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Der Problem-Vize

J.D. Vance legt einen mehr als holprigen Start hin als Mann an der Seite Donald Trumps. Das hat längst nicht nur mit seinen Sprüchen gegen kinderlose Frauen zu tun.

Wahlkampf in den USA - J.D. Vance
Der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat J.D. Vance hat einen holprigen Start an der Seite Donald Trumps. Foto: Ellen Schmidt/DPA
Der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat J.D. Vance hat einen holprigen Start an der Seite Donald Trumps.
Foto: Ellen Schmidt/DPA

J.D. Vance wählt dramatische Worte. Eine Zukunft unter Kamala Harris wäre die »Hölle«, ruft der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat von einer Bühne im US-Bundesstaat Nevada. Harris' bisherige Bilanz sei ein »Desaster« und die Tatsache, dass sie nun anstelle von Joe Biden im Präsidentschaftsrennen antrete, sei nicht weniger als ein »Putsch«. Derlei ist sein Job: Donald Trump hat Vance als Mann für harte Angriffe auf politische Gegner an seine Seite geholt - und eigentlich auch als Draht zur Arbeiterschicht. Doch seit seiner Nominierung als Trumps Vize bietet der Republikaner selbst erstaunlich viel Angriffsfläche. 

Der Angriff auf Kinderlose

Vance holen derzeit alle möglichen Äußerungen aus der Vergangenheit ein. Der vorläufige Höhepunkt: sexistische Aussagen über Kinderlose. Der dreifache Vater hatte 2021 in einem Interview führende demokratische Politikerinnen - darunter auch Vizepräsidentin Kamala Harris, die inzwischen selbst für das Weiße Haus antritt - als »kinderlose Katzen-Frauen« bezeichnet, die unzufrieden mit ihrem Leben seien. Der Clip von damals tauchte nach seinem Aufstieg zu Trumps Vize wieder auf, verbreitete sich rasant und brachte ihm viel Kritik ein.

Es war nicht Vance' einzige Äußerung in diese Richtung. Seine Position, dass Kinderlose in einer Demokratie weniger zu sagen haben sollten, hat er in verschiedenen Varianten von sich gegeben, gar behauptet, Menschen ohne Kinder tendierten eher dazu, »gestört« und »psychotisch« zu sein. Sein jüngster Versuch, diese Kommentare zu verteidigen, beendete die Debatte nicht. Bei vielen Frauen – einer wichtigen Wählergruppe, bei denen Trump zuletzt ohnehin an Zuspruch verloren hat – kommt Kritik an Kinderlosigkeit nicht sonderlich gut an. Bei Männern ohne Nachwuchs dürften solche Anwürfe ebenfalls kein Renner sein.

Die Lachnummer

Auch sonst lief es für den Senator aus dem Bundesstaat Ohio in seinen ersten Wochen als Trumps Vize seit Mitte Juli alles andere als gut. Er hat mit miesen Umfragewerten zu kämpfen und mit der Tatsache, dass viele Amerikaner noch nie von ihm gehört haben. Zuletzt machte in sozialen Medien dann ein schlüpfriger Witz über Vance derart Furore, dass dieser trotz Mangels an Substanz den Weg in nationale Schlagzeilen fand. Das Internet kann gnadenlos sein.

Trump, der selbst nur allzu gerne provoziert, dürfte es nicht per se stören, wenn sein Vize mit kontroversen Aussagen von sich reden macht. Wichtige Wählergruppen zu vergrätzen, kann aber nicht in Trumps Interesse sein. Und wenn der Mann an seiner Seite zur öffentlichen Lachnummer wird, dürfte das Trump erst recht missfallen. Der republikanische Präsidentschaftskandidat ist bereits mit Fragen konfrontiert, ob er mit seiner Vize-Wahl noch zufrieden ist, und sieht sich bemüßigt, seinen Partner wegen der Kinderlosen-Kommentare öffentlich in Schutz zu nehmen: Vance liebe eben Familien.

