HANNOVER. Nach einem verheerenden Frühling und Frühsommer sollen Urlauber bei Tui schrittweise weitere Ferienziele ansteuern können und Milliardenverluste abfedern helfen.
Dabei sind die Preise zahlreicher Angebote für die laufende, wegen der Corona-Krise spät gestartete Hauptsaison 2020 gesunken. Kunden, deren Reise ausfiel, hätten überwiegend ihr Geld erstattet bekommen, sagte Konzernchef Fritz Joussen am Donnerstag. Viele buchten aber auch um. Das dritte Geschäftsquartal (April bis Juni) riss Tui tief in die roten Zahlen.
Joussen setzt darauf, dass sich das Blatt zum Besseren wendet. Anzeichen gebe es. So seien seit der Wiederaufnahme des Programms Mitte Juni 1,7 Millionen Neubuchungen eingegangen. »Das ist ganz schön viel«, meinte der Manager mit Blick auf die angespannte Lage. Im Juli seien dann innerhalb Europas über 500 000 Menschen mit Tui verreist. Die Balearen seien ein beliebtes Ziel, ebenso griechische Inseln. Für Urlaubsgebiete außerhalb der EU bestehen - abgesehen etwa von der türkischen Mittelmeerküste - allerdings nach wie vor Reisewarnungen. Auch in Teilen Spaniens wird es wieder kritischer.
Der globale Stopp in der Branche Mitte März traf den größten Reiseanbieter der Welt hart. Unterm Strich verlor Tui im abgelaufenen Quartal rund 1,4 Milliarden Euro, im Vorjahr hatten noch 23 Millionen Euro Gewinn in der Zwischenbilanz der Hannoveraner gestanden. Der Umsatz sackte um 98,5 Prozent auf 72 Millionen Euro ab, so dass das Geld für die Deckung der Betriebskosten nicht ausreichte. Bis zum Ende des laufenden Quartals soll das wieder gelingen. Die Buchungen für den Sommer 2021 sähen mittlerweile »sehr vielversprechend« aus, sagte Joussen. Das Kreuzfahrtgeschäft stabilisiere sich ebenfalls.
Aktuell muss Tui das schon deutlich gekappte Sommerprogramm günstiger verkaufen. Die Preise lägen im Schnitt gut 10 Prozent niedriger als im Vorjahr. Viele Kunden buchten ihren Urlaub erst wenige Tage vor Antritt. Die angebotenen Reisen seien im Juli zu 89 Prozent gebucht.
Großflächige Aussetzungen wie im Frühjahr hält Joussen »nicht für sehr wahrscheinlich«. Sollte es kurzfristig Beschränkungen für einzelne Länder geben, erwartet er keine Stornierungswelle: »Leute, die einmal sagen, sie wollen in Urlaub fahren, wollen dann immer noch in Urlaub fahren.« Insgesamt ist Tui aber darauf angewiesen, dass Zielgebiete möglichst rasch wieder öffnen. Neue Reisen nach Ägypten, Marokko oder Tunesien sind ab Ende August/Anfang September angepeilt.
Kunden, deren vor Corona gebuchte Reise ins Wasser fiel oder die aus eigener Initiative absagten, hätten fast sämtlich Erstattungen erhalten, so Joussen. Oft seien jedoch auch Gutscheine genutzt und Reisen verschoben worden. Wegen schleppender Rückerstattungen hatte es Kritik an einigen Unternehmen gegeben. Bei der Lufthansa etwa warten zahlreiche Kunden noch immer auf ihr Geld.
Um die Krise zu überstehen, hat sich Tui staatliche Hilfen über drei Milliarden Euro gesichert. »Wir wissen nicht, ob es noch mal einen Lockdown geben kann«, warnte Joussen. »Deshalb ist es wichtig, dass wir uns um Kreditlinien nicht noch einmal kümmern müssen.« Am Mittwoch hatten Tui und das Wirtschaftsministerium eine Aufstockung des Milliardendarlehens der KfW bekanntgegeben. Ein Einstieg des Bundes bei Tui wie bei der Lufthansa wäre im Herbst nun denkbar.
Die Touristik gehört zu den am schwersten von Corona gebeutelten Branchen. Tui fährt einen Sparkurs, der von Gewerkschaftern heftig kritisiert wird. So stößt die geplante drastische Verkleinerung der eigenen Airline-Flotte von Tuifly auf großen Widerstand. Bisher sollen im Konzern 8000 Jobs wegfallen, primär im Ausland.
Die Kürzungen treffen auch Reisebüros, in Ländern wie Großbritannien noch wesentlich stärker als in Deutschland. »Heute gilt «online first», das ist ziemlich klar«, meinte Joussen. Auch wichtige Investitionen wurden gekappt. Ausgenommen ist der Umbau in Richtung Digitalisierung, wie der Tui-Chef bekräftigte. Das Unternehmen will im Vertrieb über Plattformen und einen einheitlichen Markenauftritt arbeiten. Die Kunden sollen eine zentrale Service-App nutzen.
Tui erwägt zudem Partnerschaften mit anderen Airlines. Die teuren eigenen Maschinen müssten nicht zwangsläufig über Tui-Bücher laufen, sagte Joussen jüngst. Es gibt Spekulationen, der Konzern könnte für Tuifly eine Lösung mit Condor finden, wo der polnische Käufer LOT nach Beginn der Krise abgesprungen war. Betriebsräte warnen, bei einer Erholung des Geschäfts könnten zu wenige Jets bereitstehen.
In der Kreuzfahrtsparte hat Tui nun auch die übrigen Konzernschiffe in eine Gemeinschaftsfirma mit Royal Caribbean eingebracht. Hier will die Tui-Gruppe statt längerer Fahrten mit höherem Ansteckungsrisiko zunächst vor allem Kurztrips anbieten. Joussen prüft zudem das Abstoßen von Hotels aus unmittelbarer Tui-Trägerschaft.
Eine Prognose für das Gesamtjahr wagte der Chef noch nicht. Er glaubt jedoch, dass Tui gestärkt aus der Krise hervorgeht. Bis 2022 müsste sich dafür wieder ein »normales Niveau« im Tourismus einstellen. (dpa)