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Abstimmung über Infektionsschutzgesetz im Schnellverfahren

Das angeschlagene Tempo ist hoch: Um das neue Infektionsschutzgesetz schnell wirksam werden zu lassen, kommt sogar der Bundesrat zu einer Sondersitzung zusammen. Gegner der staatlichen Corona-Politik sind empört. Werden sie in der Hauptstadt auf die Straße gehen?

Absperrgitter vor Reichstagsgebäude
Absperrgitter stehen vor dem Reichstagsgebäude. Hier findet am heute eine Demonstration gegen das Infektionsschutzgesetz statt. Das Gesetz wird vom Bundestag verabschiedet. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Absperrgitter stehen vor dem Reichstagsgebäude. Hier findet am heute eine Demonstration gegen das Infektionsschutzgesetz statt. Das Gesetz wird vom Bundestag verabschiedet. Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN. Im Schnellverfahren soll die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes an diesem Mittwoch durch Bundestag und Bundesrat gehen.

Ziel der Änderung ist es vor allem, bislang von der Regierung per Verordnung erlassene Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gesetzlich zu untermauern und damit mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Um 12.00 Uhr wird der Bundestag in zweiter und dritter Lesung über den Entwurf der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD beraten und anschließend abstimmen. Der Bundesrat wird dann um 15.00 Uhr in einer Sondersitzung ebenfalls darüber entscheiden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird das Gesetz möglicherweise noch am selben Tag ausfertigen, so dass es in Kraft treten kann.

Gegner der staatlichen Corona-Politik haben zu Protesten aufgerufen. Das Bundesinnenministerium ließ Kundgebungen direkt am Bundestag und am Bundesrat im sogenannten befriedeten Bezirk aber nicht zu. Angemeldet waren Versammlungen von Gegnern der Corona-Maßnahmen jedoch auch andernorts in Berlin. Die Polizei bereitete sich auf einen größeren Einsatz vor.

Das Infektionsschutzgesetz war im Zuge der Corona-Pandemie schon mehrfach reformiert worden. Gleich zu Beginn im Frühjahr wurde eingeführt, dass der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellen kann. Der Bundestag tat dies damals umgehend und gab damit dem Bundesgesundheitsministerium Sonderbefugnisse, um Rechtsverordnungen zu erlassen, ohne dass der Bundesrat zustimmen muss. Normalerweise ist bei Verordnungen der Regierung ein Ja der Länderkammer notwendig. Der Zustand der epidemischen Lage gilt bis heute - der Bundestag kann sie aber jederzeit beenden.

FESTSCHREIBEN EINES MAßNAHMENKATALOGS

Mit der Gesetzesnovelle wird nun unter anderem ein neuer Paragraf 28a ins Gesetz eingefügt. Er listet im Detail auf, welche Schutzmaßnahmen von Landesregierungen und zuständigen Behörden zum Eindämmen der Pandemie verordnet werden können. Dazu zählen: Abstandsgebote, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im privaten und öffentlichen Raum, das Beschränken oder Untersagen von Übernachtungsangeboten, Reisen, Kultur-, Sport- und Freizeitveranstaltungen, das Schließen von Geschäften oder das Anordnen einer Maskenpflicht im öffentlichen Raum. Im wesentlichen handelt es sich um die Maßnahmen, die bereits beim Lockdown im Frühjahr ergriffen wurden und teilweise auch jetzt beim Teil-Lockdown im November gelten.

RAHMENVORGABEN

In der Vergangenheit wurde oft kritisiert, dass auf dem Verordnungsweg auf unabsehbare Zeit in die Grundrechte der Bürger eingegriffen werde. Nun wird vorgeschrieben, dass solche Rechtsverordnungen zeitlich zu befristen sind. Ihre Geltungsdauer soll grundsätzlich vier Wochen betragen. Sie kann aber verlängert werden. Außerdem müssen die Verordnungen mit einer allgemeinen Begründung versehen werden.

PRAKTISCHE MAßNAHMEN

Vorgesehen sind unter anderem neue Regeln bei Verdienstausfällen. So sollen Entschädigungsansprüche für Eltern bis März 2021 verlängert und erweitert werden, die wegen einer Kinder-Betreuung nicht arbeiten können. Wer eine »vermeidbare Reise« in ausländische Risikogebiete macht, soll dagegen für eine nach Rückkehr nötige Quarantäne keine Entschädigung für Verdienstausfall bekommen. Der Bund soll regeln können, dass auch Nichtversicherte Anspruch auf Schutzimpfungen und Tests haben. Krankenhäuser, die Operationen aussetzen, sollen einen finanziellen Ausgleich bekommen.

KRITIK DER OPPOSITION

Die Opposition hält auch die neuen Regelungen für noch nicht bestimmt genug und daher verfassungsrechtlich fragwürdig. Ihr fehlen auch stärkere Beteiligungsrechte der Parlamente. Und sie kritisiert das schnelle Tempo, in dem das Gesetz beschlossen werden soll. Der Gesetzentwurf der Regierung schreibe die Konzentration der Entscheidungsmacht im Hause von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fort, sagte Linke-Chefin Katja Kipping am Dienstag. Die Linke will dem Entwurf laut Fraktionschef Dietmar Bartsch nicht zustimmen. Auch die FDP hat dies angekündigt. »Für uns ist der Handlungsspielraum der Regierung beim Eingriff in Grundrechte unverändert zu groß«, sagte Fraktionschef Christian Lindner.

KRITIK VON GEGNERN DER CORONA-POLITIK

Die Kritik von Gegnern der staatlichen Corona-Politik gipfelt in dem Vorwurf, die Novelle sei ein »Ermächtigungsgesetz«. Die Demokratie werde damit außer Kraft gesetzt, der Weg in die Diktatur eingeschlagen. Die Gegner spielen damit auf das Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten von 1933 an, mit dem sich der Reichstag selbst entmachtet und die Gesetzgebung auf Adolf Hitler übertragen hatte. Diesen Vergleich wies unter anderem Außenminister Heiko Maas (SPD) per Twitter strikt zurück: »Völlig unabhängig davon, ob man sie für richtig hält: Die Coronamaßnahmen, die wir beschließen, haben nichts mit dem Ermächtigungsgesetz zu tun. Wer so infame Vergleiche anstellt, verhöhnt die Opfer des Nationalsozialismus und zeigt, dass er aus der Geschichte nichts lernt.«

VORGEHEN DER KRITIKER

Viele Abgeordnete wurden in den vergangenen Tagen von einer Flut von kritischen Spam-E-Mails überschwemmt und aufgefordert, das neue Gesetz zu verhindern. Allein sein Büro habe bis zum Dienstagvormittag etwa 37.000 solche Mails erhalten, berichtete CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Die überwiegende Mehrzahl habe identische Textstellen. Wer dahinter stehe, könne man nicht klären. Auch FDP und Grüne berichteten Ähnliches. Außerdem haben die Kritiker während der Beratungen von Bundestag und Bundesrat zu Demonstrationen aufgerufen. In unmittelbarer Umgebung des Sitzes der beiden Verfassungsorgane hat das Bundesinnenministerium allerdings zwölf Demonstrationen nicht genehmigt. (dpa)