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Wirecard: EY entdeckte Fragwürdiges - und segnete Bilanz ab

Die Wirecard-Chefetage soll über Jahre gelogen und betrogen haben, bis der Konzern 2020 zusammenbrach. Eine Frage: Wie blieb so lange unentdeckt, dass bei Wirecard etwas faul war? Warnzeichen gab es.

Wirecard-Prozess
Ex-Wirecard-Chef Markus Braun bestreitet sämtliche Vorwürfe. (Archivbild) Foto: Peter Kneffel/DPA
Ex-Wirecard-Chef Markus Braun bestreitet sämtliche Vorwürfe. (Archivbild)
Foto: Peter Kneffel/DPA

Im Wirecard-Prozess kommen weitere Indizien ans Tageslicht, dass krumme Geschäfte des Unternehmens schon lang vor dem Kollaps hätten aufgedeckt werden können. Sonderermittler der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY stießen schon 2016 auf Fragwürdiges - unter anderem vergab die Wirecard-Bank Millionenkredite ohne Sicherheiten.

»Wir haben einen Krankenwagenfahrer in Dubai gefunden, der sechs Millionen Dollar unbesichert bekommen hat«, sagte ein EY-Mitarbeiter heute im Zeugenstand. Darüber hinaus entdeckten der heute 44-Jährige und seine Kollegen 2016 und 2017 demnach im Rahmen einer nie abgeschlossenen Sonderuntersuchung Indizien für Manipulationen bei der Übernahme des indischen Zahlungsdienstleisters Hermes durch Wirecard. 

Der Zeuge arbeitet bei EY als Forensiker - das sind Fachleute, die bei Verdacht auf Unregelmäßigkeiten tätig werden. EY prüfte und testierte alljährlich die Wirecard-Bilanzen, 2016 meldete sich ein Whistleblower schriftlich beim Leiter des für Wirecard zuständigen Bilanzprüfungsteams. Der Whistleblower gab Hinweise, dass das Wirecard-»Senior Management« bei der Hermes-Übernahme Scheinumsätze ausgewiesen hatte. 

Sonderuntersuchung verlief im Sand

 Daraufhin wurden die EY-Forensiker aktiv, im Auftrag des Wirecard-Vorstands starteten sie eine Sonderuntersuchung namens »Projekt Ring«. »Unserer Sichtweise nach haben wir Indikatoren gefunden, die geeignet waren, die Vorwürfe zu stützen«, berichtete der Zeuge.

Auf Anweisung des Wirecard-Vertriebsvorstands Jan Marsalek beendeten die EY-Forensiker ihre Arbeit dann Monate später, bevor sie ihre Untersuchung abgeschlossen hatten. »Aus unserer Sicht war es nicht beendet«, sagte der Zeuge am 137. Prozesstag des seit Dezember 2022 laufenden Mammutverfahrens. 

Die separat von den Forensikern arbeitenden EY-Bilanzprüfer erteilten Wirecard schließlich dennoch ein uneingeschränktes Testat für die Bilanz. Warum die Kollegen sich schlussendlich dafür entschieden, wusste der Zeuge nicht zu sagen: »Am Ende ist das die Entscheidung der Abschlussprüfer.« 

Auch Commerzbank hatte Verdacht geschöpft

Heute ist EY mit zahlreichen Klagen von Wirecard-Aktionären konfrontiert, die Schadenersatz verlangen, weil die Prüfer die Wirecard-Bilanzen bis 2018 absegneten. Im Wirecard-Prozess hatte zuletzt auch ein früherer Vorstand der Commerzbank berichtet, dass die Bank 2019 wegen Verdachts von Manipulationen die Geschäftsbeziehungen zu Wirecard beenden wollte. 

Die Anklage wirft dem früheren Wirecard-Chef Markus Braun, dem ehedem in Dubai tätigen Manager Oliver Bellenhaus und dem früheren Chefbuchhalter des Konzerns vor, über Jahre Scheinumsätze erdichtet zu haben, um das Unternehmen über Wasser zu halten. 

Braun bestreitet sämtliche Vorwürfe, der als Kronzeuge auftretende Bellenhaus hingegen hat die Anklage weitgehend eingeräumt. Der frühere Chefbuchhalter schwieg bislang und will sich kommende Woche erstmals äußern. 

© dpa-infocom, dpa:240710-930-169668/1