BERLIN. Nach Monaten relativer Geschlossenheit driften die verschiedenen Regionen Deutschlands jetzt bei den Corona-Beschränkungen immer stärker auseinander. Das hat teilweise - aber nicht nur - mit unterschiedlichen Infektionsraten zu tun.
Während die Bundesregierung weiter auf eine vorsichtige, schrittweise Lockerung der Kontaktbeschränkungen setzt, möchte Sachsen einen ähnlichen Weg einschlagen wie Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Der will ab dem 6. Juni nur noch lokale Einschränkungen haben.
Die Länder sollten bei weiteren Lockerungen der Corona-Regeln nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) »mutig und wachsam« vorgehen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag in Berlin, die Kanzlerin halte Empfehlungen und Gebote nicht für ausreichend. Sie plädiere vielmehr dafür, dass es zur 1,5-Meter-Abstandsregel, zu Kontaktbeschränkungen und Hygienevorschriften weiterhin »verbindliche Anordnungen geben soll«. Wenn diese Grundregeln außer Acht gelassen würden, drohten die bei der Eindämmung der Pandemie erzielten Erfolge verloren zu gehen.
Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) beriet am Montag mit den Chefs der Staatskanzleien der Länder über das weitere Vorgehen. Nach den Vorstellungen des Kanzleramts sollte auch die Maskenpflicht in bestimmten öffentlichen Bereichen beibehalten werden. Nach Informationen der »Bild«-Zeitung will das Kanzleramt Kontaktbeschränkungen erst einmal bis zum 5. Juli beibehalten.
Auch bei privaten Zusammenkünften in geschlossenen Räumen seien die Hygieneregeln umzusetzen »sowie die Zahl der Personen generell auf höchstens 10 zu beschränken«, hieß es in einer Vorlage aus dem Kanzleramt. Angesichts der bundesweit niedrigen Infektionszahlen sollte der Aufenthalt im öffentlichen Raum hingegen nur noch dort »durch verbindliche Anordnungen beschränkt werden, wo die regionale Dynamik im Infektionsgeschehen dies erfordert«.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatte am Wochenende erklärt, er wolle vom 6. Juni an auf allgemeine, landesweite Corona-Beschränkungen verzichten und stattdessen auf »lokale Ermächtigungen« sowie die Eigenverantwortung der Menschen setzen. Die Verantwortung solle bei den Gesundheitsämtern liegen. Sollten sich neue Infektionsherde bilden, solle lokal reagiert werden.
Innerhalb von 24 Stunden wurden in Thüringen sechs neue Corona-Fälle registriert, wie aus einer Übersicht der Staatskanzlei vom Montag hervorgeht. Von Ramelows Koalitionspartnern - SPD und Grüne - gab es kritische Stimmen zu seinem Vorstoß. Das Kabinett in Erfurt tagt am Dienstagmittag.
Auch Sachsen kündigte derweil eine grundlegende Änderung beim Umgang mit Einschränkungen in der Corona-Krise an. »Wenn die Zahl der Neuinfektionen weiterhin stabil auf einem niedrigen Niveau bleibt, planen wir für die Zeit ab dem 6. Juni in der nächsten Corona-Schutzverordnung einen Paradigmenwechsel«, sagte Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) in Dresden. »Statt wie jetzt generell Beschränkungen zu erlassen und davon viele Ausnahmen für das zu benennen, was wieder möglich ist, wird dann generell alles freigegeben und nur noch das Wenige an Ausnahmen benannt, was noch nicht möglich sein wird«, erklärte Köpping. Am Sonntag waren in Sachsen laut Sozialministerium zehn neue Fälle gemeldet worden.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnete die Ankündigung von weitreichenden Lockerungen in Thüringen als »fatales Signal«. Er bitte die Verantwortlichen in Thüringen darum, die Absicht zu überdenken, sagte er in Nürnberg. »Wir in Bayern waren besonders betroffen dadurch, dass wir an einer Grenzsituation zu Österreich waren. Wir haben jetzt die aktuelle Situation, dass wir beispielsweise im Raum Coburg eben von Sonneberg betroffen sind«, sagte Söder mit Blick auf den thüringischen Nachbar-Landkreis.
»Es darf in keinem Fall der Eindruck entstehen, die Pandemie wäre schon vorbei«, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) der »Bild«-Zeitung. Zwar gebe es Regionen, in denen tagelang keine Neuinfektionen gemeldet würden. Andererseits gebe es lokale und regionale Ausbrüche, die schnelles Eingreifen erforderlich machten.
Ramelow wies die Kritik zurück. »Ich habe nicht gesagt, dass die Menschen sich umarmen sollen oder den Mund-Nasen-Schutz abnehmen und sich küssen sollen«, sagte er dem MDR.
Laut Seibert war eine ursprünglich für Montag vorgesehene Sitzung des sogenannten Corona-Kabinetts der Bundesregierung abgesagt worden, weil Themen, die dort zur Beratung anstanden, noch nicht entscheidungsreif gewesen seien. Dabei gehe es unter anderem um die Koordinierung im innereuropäischen Reiseverkehr sowie Vorschriften im Personenverkehr. Entschieden werde nun voraussichtlich in der nächsten regulären Kabinettssitzung am Mittwoch. (dpa)