BERLIN. Die massenhaften Verstöße gegen die Corona-Auflagen bei den Demonstrationen in Berlin haben eine Debatte über die Grenzen der Versammlungsfreiheit entfacht.
Die Demonstrationsfreiheit sei »ein besonders wichtiges Rechtsgut«, sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) der »Süddeutschen Zeitung«. Jedoch müssten die Auflagen zur Eindämmung der Pandemie eingehalten werden, um andere nicht zu gefährden. »Mir fehlt jedes Verständnis für Demonstranten, die sich hierüber selbstherrlich hinwegsetzen.«
Parteiübergreifend wurde der Ruf nach einem harten Durchgreifen laut. CDU-Innenexperte Armin Schuster stellte Demonstrationen dieser Art generell infrage. Aus seiner Sicht wäre es verhältnismäßig, solche Versammlungen »nur noch unter sehr viel strengeren Auflagen oder gar nicht mehr zu genehmigen«, sagte er der »Rheinischen Post«. Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) unterstrich, Demonstrationen dürften nur in absoluten Ausnahmefällen eingeschränkt werden. »Aber wenn die Demonstranten selbst zum Hochrisiko werden, darf der Staat nicht tatenlos zusehen«, erklärte er der »Welt«.
Der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer kritisierte die Teilnehmer der Demonstration. Im Bild-Talk »Die richtigen Fragen« sagte der Staatssekretär im Bundesinnenministerium: »Die 20.000 Demonstranten sind naiv, wenn sie nicht sehen, was sich außerhalb Deutschlands abspielt.« Er könne »überhaupt kein Verständnis dafür aufbringen wie ein Großteil der Demonstranten vorgegangen ist«.
Aus Protest gegen die staatlichen Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie waren am Samstag in Berlin Tausende auf die Straße gegangen. An einem Demonstrationszug beteiligten sich nach Schätzungen der Polizei bis zu 17.000 Menschen, rund 20.000 waren es danach bei einer Kundgebung. Weil viele Demonstranten weder die Abstandsregeln einhielten noch Masken trugen, löste die Polizei Kundgebung am frühen Abend auf.
SPD-Chefin Saskia Esken übte scharfe Kritik an den Demonstranten, stellte aber auch Einsatzstrategie der Berliner Polizei infrage. »Die Demonstration hätte schon früher aufgelöst werden können«, sagte sie der ARD-»Tagesschau«. Dies sei jedoch erst bei der Kundgebung geschehen, zu der sich noch mehr Menschen versammelt hätten. »Dann war es allerspätestens Zeit, einzugreifen.« Der Veranstalter hatte den Protestzug am Nachmittag selbst für beendet erklärt, nachdem die Polizei Strafanzeige gegen ihn gestellt hatte.
Der AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla verteidigte die Demonstranten. »Ich kann keine Fehlverhalten erkennen«, sagte er der ARD. Er habe die Demonstration verfolgt. Es sei friedlich gewesen, die Menschen seien für ihre Grund- und Bürgerrechte auf die Straße gegangen. »Und das kann man nur begrüßen.«
Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki zeigte Verständnis für die Demonstranten. Der stellvertretende FDP-Chef sagte im Bild-Talk »Die richtigen Fragen«: »Wenn Menschen das Gefühl haben, sie müssen Maßnahmen nachvollziehen, die sie selbst in ihrem eigenen Wirkungsfeld nicht für vernünftig halten, dann sagen Menschen: Das mache ich nicht mehr, ich wehre mich dagegen.« Er sei sich sicher, dass unter Demonstranten »eine Menge Leute dabei waren, die für uns nicht verloren sind, die einfach verzweifelt sind, weil sie nicht mehr wissen, warum diese Maßnahmen umgesetzt werden«.
Der Deutsche Städtetag forderte ein Vorgehen gegen uneinsichtige Demonstranten. Aus einer Demonstration heraus dürften sich keine neuen Corona-Hotspots entwickeln, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy den Zeitungen der Funke Mediengruppe. »Es ist unverantwortlich, auf so engem Raum die Regeln und Auflagen nicht einzuhalten.« Er verlangte, in solchen Fällen Bußgelder zu verhängen.
Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, sagte der »Passauer Neuen Presse«: »Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo er das Leben und die Gesundheit anderer gefährdet.« Es sei nicht hinnehmbar, dass Tausende alle Regeln missachteten, keinen Abstand hielten, keine Masken trügen und dies als verbrieftes Freiheitsrecht feierten. Die Zahl der Demonstranten müsse künftig von vornherein deutlicher begrenzt werden. (dpa)