LONDON. In Großbritannien galt die Coronavirus-Pandemie bereits als so gut wie überwunden. Doch nun droht die Omikron-Variante, das Land wieder zurückzuwerfen.
Die Mutante könnte in Großbritannien innerhalb von Wochen dominant werden, sagte der Genetiker Jeffrey Barrett vom Wellcome-Sanger-Institut im BBC-Radio am Dienstag. »Ich denke, wir können jetzt sagen, dass die Variante sich im Vereinigten Königreich schneller ausbreitet als die Delta-Variante und das war bis vor sehr kurzer Zeit nicht klar«, sagte Barrett und fügte hinzu: »Ich bin ziemlich sicher, dass sie wahrscheinlich innerhalb von Wochen dominant werden wird.«
Auch der Epidemiologe Tim Spector vom King's College in London geht von einer rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante in Großbritannien aus. Realistisch sei anzunehmen, dass es schon jetzt 1000 bis 2000 Fälle im Land gebe. »Und wir rechnen damit, dass sich das ungefähr alle zwei Tage verdoppelt im Moment«, sagte Spector im BBC-Frühstücksfernsehen. Man könne ausrechnen, dass dies innerhalb von nur zehn Tagen zu ziemlich hohen Zahlen führe, fuhr Spector fort.
Kein Plan B erforderlich?
Anlass für eine weitere Verschärfung der Corona-Maßnahmen in dem Land ist das aber nach Angaben von Justizminister Dominic Raab nicht. Ein Auslösen des sogenannten Plan B mit Kontaktbeschränkungen und dem Aufruf, von Zuhause zu arbeiten, sei bisher dank des erfolgreichen Impfprogramms noch nicht notwendig, so Raab. Premierminister Boris Johnson sagte seinem Sprecher zufolge in einer Kabinettssitzung am Dienstag jedoch, es gebe »frühe Anzeichen«, dass Omikron leichter übertragbar sei als Delta.
In der vergangenen Woche hatte der Regierungschef angekündigt, alle Erwachsenen sollten bis Ende Januar eine Booster-Impfung erhalten. Dafür sollten »provisorische Impfzentren wie Weihnachtsbäume aus dem Boden schießen«, versprach der Premier. Doch das zweite Impfwunder in Großbritannien scheint noch nicht so recht Fahrt aufzunehmen. Die Altenpflege-Organisation Age UK bezeichnete das Programm kürzlich als »im Chaos«. Es sei alarmierend, dass ein Fünftel aller Pflegeheimbewohner noch keine Auffrischungsimpfung erhalten habe, kritisierte Age-UK-Direktorin Caroline Abrahams dem »Guardian« zufolge. Die Zahl der verabreichten Impfdosen übers vergangene Wochenende war im Landesteil England unterdessen sogar geringer als eine Woche vorher.
Infektionen auf hohem Niveau
Die Zahl der Infektionen in Großbritannien nahm hingegen zuletzt wieder zu. Sie liegt ohnehin seit Juli auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Die Sieben-Tage-Inzidenz wurde zuletzt mit 469 angegeben (Stand 1. Dezember). Krankenhauseinweisungen und Todesfälle waren zuletzt verhältnismäßig stabil mit etwa 800 Todesfällen und ungefähr 5300 Krankenhauseinweisungen binnen sieben Tagen.
Der britischen Regierung zufolge wurden bislang in dem Land 336 bestätigte Omikron-Fälle registriert. Keiner der Betroffenen müsse bislang im Krankenhaus behandelt werden, sagte der britische Gesundheitsminister Sajid Javid am Montagabend im Parlament. Am Dienstag lag die Zahl bereits bei 437.
Ob die Omikron-Variante tatsächlich, wie teilweise vermutet, mildere Krankheitsverläufe hervorrufe als Delta, könne noch nicht mit Sicherheit gesagt werden, führte Genetik-Experte Barrett aus. Die Häufung milder Verläufe bei Omikron-Infektionen könne damit zusammenhängen, dass die Variante in der Lage sei, eine größere Zahl von geimpften oder genesenen Menschen zu infizieren, die bereits über eine gewisse Immunität verfügten. Doch auch wenn nur eine kleine Zahl von Infizierten schwer erkranke, könne das bei einer starken Ausbreitung der Variante zum Problem werden.
Afrikanische Länder auf Roter Liste
Die Regierung in London hatte als Reaktion auf das Auftauchen der Omikron-Variante wieder eine Maskenpflicht in Läden und öffentlichen Verkehrsmitteln sowie schärfere Einreisebeschränkungen eingeführt. Von diesem Dienstag an müssen Reisende nach Großbritannien nach ihrer Ankunft wieder ein negatives Testergebnis vorlegen. Zuvor hatte die Regierung mehrere afrikanische Länder auf die sogenannte rote Liste gesetzt mit Pflicht zur zehntägigen Hotelquarantäne. Alle Einreisenden müssen zudem nach ihrer Ankunft einen PCR-Test machen und bis zu Erhalt eines negativen Ergebnisses in Quarantäne bleiben.
In Deutschland ist die Zahl der bestätigten Omikron-Fälle noch sehr gering. Das könnte aber teilweise auch daran liegen, dass hierzulande im Vergleich zu Großbritannien weniger Virusgenome sequenziert werden. (dpa)