Für Menschen mit langwierigen Beeinträchtigungen nach Corona-Infektionen sollen Behandlungen mit lindernden Medikamenten erleichtert werden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte nach einem Runden Tisch zu Long Covid am Dienstag in Berlin, dies könne die Versorgung der Symptome deutlich verbessern. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll dafür nun eine Liste mit Medikamenten erstellen, die für Long-Covid-Patienten auch außerhalb der Zulassung verordnet und von der Kasse bezahlt werden können. Lauterbach will in den Verhandlungen zum Bundesetat 2024 auch noch weitere Millionen zur Forschungsförderung herausholen.
Lauterbach: Therapie ist schwierig
»Die Therapie von Long-Covid-Erkrankten ist schwierig«, sagte der Minister. Auch Ursachen und Verläufe seien leider immer noch nicht ausreichend klar, obwohl es zuletzt wichtige neue wissenschaftliche Erkenntnisse gegeben habe. Laut Ministerium ist davon auszugehen, dass zwischen 6 und 15 Prozent der Corona-Infizierten an Long Covid erkranken. Darunter versteht man teils schwere Beschwerden, die nach einer akuten Krankheitsphase von vier Wochen fortbestehen oder dann neu auftreten. Die Bezeichnung Post Covid beschreibt das Krankheitsbild mehr als zwölf Wochen nach einer Corona-Infektion.
Noch gibt es wenig Anlaufstellen für Erkrankte, Wartezeiten sind oft lang. Der Runde Tisch, an dem Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Gesundheitswesen, von Betroffenen und Pharmaindustrie teilnahmen, sollte über Wege zu einer besseren Versorgung beraten. Konkret soll das zuständige Bundesinstitut nun eine Liste mit Mitteln erstellen, die zu Long-Covid-Behandlungen eingesetzt werden können, obwohl sie eigentlich für andere Anwendungen zugelassen sind. Damit soll der teils schon praktizierte Einsatz auch rechtlich abgesichert werden. Die Liste solle sehr schnell kommen, auf jeden Fall noch in diesem Jahr, machte BfArM-Präsident Karl Broich deutlich.
Gute Symptomverbesserung, aber keine Heilung
Im Blick stehen etwa Mittel bei Schlafstörungen, die auch für Long Covid eingesetzt werden können, wie Lauterbach erläuterte. Die Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an der Berlin Charité, Carmen Scheibenbogen, sagte, es gehe darum, Medikamente in der Breite verschreiben und zeitnah vielen Patienten helfen zu können. Dabei brächten die Mittel keine Heilung. »Aber sie versprechen oft eine sehr gute Symptomverbesserung.« Dies betreffe Kreislaufprobleme oder Schmerzen. Zudem gebe es auch Long-Covid-Beschwerden, bei denen Patienten beim Hinstellen schwindlig werde. Dies könne man mit einem Mittel behandeln, das für Herz-Rhythmus-Störungen zugelassen sei.
Handlungsbedarf besteht auch noch beim Aufbau eines bundesweiten Versorgungsnetzes. In Spezialambulanzen müssten Patienten Therapien gestellt bekommen, um sie gemeinsam mit Hausärzten umzusetzen, machte Scheibenbogen deutlich. Dafür werde dringend eine Anschubfinanzierung gebraucht. Der Patientenbeauftragte der Regierung, Stefan Schwartze, mahnte anwendbare Medikamente und ein zielgenaues Therapiekonzept an. »Und das regional vor Ort.« Durch die Vielzahl an Symptomen wie Erschöpfung, Konzentrationsprobleme, psychische Beschwerden oder Muskelschmerzen könne oft kein einheitliches Krankheitsbild erstellt werden. Daher seien weitere Mittel für eine bessere Forschung nötig.
Internetportal bundelt Wissen rund um Long Covid
Lauterbach hatte bereits ein Long-Covid-Programm vorgestellt. Auf einem neuen Internetportal sollen Empfehlungen zur Behandlung und Erkenntnisse zum Stand der Wissenschaft abrufbar sein. Infos gibt es für Erkrankte, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aber auch für Ärztinnen und Ärzte. Vorgesehen sind zudem 40 Millionen Euro als Forschungsförderung - dabei waren einst 100 Millionen Euro in Aussicht gestellt worden. Lauterbach kündigte an, er wolle versuchen, in den Etatberatungen im Bundestag nun noch weitere 60 Millionen Euro dafür zu gewinnen. Das sei »ein Minimum dessen, was wir brauchen«.
Für den Herbst und Winter riet der Minister zum Schutz vor neuen Infektionen. »Covid ist keine Erkältungskrankheit.« Ansteckungen brächten das Risiko eines schweren Verlaufs und von Long Covid mit sich. Das Immunsystem funktioniere nicht wie ein Oberarm, der bei häufiger Benutzung kräftiger werde. Er rate daher zu empfohlenen Impfungen für Menschen über 60 Jahre und mit Risikofaktoren. Ab 18. September sei an neue Corona-Varianten angepasster Impfstoff in Praxen verfügbar. Bei steigenden Fallzahlen könne auch Masketragen ratsam sein, gerade bei Risikogruppen. Ein zweiter Runder Tisch zu Long Covid soll laut Ministerium Ende des Jahres folgen.
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