BERLIN. »Das Kind hat Schnupfen!« - über Monate hieß das für viele Eltern automatisch, ihren Nachwuchs daheim betreuen zu müssen.
Kitas und Schulen schickten Mädchen und Jungen auch bei nur leichten Erkältungssymptomen aus Sorge vor einer Corona-Infektion wieder nach Hause oder nahmen sie gar nicht erst auf. Inzwischen können Mütter und Väter bundesweit etwas aufatmen: In den meisten Bundesländern dürfen Kinder auch mit einer Schnupfennase in Schule und Kita. Es gibt inzwischen eindeutige Empfehlungen, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zeigt. In Sachsen-Anhalt heißen diese »Schnupfenpapier«.
Das wird für viel Entlastung bei Eltern sorgen, denn Erkältungen kommen bei Kindern häufig vor: »Im ersten Kitawinter machen Kinder 10 bis 15 Infekte durch, im zweiten sind es immer noch 5 bis 10«, erklärt Jakob Maske, Berliner Kinderarzt und Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte.
Es müsse abgewogen werden zwischen Infektionsschutz und dem pädagogischen und sozialen Auftrag, hatte Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) in den Sommerferien betont. Leichte Erkältungssymptome seien kein hinreichender Grund, um zu Hause bleiben zu müssen.
Oft sind die Vorgaben inzwischen eindeutig, zum Beispiel in Berlin. Dort erkennen Eltern anhand eines Schemas, wie sie vorgehen sollten: Kinder, die Schnupfen oder Husten, aber kein Fieber haben, dürfen weiter Kita oder Schule besuchen. Ist die Temperatur bei diesen Symptomen bis 38,5 Grad erhöht, muss das Kind mindestens 24 Stunden zu Hause bleiben. Bei weiteren und/oder verstärkten Symptomen wird der Gang zum Arzt empfohlen. Dort werde dann eventuell ein Corona-Test veranlasst, so die Bildungsverwaltung.
Jakob Maske erlebt in seiner Praxis aber, dass nicht alle Erzieher und Lehrer sich an dieses Schema halten: »Auch jetzt sind unsere Wartezimmer ziemlich voll. Es werden Kita- und Schulkinder vorgestellt mit meistens nur Erkältungssymptomen.« Trotz der recht guten Vorgaben der Senatsverwaltung würden häufig Attests oder negative Abstriche verlangt - was beides nicht notwendig sei, so der Arzt. »Die Indikation für einen Test stellt immer nur der Arzt und nicht ein Pädagoge.«
Ähnlich wie in Berlin gibt es auch in anderen Bundesländern klare Empfehlungen. Während in der Hauptstadt aber beispielsweise anhaltender Husten als Ausschlusskriterium gilt, spricht man in Hamburg oder Baden-Württemberg von trockenem Husten, sofern er nicht von einer chronischen Krankheit verursacht wird. Und während in Berlin die Regeln für Kitas und Schulen gelten, differenzieren andere Länder hier.
In Sachsen-Anhalt etwa müssen Eltern von Kita-Kindern einmal eine schriftliche Erklärung abgeben, dass sie ihr Kind nur ohne typische Covid-19-Symptome in die Kita schicken. In der Vergangenheit habe es viele Beschwerden gegeben, weil Kitas Kinder mit laufender Nase nach Hause geschickt hätten, sagte Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) der dpa. Seit der Neuregelung gebe es diese bisher nicht mehr. Für Grundschüler hat das Bildungsministerium ein »Schnupfenpapier« mit Empfehlungen veröffentlicht.
In Nordrhein-Westfalen wiederum müssen Kinder mit Schnupfen zunächst 24 Stunden zu Hause beobachtet werden. Bessert sich ihr Zustand und treten keine zusätzlichen Symptome auf, dürfen sie in die Schule. In Bayern dürfen Kinder bei leichten Symptomen wie Schnupfen und gelegentlichem Husten dann in die Schule, wenn sie binnen 24 Stunden kein Fieber entwickelt haben - wobei bei Grundschülern eine Ausnahme gemacht wird.
Laut Robert Koch-Institut zählen bei Kindern mit Sars-CoV-2-Infektion Fieber und Husten - wie bei Erwachsenen auch - zu den häufigsten Symptomen einer Corona-Infektion. Eine aktuelle Studie in Großbritannien bestätigt allerdings, dass bei Kindern auch vielfach andere Symptome prägnanter sein können. So hätten rund die Hälfte kein Fieber, keinen Husten und keinen Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns, berichten Forscher im Fachblatt »BMJ«. Recht häufig seien Magen-Darm-Probleme wie Durchfall, Appetitlosigkeit oder Erbrechen. Auch Hautausschlag und Kopfschmerzen werden als mögliche Symptome genannt. Bei solchen recht unspezifischen Anzeichen sei Eltern dazu zu raten, die Kinder bis zum Abklingen der Symptome daheim zu lassen, erklärte Tim Spector vom King’s College London. In der Hälfte der für die Studie berücksichtigten Fälle hatten die Kinder allerdings gar keine Symptome.
Vor Einführung der neuen Empfehlungen hatte es bundesweit ziemlichen Wildwuchs gegeben: Manche Einrichtungen verlangten von den Kinderärzten ein Attest, das eine Infektion mit dem Coronavirus auszuschließen sei. Andere wollten gar ein PCR-Test-Ergebnis sehen. Kinderärzte schlugen Alarm und warnten vor überfüllten Praxen. Eltern bangten um ihre Jobs, da sie sich nicht mehr in der Lage sahen, ihre Kinder nach den coronabedingten Schul- und Kitaschließungen noch länger zu Hause zu betreuen. Die Länder reagierten und veröffentlichten ihre Handlungsempfehlungen.
Der Herbst könnte aus Sicht von Ärzten dennoch schwierig werden. »Jetzt treffen die Kinder in den Schulen und Kitas wieder aufeinander. Da ist es ja nicht zu vermeiden, dass Keime ausgetauscht werden und die Kinder krank werden«, sagte die Vorsitzende des Hausärzteverbandes Brandenburg, Karin Harre. Im Verband überlege man deshalb, ob Kinder ab sechs Jahren auch zum Hausarzt gehen, um die Kinderarztpraxen zu entlasten. (dpa)