WIESBADEN. Die Inflation in Deutschland ist im September zum zweiten Mal seit der Absenkung der Mehrwertsteuer unter die Nullmarke gerutscht. Die Verbraucherpreise lagen um 0,2 Prozent unter dem Niveau des Vorjahresmonats, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag anhand vorläufiger Daten mitteilte. Damit sank die jährliche Teuerung auf den niedrigsten Stand seit Januar 2015 mit damals minus 0,3 Prozent.
Eine negative Jahresinflation hatten die Wiesbadener Statistiker bereits im Juli dieses Jahres mit minus 0,1 Prozent errechnet, im August stagnierten die Verbraucherpreise. Die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuersätze sowie ein kräftiger Rückgang der Energiepreise dämpfen den Preisauftrieb. Von August auf September 2020 sanken die Verbraucherpreise nach Berechnungen des Bundesamtes ebenfalls um 0,2 Prozent.
Um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzufedern und die Wirtschaft wieder anzukurbeln, hat die Bundesregierung unter anderem den Mehrwertsteuersatz vom 1. Juli an für ein halbes Jahr verringert: von 19 auf 16 Prozent beziehungsweise von 7 auf 5 Prozent. Das soll den Konsum als wichtige Stütze der heimischen Wirtschaft ankurbeln.
In welchem Umfang die Steuersenkung an die Verbraucher weitergegeben wird, ist statistisch schwer nachweisbar. Volkswirte der Commerzbank erklärten am Dienstag, es seien »bei einzelnen Waren- und Dienstleistungsgruppen teilweise erhebliche Preisschwankungen festzustellen«.
So seien etwa Fahrkarten für Fernreisen mit der Bahn günstiger geworden, während Preise für andere Dienstleistungen teils erheblich angehoben worden seien. Das Bundesamt selbst wies darauf hin, dass Friseurbesuche in Deutschland in den vergangenen Monaten deutlich teurer geworden sind - unter anderem deshalb, weil die Salons Zusatzkosten wegen der coronabedingten Hygieneauflagen haben.
Deutlich weniger zahlen als vor einem Jahr mussten Verbraucher im September nach Angaben des Bundesamtes für Haushaltsenergie und Kraftstoffe (minus 7,1 Prozent). Dagegen verteuerten sich Nahrungsmittel um 0,6 Prozent, wobei sich in dieser Produktkategorie der Preisauftrieb seit Monaten abschwächt.
Sinkende oder gar negative Inflationsraten sind in der Regel ein Alarmsignal für Währungshüter. Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt für den Euroraum mit seinen 19 Staaten mittelfristig eine jährliche Teuerungsrate von knapp unter 2,0 Prozent an. Das ist nach Einschätzung der Währungshüter weit genug entfernt von der Nullmarke. Denn sind Preise dauerhaft niedrig oder sinken auf breiter Front, könnte dies Unternehmen und Verbraucher verleiten, Investitionen aufzuschieben - im Glauben, dass es womöglich ja bald noch billiger wird. Diese abwartende Haltung kann die Konjunktur ausbremsen. Volkswirte gehen davon aus, dass die Inflation in Deutschland im nächsten Jahr wieder deutlich anziehen wird, wenn der Sondereffekt der Mehrwertsteuersenkung ausläuft. (dpa)