Der Mangel an Erfahrung

Trump hatte sich auf Vance festgelegt, bevor sein demokratischer Kontrahent Joe Biden aus dem Präsidentschaftsrennen ausstieg. Vance ist halb so alt wie Trump (78) - und in einer Kampagne, die sich zunächst vor allem auf Bidens hohes Alter und mentale Defizite konzentrierte, schien ein so junger Vize für einen Moment dienlich als Zeichen von Dynamik und Agilität. Nun aber ist Biden raus aus dem Wahlkampf – und Vance' »Jugend« wird eher zum Problem. 

Der Republikaner sitzt erst seit Januar 2023 im Senat. Regierungserfahrung hat er nicht, auch keine längere politische Vergangenheit. Harris' Kampagne nutzt das systematisch für ihre Zwecke. Vance sei »einer der am wenigsten vorbereiteten« Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten, den das Land je gesehen habe, sagt Mitch Landrieu aus der Führung von Harris‘ Wahlkampfteam. »Er hat nicht einmal ein Unternehmen geleitet. Er hat noch nie etwas geleitet.« Und nun könnte es dazu kommen, dass Vance mit einem Schlag die USA führen müsste, falls Trump die Wahl gewinne und ihm dann etwas zustoße, warnt Landrieu.

Genau dieses Argument hatte Trump in den vergangenen Monaten gegen Harris vorgebracht: Dass Biden jederzeit umzukippen drohe und sie dann übernehmen würde. Allerdings hat die 59-Jährige weit mehr Erfahrung als Vance: Sie war Bezirksstaatsanwältin von San Francisco, später sechs Jahre Justizministerin in Kalifornien, danach vier Jahre Senatorin im US-Kongress, bevor sie als erste Frau ins Vizepräsidentenamt aufrückte. 

Doch nicht so nah an der Arbeiterschicht

Ein weiteres Problem: Trump hat Vance explizit ausgewählt als einen, der ihm die Stimmen aus der Arbeiterschicht in besonders hart umkämpften Bundesstaaten sichern soll, etwa in Wisconsin, Michigan oder Pennsylvania. Vance stammt aus einer Arbeiterfamilie, wuchs in Ohio in instabilen Verhältnissen auf und wurde von seiner Großmutter großgezogen. Nach dem Schulabschluss ging er zum Militär, diente im Irak. Seine Memoiren »Hillbilly-Elegie« über jene Zeit wurden zum Erfolg.

Später schlug Vance jedoch einen ganz anderen Weg ein: mit einem Jura-Abschluss an der Eliteuniversität Yale, einem Job als Wagniskapitalgeber, unter anderem im Silicon Valley in Kalifornien, und schließlich dem Wechsel in den Senat - mit Wahlkampfunterstützung eines Tech-Milliardärs. All das ist weit weg von der Lebensrealität von Amerikanern mit schmalem Einkommen, die nur schwer über die Runden kommen. So argumentieren auch Harris' Kampagne und ihre demokratischen Unterstützer. 

Ein eigenartiges Verhältnis zu Trump

Dass Vance noch vor Jahren ein scharfer Trump-Kritiker war (»Ich habe ihn nie gemocht« - »Mein Gott, was für ein Idiot«), hilft ihm auch nicht gerade. Darauf angesprochen sagte Vance 2022 in seinem Wahlkampf für den Senat, in dem er Trumps Anhänger brauchte und offen umwarb: »Wir alle sagen dumme Dinge. Und ich sage eben sehr öffentlich dumme Dinge.« Trump ließ es sich damals nicht nehmen, seinen Parteikollegen für den Schwenk auf offener Bühne vorzuführen. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit Vance in Ohio sagte Trump in jenem Jahr: »J.D. küsst mir den Hintern, weil er meine Unterstützung so sehr will.«

Die Kehrtwende im Verhältnis zu Trump verfolgt Vance bis heute und sieht aktuell in keine Richtung gut aus: Demokraten stellen ihn als rückgratlosen Opportunisten dar, während eingefleischte Trump-Anhänger ihm vorwerfen können, dass es ihm an Überzeugung fehle und er nicht von Anfang an bei der »Bewegung« dabei gewesen sei.

Demokraten werfen nun öffentlich die Frage auf, ob Trump womöglich noch umsatteln und seinen Vizekandidaten auswechseln könnte. Das wäre Experten zufolge logistisch und technisch nicht ganz einfach. Aber möglich. 

© dpa-infocom, dpa:240731-930-189355/1