damit niemand gegen den eigenen Willen in Teilzeit verbleibt, weil man weiß, die Kinder sind gut untergebracht?«
FDP knöpft sich von der Leyen vor
Der FDP-Vorsitzende machte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) für überbordenden Verwaltungsaufwand in Unternehmen verantwortlich. »Bürokratiestress hat einen Vornamen: Ursula.« In diese Kerbe schlug auch Bundesjustizminister Marco Buschmann: »Ich kann gar nicht so schnell im Bundesrecht Bürokratie abbauen, wie sie Ursula von der Leyen hinterher produziert«, sagte er.
Europa-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann machte von der Leyen für Probleme von Unternehmen in der EU sowie für militärische Schwäche verantwortlich. »Im IHK-Unternehmensbarometer zur Europawahl haben nur fünf Prozent der deutschen Industrieunternehmen gesagt, die EU sei in den vergangenen fünf Jahren als Standort attraktiver geworden«, sagte sie. »Wie kann man sich nach einem solchen Misstrauensvotum unserer Wirtschaft einfach zur Wiederwahl als Kommissionspräsidentin stellen wollen?«
Lindner will keine Bundeswehr auf Pump
Der Ukraine sagte der Bundesfinanzminister weitere deutsche Hilfe bei ihrem Abwehrkampf gegen Russland zu. Dies liege auch im eigenen deutschen Interesse. »Wir unterstützen die Ukraine, weil sie unsere first line of defence (erste Verteidigungslinie) gegen Putin ist.« Kremlchef Wladimir Putin habe die Ukraine angegriffen - »er meint aber uns alle und unsere Lebensweise«. Lindner warnte: »Putins Ziel ist nicht die Ukraine. Putins Ziel ist es, Macht über uns ausüben zu können. Und das darf ihm niemals gelingen.«
Nötig sei, die eigene Befähigung zur Landes- und Bündnisverteidigung zu verbessern. Das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr werde in einigen Jahren verbraucht sein, dann werde man die Streitkräfte aus den regulären Mitteln ertüchtigen müssen. Dies werde nicht mit immer neuen Schulden gehen. Die Aufgabe, Frieden und Freiheit in Deutschland, Europa und der Welt zu verteidigen, sei potenziell eine Aufgabe für Jahrzehnte und Generationen, sagte Lindner. »Und deshalb kann das nicht auf Pump erfolgen. Wir brauchen dazu unsere Wirtschaftskraft.«
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